Leadership & Karriere Adidas-Story: Wie die Traditionsmarke wieder sexy wurde

Adidas-Story: Wie die Traditionsmarke wieder sexy wurde

Herzogenaurach und Coolness? Lange ging das nicht zusammen. Doch nun ist Adidas die Nummer eins auf den Laufstegen und an den Füßen der Sneakerheads. Wie haben die Franken die Formel für Hypes vom Fließband entdeckt?

Ein grasgrüner Raum, vielleicht 30 Quadratmeter groß. Er befindet sich im Untergeschoss eines Neubaus auf dem Firmencampus von Adidas. In diesem grünen Raum sitzen zwischen Sneakerraritäten aus den 80ern und Kleiderstangen mit Trainingsanzügen aus den 70ern drei studierte Historiker und Museologen. Sie begutachten die Schuhe, Sporthosen und Marathontrikots mit einer Konzentration und Wichtigkeit, als wären es seltene Kunstwerke. Auf eine Art stimmt das auch: Das Historikertrio entscheidet nicht nur, welche Adidas-Produkte es wert sind, hier eingelagert zu werden. Sie verwalten auch das wichtigste Pfund, das ein globales Modeunternehmen wie Adidas in der Postmoderne besitzt: Vintage-Pieces, Adidas’ Erbe, die DNS der Marke.

Eine schwere, unscheinbare Türe in dem grasgrünen Raum öffnet sich, die Temperatur sinkt dahinter ein wenig ab, auf exakt 18 Grad, Luftfeuchtigkeit: 55 Prozent. Der Blick fällt in einen neonbeleuchteten, staubfreien Raum mit dunklen Decken und langen, weißen Regalreihen: Der große Kellerraum sieht aus wie eine Mischung aus Tresorraum und Kunsthalle.

Inspiration für Kanye und Pharrell

Tatsächlich lagern hier Turnschuhe, Trainingsanzüge, Sporttaschen und patentierte Adidas-Erfindungen aus über 70 Jahren Firmengeschichte. Über 80. 000 Objekte, davon 7 000 Schuhe. Zum Beispiel der gelb-schwarze Rennrodelschuh der deutschen Rodellegende Hackl Schorsch von 1998, der aussieht wie für einen Science-Fiction-Film aus den 70ern entworfen. Oder die schwarze Trainingsjacke aus „Rocky“ mit rotem Victory-V auf der Brust und tellergroßem First-Round-Knock-down-Aufnäher auf dem Rücken.

Kanye West war schon hier, ebenso Stella McCartney, Pharrell Williams und sein Team, das auf der Suche nach Inspiration für gemeinsame Projekte mit Adidas drei Stunden lang durch sämtliche Schränke gestöbert haben soll, mit Handschuhen natürlich. Für die Öffentlichkeit ist das Archiv nicht zugänglich. Doch muss man es gesehen haben, will man verstehen, welchen Turnaround Adidas hingelegt hat.

Die Trainingsjscke zum Film: Eine Rocky-Balboa-Jacke von 1990. Foto: Fritz Beck

Dieser Ort ist eine sehr gute erste Station, um erklären zu können, warum Adidas nicht nur sein jahrzehntelanges Coolnessdefizit überwinden konnte, sondern eine komplett neue Methode gefunden hat, Schuhe zu entwickeln. Hier finden die Designer die historischen Bausteine, aus denen sie heute so exzentrische, aber zugleich stimmige Modelle zusammensetzen. Schuhe wie den neue Adidas Deerupt, dessen eigenartige Netzhautoptik auf den Adidas Marathon aus dem Jahr 1985 anspielt, bei dem genau so ein Netz über die Innenseiten der Sohle gespannt war.

Ein futuristischer Campus – nicht nur was für Tech-Größen

Adidas’ Spagat zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Archiv und nächster Kollektion lässt sich auch auf der Herzo Base besichtigen. So nennen sie ihren Firmensitz. Früher war hier die US Army stationiert, die Verwaltungsmitarbeiter harren noch in den alten Barracks aus, ehe sie Ende des Jahres in einen eleganten Neubau namens Arena umziehen werden. Das künftige Hauptgebäude samt Park im Haus wird Platz für 2 000 Leute bieten. Es bildet den Abschluss eines Komplettumbaus der Zentrale, der mit der Errichtung des Kreativzentrums Laces – einem großen Knoten aus Stahl und sehr viel Glas – und der – ebenso futuristischen – Kantine Stripes begonnen wurde.

