Leadership & Karriere Aliya Prokofyeva plant eine gigantische Raumstation – für 10.000 Menschen

Aliya Prokofyeva plant eine gigantische Raumstation – für 10.000 Menschen

Sputnik, Laika, Aliya Prokofyeva. Eine junge Russin glaubt an die Kosmonauten-Nation. Mit Startup-Spirit, viel Fördergeld und großen Visionen wirbt sie für die Besiedelung des Orbits.

Als Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, am 9. April 1917 an der schweizerischen Grenze einen Zug in Richtung Russland besteigt, trägt er zwar noch nicht die für ihn später typische Schiffermütze, dafür hat er ein revolutionäres Versprechen im Gepäck: eine gerechtere Gesellschaft, deren universeller Überlegenheitsanspruch später nicht zuletzt in einem gigantischen Weltraumprogramm Ausdruck finden sollte.

Seit Lenins so folgenschwerer Zugfahrt sind über 100 Jahre vergangen, die UdSSR ist seit 27 Jahren Geschichte und von russischer Weltgeltung im Orbit auch nicht mehr viel übrig. Und nun also fliegt Aliya Prokofyeva von Moskau aus in die Schweiz, im Gepäck ein ebenso revolutionäres, wenn nicht gar irres Versprechen: die Besiedlung des Orbits. Wie damals bei Lenin die Mütze fehlt auch Prokofyeva ihre Trademark – der dicke, dunkle Lidstrich. Unscheinbar sitzt sie an diesem Tag mitten im Business-Casual-Gewusel der Techkonferenz Seedstars Summit in Lausanne und erklärt einer CNN-Reporterin, dass ein Hotel auf dem Mond bereits heute möglich wäre, dass allein der Markt noch nicht groß genug sei, dass alles nur noch eine Frage des Geldes sei. Und Prokofyeva ist von Russland in die Schweiz gereist, um zu erzählen, wie sie genau das ändern will.

10.000 Menschen im All

Prokofyeva trägt ein dezentes Shirt mit dem Em­blem ihrer eigenen Firma – einem zweifach umzirkelten purpurnen Planeten – unter einem schlichten schwarzen Blazer. Dabei ist sie eine schillernde Figur, die den großen Auftritt liebt, das Tamtam, Pomp und Künstlichkeit, ja, ein bisschen Nouveau riche auf Russisch. Man erwartet sie darum eigentlich so aufgedonnert, wie sie sich und ihr Unternehmen sonst eben vermarktet. Denn Prokofyeva ist Co-Founderin und CEO der russischen Galaktika Group – eines Unternehmens, das selbst kein Produkt anbietet, sondern ein riesiges Versprechen. Ein Versprechen, das die zur Galaktika Group gehörenden Tech-Startups irgendwann erfüllen sollen. Es lautet: „Der Weltraum sollte bewohnbar, erreichbar und bezahlbar für alle Menschen sein“, wie Prokofyeva später auf der Bühne im Laufe ihrer Keynote mit der vollmundigen Überschrift „Global Space Community“ erklärt.

„10. 000 Menschen könnten bereits im All leben“, sagt Prokofyeva. „Wir haben die Technologie.“ Dann spricht sie von Orbital City, dem großen, visionären Projekt ihres Unternehmens: einer Raumstation in der Erdumlaufbahn mit Platz für eine Kleinstadt. Daneben erscheinen die Space-Tourismus-Ambitionen von Richard Branson und Jeff Bezos wie Kleingeisterei. Prokofyeva denkt über ein paar Minuten Schwerelosigkeit im Sub-Orbit für Rich Kids hinaus, sogar weiter als ein Elon Musk, der zum Mars will, irgendwann.

Orbital City ist der Dre- und Angelpunkt der Kolonisation. Bis zu 10.000 Menschen sollen hier leben und arbeiten können.

