Green & Sustainability Wie aus einem alten Spaßbad das größte DIY-Projekt in Rotterdam wurde

Wie aus einem alten Spaßbad das größte DIY-Projekt in Rotterdam wurde

Das Architekturbüro Superuse Studios baut das Rotterdamer Spaßbad Tropicana Schritt für Schritt zu einem Startup- und Werkstattgebäude um. Nichts wird dabei weggeworfen.

Das erste Mal, als Floris Schiferli an seinem späteren Arbeitsplatz aufkreuzte, standen weite Teile des Gebäudes unter Wasser, andere Bereiche waren gar nicht zugänglich oder unwirtlich dunkel und nass, während über allem Wellen tobten und Schreie durch lange Röhren hallten. Schiferli, der heute Architekt ist, war damals, zu Beginn der 90er, 13, vielleicht 14 Jahre alt und zu Besuch in Rotterdam. Und das, was heute sein Arbeitsplatz, sein persönliches riesiges DIY-Recycling-Architektur-Projekt und vielleicht auch die Antwort auf eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit ist, war damals noch keine Ruine. Sondern ein Spaßbad namens Tropicana, eingequetscht zwischen Rotterdamer Maasboulevard und dem größten Hafen Europas. Das 1988 im Auftrag des niederländischen Feriendorfbetreibers Center Parcs erbaute Badeparadies, muss man wissen, war von Anfang an mehr als ein Gebäude gewesen: ein Versprechen.

Mit zwei breiten Rutschen für Familien, drei langen Röhrenrutschen, einem zum Teil unterirdischen Wildwasserkanal, einem Wellenbad, einem Kinderbecken, einer Höhle, einem Solarium und einem sicher 100 Meter durchmessenden Dom in der Mitte dieses mit echten Kanarienvögeln besiedelten und Naturstein verzierten falschen Paradieses war das Tropicana eine Sensation seiner Zeit. Einer Zeit mit eigenen Regeln. Denn als der Rotterdamer Bürgermeister Bram Peper das Tropicana am 2. September 1988 eröffnete, waren Reisen in die echte Karibik für die allermeisten Menschen einerseits noch vollkommen unerschwinglich; andererseits waren sämtliche Fragen nach CO₂-Bilanz, Betriebskosten, Wärmeisolierung und derlei Humbug noch weit, weit weg. Und doch war das Tropicana ein Versprechen, das nie so ganz eingelöst wurde.

Der große Dom des alten Spaßbads ist der Endgegner beim geplanten Umbau. Das Klima ist eigenartig und die Sonne knallt rein (Credits: Marcel Wogram).

Erst verkaufte der Betreiber das Bad, das nicht in sein Gesamtkonzept passte, aber niemand wollte es wirklich haben. Dann machten Geschichten von Belästigungen junger Mädchen in den Grotten und Pools die Runde, und der Königliche Niederländische Schwimmbund bemängelte die Hygiene. Schließlich nahm das Interesse der Bevölkerung rapide ab. Wozu in einem schlecht imitierten Paradies den Tag vergammeln, wenn das echte nur wenige billige Flugstunden entfernt wartete?

Es begannen die Jahre des Verfalls: Während im vorderen Teil des Tropicana noch Saunen betrieben wurden, öffnete im hinteren Bereich ein Club niederländischer Machart: zuckersüßer Marschtechno, plumpe Wandmalereien, dazu neonbunte Leuchtschilder plus die dazu passenden Drogen. Aber am 29. April 2010 war es auch damit vorbei. Mit einer Party namens Supafly schloss das Tropicana endgültig seine Tore. Das Wellenbad lag brach, die Rutschen trocken, nur das durch die Fugen im Schwimmbecken gesickerte Wasser tropfte noch leise in den alten Beton.

In anderen Städten hätte man das alte, leere Bad vielleicht abgerissen. Weg mit dem Spaß vergangener Zeiten, her mit den lukrativen Lofts in seelenlosen Glas-Beton-Palästen mit Tiefgarage. Aber die Rotterdamer, erzählt Schiferli, hatten nicht vergessen, dass ihnen das Tropicana in den für die Stadt nicht einfachen 90er-Jahren manchen Tag und später manche Nacht versüßt hatte.

Es gab also, wie das so ist, große Pläne: Der Architekt Jeroen Hoorn schlug etwa vor, den kompletten Bau mit einer Außenhaut aus Kupfer und Aluminium zu überziehen, um so aus dem Spaßbad eine Konzerthalle namens Metamorfose Tropicana zu machen. Andere Investoren träumten von einem riesengroßen Fitnessstudio. Aber daraus – wie aus allen weiteren großen Plänen für das ehemalige Schwimmparadies – wurde nichts. Dafür aus den kleinen.

