Leadership & Karriere Ankerkraut: Mit Gewürzen und Persönlichkeit eine Lovebrand schaffen

Ankerkraut: Mit Gewürzen und Persönlichkeit eine Lovebrand schaffen

Anne und Stefan Lemcke haben keine Weltneuheit erfunden — und doch ­etwas Großes geschaffen: eine Marke, die die Kunden lieben. Mit Ankerkraut mischen die Hamburger den festgefahrenen Gewürzmarkt auf. Von Niklas Wirminghaus.

Es ist eine dieser einsamen Nächte vor dem Computer, frühmorgens gegen 3 Uhr, als Stefan Lemcke zu verzweifeln droht. Seit Tagen sucht er nach einem Namen, unter dem er seine Gewürzmischungen auf den Markt bringen kann. Was mit Hamburg wäre gut, etwas, das nach Norden klingt. Gewürzpiraten? Elbgewürze? Nordsee? Als–te-r? Alles nur so mittelgut, denkt Lemcke. Derber müsste es klingen. So wie Ankerkraut, jene Grillfleisch-Würzmischung mit Petersilie, grünem Pfeffer und getrockneter Karotte, deren Etikett er gerade entwirft. Doch eine zündende Idee lässt sich einfach nicht herbeizwingen. Er geht schlafen.

Als er am Morgen ins Büro zurückkehrt, fällt sein Blick auf die kleine Glasflasche mit dem Grillgewürz. Ankerkraut. Lemcke stutzt. Und plötzlich geht ihm auf: Der Name ist viel zu gut für ein einzelnes Produkt. Es ist ein Name für eine ganze Marke – seine Marke!

Es ist 2013. Der gelernte Buchbinder hat sich gerade an die Gründung einer eigenen Firma gewagt. Seit Monaten verbarrikadiert er sich auf einem schäbigen Gewerbehof in Hamburg-Wilhelmsburg, mischt Chili, Kumin, Paprika, kocht und grillt wie ein Besessener. 30.000 Euro Erspartes hat er in das Geschäft gesteckt. Er glaubt an seine Idee einer neuen Gewürzmarke mit frischen Geschmacksrichtungen, von guter Qualität, teurer als im Discounter, aber billiger als Feinkost.

Geräucherte Paprika werden in der Manufaktur in Hamburg-Sinstorf angemischt. 260 Produkte bietet Ankerkraut inzwischen an. Foto: Benne Ochs

Sein Umfeld hat ihn mehrheitlich für bekloppt erklärt. Seine Frau ist gerade mit dem zweiten Kind schwanger. Und da ist die Frage: Wer braucht so was überhaupt? Gewürzmischungen gibt es fertig im Großhandel. In den Supermärkten dominieren die Billigmarken Fuchs, Ostmann und Wagner, die zu allem Überfluss auch noch demselben Unternehmer gehören, dem unnahbaren Dieter Fuchs aus Dissen am Teutoburger Wald. Er kontrolliert gut drei Viertel des etwa 600 Mio. Euro großen Markts für Gewürze in Deutschland. Was soll da ein branchenfremder Neuling ausrichten?

Lemcke, der pralle, tätowierte Oberarme hat, reißt eine Dose Fanta auf und sagt: „Dass es so gekommen ist, ist wie drei Lottogewinne auf einmal.“

Ziel: die eigene Marke

Sommer 2018, die Ankerkraut-Gewürzmanufaktur in Hamburg-Sinstorf. Immer noch ein Gewerbehof, aber deutlich vorzeigbarer. So wie die Zahlen: 68 Mitarbeiter. 8,3 Mio. Euro Umsatz im letzten Jahr, 1,6 Mio. Euro Gewinn (Nachtrag der Redaktion: Nach eigenen Angaben rechnete Ankerkraut 2018 mit einem Umsatz von 12 Mio. Euro, Stand: 7. Januar 2019). 80 Produkte im Lebensmitteleinzelhandel, 260 im Onlineshop. Lemcke und seine Frau Anne, die 2015 zum Unternehmen stieß, denken über eine Expansion in die USA und den Bau einer eigenen Produktionshalle nach. Sie haben es geschafft.

Dabei beruht ihr Erfolg nicht auf einer genialen Erfindung. Sie haben Gewürze gemischt, keine Weltneuheit erschaffen. Aber sie haben eine Marke kreiert und mit einem Gefühl aufgeladen. Wie haben sie das geschafft? Einen Plan, sagt Anne Lemcke, gab es nicht. „Wir haben nie ein Marketinghandbuch zur Hand genommen.“ Dennoch erfassen die Lemckes bereits in den frühen Tagen der Firma intuitiv den Wert einer Marke.

„Ich habe immer schon gewusst, ich will eine eigene Marke haben“, erzählt Stefan Lemcke. „Etwas, das niemand klauen oder kopieren kann. Natürlich kann jemand anderes auch Curry oder Pfeffer machen. Aber meine Marke – die kann er nicht nachmachen!“

„Du spinnst wohl“

Es sind zunächst kleine Dinge, die Lemcke anders macht. Er verschließt die Gläser mit einem Korkpfropfen – ein Novum in der Branche. Dazu die peppigen Namen: „Magic Dust“ oder „Bang Boom Bang“. Ungewöhnliche Geschmacksrichtungen wie Gurkensalat- und Apfelkuchengewürz. Ankerkraut erscheint frisch und modern. Das passt perfekt in eine Zeit, in der Food zum Modethema wird. Schnell läuft das Geschäft besser, als er je zu hoffen gewagt hatte: 2015 macht Ankerkraut schon mehr als 1 Mio. Euro Umsatz, hat ein Dutzend Mitarbeiter.

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