Dabei ist das tägliche operative Geschäft der einzelnen Startups, die zur Galaktika Group gehören, zwar technologisch versiert, aber im Vergleich zum visionären Überbau fast bodenständig: Sie sind im weitesten Sinne kommerzielle Zulieferer der Raumfahrtindustrie. Die Startups stellen Satellitenteile oder -launcher her, beschäftigen sich mit 3D-Druck-Verfahren oder Data-Processing. So weit, so unspektakulär. Und weit weg von einem von Menschen bevölkerten Orbit. Galaktika aber plant für die ferne Zukunft, allerdings radikal.

Die abgehängte Weltraumnation

Zunächst muss es deshalb darum gehen, international aufzuholen. Das ist keine Selbstverständlichkeit im heutigen Russland. Denn nach dem Ende der UdSSR zerfielen auch alle Strukturen des ambitionierten sowjetischen Raumfahrtprogramms, das den USA zeitweise sogar voraus war: erster Erdsatellit, erster Hund und erster Mensch im All. Alles lange her. Während sich 1986 noch die Raumstation „Mir“ auf ihrer Umlaufbahn bewegt, wird Prokofyeva geboren, in eine Familie hi­nein, die im Bereich der Astrophysik arbeitet. „Meine Mutter und meine Tante waren bekannte Astrophysikerinnen in der Sowjetunion. Wir hatten oft Dinner bei uns, mit Wissenschaftlern und Schriftstellern“, sagt Prokofyeva. Von klein auf sei sie dabei gewesen, wenn Nobelpreisträger und Intellektuelle mit Ideen um sich warfen und kühne Visionen in die Luft malten. Science-Fiction, Zukunft und Weltraum hätten ihre kindliche Welt mit der Weite des Kosmos gefüllt.

Und irgendwo zwischen dem Pulkowo-Observatorium, wo ihre Mutter arbeitete, und Gesprächen mit den Hausfreunden und Science-Fiction-Autoren Boris und Arkadi Strugatzki wurde das Mädchen angefixt mit der Vision, den Orbit zu besiedeln. Womöglich haben die Strugatzkis ihr ja von ihrem Raumschiff „Chius“ aus der Geschichte „Das Land der Purpurwolken“ erzählt, von dessen Mission, Kosmonauten zur unerforschten Venus zu bringen. Was auch immer am Ende den Anstoß gab, Prokofyevas Interesse am Weltall entwickelte sich über kindliche Begeisterung hinaus: „Ich bin eine kosmische Person“, sagt sie. „Ich bin eine Weltraumvisionärin.“

Aliya Prokofyeva: Die Russin wuchs mit sowjetischer Science-Fiction-Literatur auf und beschäftigte sich mit dem Kosmismus. Diese futuristische Welt spiegelt sich in der visuellen Vermarktungsstrategie Galaktikas wider.

Und Visionäre braucht die russische Raumfahrt dringend. Als sich Prokofyeva mit Anfang 30 mit einem Freund über deren Zustand unterhält, ist sie schockiert: „Wir stellten fest, dass sich seit Ende der Sowjetunion nicht viel getan hat.“ Prokofyeva, mittlerweile promovierte Managerin und Marketingspezialistin, erkannte, dass sie ihre Skills nutzen konnte, um die einstige Vorzeigebranche zu altem Glanz zurückzuführen.

Auch wenn russische Sojus-Raketen als Transportmittel heute international gefragt sind, hat die russische Raumfahrtagentur Roskosmos schon lange Probleme: veraltete Technik, die seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt wurde, und immer mehr Pannen bei Raketenstarts. Ein Reformpaket sollte 2015 die Wende bringen: Mehr als 80 in der Weltraumindustrie agierende Unternehmen sollten mit Roskosmos zusammengeführt werden, um die Branche zu zentralisieren und wieder flottzumachen. Dazu kamen Strukturprogramme, die den Privatsektor stärken sollten. Alles klug, alles richtig. Aber wahnsinnig unambitioniert. Also gründet Prokofyeva Galaktika und beklagt auf Konferenzen in Moskau lautstark den mangelnden Zugang für private Firmen zu relevanter Technologie. Sie lobt die Nasa, spricht von Mondhotels, Asteroiden-Bergbau, Kolonien im Sonnensystem. Bloß: Wie sollte all das im abgehängten Russland entstehen?

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