Denn just zu jener Zeit, als das Spaßbad schließen musste, passierten in den Niederlanden zwei Dinge: Hausbesetzungen wurden unter Strafe verboten; gleichzeitig wurde eine Strategie entwickelt, die auf Niederländisch den schönen Namen „Antikraak“ trägt und letztlich bedeutet, dass Gebäude legal zur Zwischennutzung freigegeben werden können, auch wenn sie vielen Auflagen eigentlich nicht entsprechen. So auch das Tropicana.

Floris Schiferli: Seit 2008 arbeitet der Architekt, Designer und Stadtplaner beim Rotterdamer Architekturbüro Superuse Studios (Credits: Marcel Wogram).

Denn während das einstige Bad vor sich hin gammelte, zogen 2012 Siemen Cox und Mark Slegers in die alten Maschinenräume und Okke van Beuge in das rückseitige Lager ein. Cox und Slegers hatten den verwegenen Plan, mit ihrer Firma Rotterzwam Austernpilze für Feinschmeckerrestaurants auf Kaffeeabfällen wachsen zu lassen, wofür sich die dunklen, kühlen, feuchten und auch sonst sehr an Höhlen erinnernden Unterbauten des Badeparadieses ideal eigneten.

Van Beuge dagegen hatte sich als Schreiner selbstständig gemacht, eine Werkstatt gesucht und sein Rohmaterial unter anderem direkt vor Ort im Bad gefunden. Während van Beuge eigentlich Geschichte studiert hatte und nur zum Schreinern kam, weil Freunde selbst gebaute Holztische von ihm wollten, verfolgten Cox und Slegers eine richtige, große Vision: Inspiriert von dem Buch „The Blue Economy“ des Belgiers Gunter Pauli, wollten sie ein Haus der Kreislaufwirtschaft errichten, in dem des einen Müll des anderen Baustoff ist.

Doch zunächst brauchte das alte Tropicana einen Investor und Sicherheit, dafür einen Plan und für die Erstellung des Plans wiederum Architekten. Also kehrte Schi­fer­li, der einst über die Rutschen des Bades gejagt und durch dessen Wellen getobt war, in das alte Spaßbad zurück.

Recycelte Ruinen

Denn Schiferli war mittlerweile längst einer der wichtigen Köpfe der 1997 gegründeten Superuse Studios, eines Designer- und Architektenkollektivs, das sich auf urbane Erneuerung und Wiederverwendung von Materialien spezialisiert hat. Superuse hatte sich mit Wiederverwertungsprojekten längst einen Namen gemacht und unter anderem Harvestmap.org gegründet, ein Kartenverzeichnis für kostenlose Baustoffe, die sonst auf dem Müll landen würden.

Damit waren Schiferli und Superuse exakt die richtige Wahl, um aus einem runtergekommenen Schwimmbad wieder ein Versprechen zu machen. Und der Architekt der richtige Mann, um die Stadt Rotterdam und den Verkäufer des Hauses zu überzeugen, das Tropicana nicht einem Investor zu überlassen, sondern einer Herde Weirdos, die versprachen, das Gebäude aus sich selbst heraus umzubauen.

Schlechte Architektur

Jeder Stein, jede Wand, die irgendwo abgebaut werden würde, sollte anderswo wieder genutzt werden. Das war das neue Versprechen. Denn dieses Mal sollte es nicht feucht und fröhlich zugehen – sondern nachhaltig und klug. Also machte sich Schiferli ans Werk, entwickelte das Konzept Blue City, eine 12 500 Quadratmeter große Mischung aus nachhaltigem Startup-Hub und Atelierhaus, aus architektonischem und städtebaulichem Experiment und dem größten DIY-Projekt der Stadt.

Die Blue City im alten Spaßbad ist heute ein Hub für Öko-Startups (Credits: Marcel Wogram)
… Öko-Startups wie Hugo de Boon. Hier entwickelt man eine veganische Lederalternative. (Credits: Marcel Wogram)

Heute, vier Jahre nachdem die iFund-Stiftung des niederländischen Unternehmers Wouter Veer das „Schwimmbad voller Möglichkeiten“ für mehr als 1,7 Mio. Euro übernommen und Superuse, Rotterzwam und den anderen Erstmietern zur Verfügung gestellt hat, steht Schiferli im alten Eingangsbereich und schaut zu, wie die Mieter der benachbarten Büros am runden Holztresen Kaffee bestellen. Die Sonne quält sich durch die Wolken über der Nieuwe Maas und blendet.

„Unter Klimagesichtspunkten ist das wirklich schlechte Architektur hier! Und natürlich ist das nach heutigen Maßstäben kein schönes Gebäude“, sagt Schiferli, schaut sich um und lacht. Die dunklen Türkistöne im Treppenhaus, die halb nackte Meerjungfrau über der Kaffeebar, Relikte einer geschmacklich schwierigen Zeit. „Und natürlich ist so ein Spaßbad der Inbegriff einer Wirtschaft, die ihre Abfälle überhaupt nicht mitdenkt.“

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