Der neue Campus vermittelt Besuchern der Herzo Base eine klare Botschaft: Adidas ist nicht mehr das riesig gewordene Unternehmen, das aus der deutschen Provinz Sportkleidung in alle Welt verkauft. Sondern ein globaler Konzern, der wie ein Raumschiff mehr oder minder zufällig auf den Wiesen einer 25. 000-Einwohner-Stadt in einer eher überschaubar aufregenden Region entlang der ICE-Strecke München–Berlin gelandet ist.

Zwischen Kantine und Kreativzentrum ist in diesen Wochen eine Art Bierzelt aufgebaut, doch nicht einmal dieses bayerischste aller Bauwerke verweist auf Tradition oder Provinz: In den kommenden Tagen werden hier die Adidas-Chefeinkäuferinnen und -einkäufer aus aller Welt auflaufen, um, natürlich streng geheim, die weltweite Kollektion 2019 zu begutachten und dem Mutterkonzern ihr Bauchgefühl durchzugeben: Was wird bei den Kunden ankommen, welcher Schuh ist cool, welcher nicht, welcher ein potenzieller Bestseller?

Die Leichtathletikserie Equipment aus den 90ern wurde zum Vorbild der neuen EQT-Reihe. Foto: Fritz Beck

Dabei steht Adidas gut da: Knapp 57 .000 Mitarbeiter, 21,2 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2017, ein Plus von 16 Prozent zum Vorjahr, der Gewinn stieg um 32 Prozent auf 1,4 Mrd. Euro. Nur der 2005 übernommene Sportartikelhersteller Reebok läuft noch nicht so, wie es sich Adidas erhofft – aber immerhin konnte Reebok im vergangenen Jahr eine Menge weißer Classic-Tennisschuhe an hypeaffine Großstädter absetzen.

Die Zahlen waren in Herzogenaurach trotz Dauerrivalität mit dem US-Konkurrenten Nike ohnehin selten ein Problem. Die anderen europäischen Sportartikelhersteller weiß man in weitem Abstand hinter sich. In Sachen Technik und Innovation sind die Mittelfranken auf vielen Feldern führend. Aber in einer Zeit, in der Turnschuhe die neuen Halbschuhe sind, standen die tüftelnden Deutschen lange vor einem, genauer, vor zwei zentralen Problemen.

RAF Simons, Stella McCartney: geliehene Coolness

Erstens war Adidas so etwas wie der Philipp Lahm unter den Sportmarken geworden: technisch einwandfrei und handwerklich makellos, aber eben auch unfassbar uncool. So uncool, dass man sich auf Berliner Bolzplätzen vor einigen Jahren noch zum Vorstopper auf Lebenszeit machte, wenn man in Adidas-Montur auflief. Und zweitens fielen Adidas im Grunde nur die beiden ewig gleichen Dinge ein, wenn es darum ging, auch mal lässig zu sein: Teure Kooperationen mit hochdekorierten Modedesignern in Kleinstauflage – RAF Simons, Stella McCartney, Alexander Wang, Yohji Yamamoto; also geliehene Coolness, die sich nie so wirklich auf die eigene Marke übertrug. Oder eben immer und immer wieder der Adidas Superstar und immer, immer, immer dieselben Bildern von Breakdancern Anfang der 80er-Jahre in der Bronx, in Adidas-Trainingsanzügen und Anglermützchen, dazu ein bisschen Run DMC. Die Zufallstreffer der Vergangenheit als Strategie in Sachen Hipness.

In seiner Zeit als Chefdesigner hatte Michael Mi­chal­s­ky dem Sportartikelhersteller um die Jahrtausendwende überhaupt erst so etwas wie Style beibringen müssen. Michalsky pumpte das Design Department von mageren zwölf Mitarbeitern auf fast 200 Leute auf und entwickelte es vom Erfüllungsgehilfen der Innovationsabteilung zur federführenden Einheit. Er hatte Kooperationen mit Missy Elliott und Editionen für Jay-Z, mit dem Trimm-dich-Männchen und Kermit dem Frosch initiiert und, natürlich superwichtig, die Adidas-Originals-Linie etabliert. Einen neuen Klassiker aber hat Michalsky nicht hinterlassen.

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