Leadership & Karriere Der Freund der klaren Worte 

Der Freund der klaren Worte 

Pressekonferenzen im niedersächsischen Innenministerium waren zwischen 2013 und 2023 bei Journalisten stets beliebt. Denn der Hausherr Boris Pistorius absolvierte kaum ein solches Treffen, ohne zu irgendeinem Thema eine klare, deutliche und Aufmerksamkeit erregende Aussage zu treffen. Als „der Freund der klaren Worte“ galt der Jurist und Sozialdemokrat stets. Daneben führte Pistorius eines von den zwei oder drei niedersächsischen Ministerien, die ohnehin als „gut organisiert“ galten, deren Spitzenbeamte selbstbewusst und kompetent auftraten. Skandale aus dem Innenministerium? Zur Zeit von Boris Pistorius gab es sie kaum – denn die Probleme, die sich manchmal auch anhäuften, erreichten den Minister selbst oft nicht oder nur spät. Dazwischen waren führende Beamte von Verfassungsschutz und Polizei, die Verantwortung übernehmen mussten. Die Spur zu ihm selbst, nach ganz oben ins Ministerbüro – diese fand man meistens nie.

Was ist Boris Pistorius für ein Mensch?

Ich habe ihn vor 30 Jahren kennengelernt, da war er Büroleiter des damaligen Innenministers Gerhard Glogowski (SPD). Von ihm hat er einiges gelernt, was den Bundesverteidigungsminister heute noch ausmacht. Bescheiden im Auftreten, selbstbewusst, nie um einen knappen Kommentar verlegen – das zeichnete beide aus. Glogowski hatte immer eine große Skepsis gegenüber theoretischen Debatten oder einer allzu technisch klingenden Politikersprache. Glogowski wollte nah bei den Menschen sein, sich mit ihren Problemen befassen und dazu auch deutliche – oder volkstümliche – Positionen vertreten. Nun war Glogowski kein Jurist, Pistorius aber ist einer. Und die Neigung zu klaren, zugespitzten Formulierungen, die er von seinem damaligen Chef Glogowski übernommen hat, ergänzt Pistorius mit seinem Juristen-Gespür für Gerechtigkeit und für die Angemessenheit bestimmter politischer Entscheidungen. Hubertus Heil, der Bundesarbeitsminister, hat aus Anlass von Glogowskis 80. Geburtstag im Februar 2023 mal von der „Glogo-School of Government“ gesprochen – von der bestimmten Prägung der einstigen Gefolgsleute von Glogowski. Dazu gehören Bodenständigkeit, ein gewisses konservatives Erscheinungsbild und Auftreten und auch die starke Verbundenheit mit den Sicherheitskräften, mit Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr. Man findet noch mehr Anknüpfungspunkte, wenn man in der niedersächsischen Politikgeschichte viel weiter zurückschaut, nämlich zum legendären früheren Innenminister Wilfried Hasselmann. Der war in vielerlei Hinsicht so wie später Glogowski, so wie heute Pistorius. 

Ein distanzierter, aber effektiver Führungsstil

Ein Typ wie Henning Scherf, der alle Leute umarmt, mit jedem per Du ist und so das Kümmerer-Image vertritt, ist Pistorius sicher nicht. Er wirkt distanziert und gleichwohl empathisch. Er kann impulsiv sein und aufbrausend, aber das Maß des Erlaubten verlässt er dabei höchst selten, jedenfalls nicht in größerer Runde. Der gute Ruf, den er in seiner langen Zeit als Innenminister und vorher sieben Jahre als Oberbürgermeister von Osnabrück genoss, hängt auch mit einer wichtigen Fähigkeit zusammen: Pistorius kann gut führen, er lässt sich über die Sachlage gut informieren und sendet dann klare Arbeitsaufträge aus – und das, wenn nötig, sehr schnell und sehr präzise. Dass Vorgänge lange liegen bleiben, kommt selten vor. Das heißt nun nicht, dass er der große Problemlöser gewesen wäre. Ein Reformator, der die Hindernisse und Hürden im Verwaltungsablauf aufspürt, dafür Konzepte entwirft und diese dann zügig umsetzt, ist Pistorius in den zehn Jahren als Innenminister nie gewesen. Sein Vorgänger Uwe Schünemann (CDU) hatte die Verwaltungsreform angeschoben und die Polizeistruktur verändert. Pistorius selbst hätte manches fortsetzen können, aber er tat es nicht. Vielleicht auch deshalb, weil sein Ministerpräsident Stephan Weil alles sein wollte, nur niemand, der mit größeren Veränderungen Unruhe schafft. 

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, aufgenommen im Rahmen eines Besuchs des Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) in Berlin, 28.10.2024. (Picture Alliance)

Das Angenehme am Menschen Pistorius ist seine Fähigkeit zum Disput. Wenn man mit ihm diskutiert hat, konnte man in der Sache in die Tiefe gehen – und traf auf einen Politiker, der noch in den unteren Verästelungen einer strittigen Detailfrage gute Argumente fand und die vortragen konnte oder wollte. Aber dies hat auch eine Schattenseite, die ich mehrfach in Pressekonferenzen, Hintergrundgesprächen oder auch größeren Debatten erleben konnte: Pistorius war immer irgendwie in einem Kampfmodus, vermutete stets die Kontroverse in einem Dialog, auch wenn diese von seinem Gegenüber gar nicht intendiert war. Harmonie war ihm häufig suspekt, vielleicht auch zu langweilig. Er hatte durchaus immer Spaß am Streit. Vielleicht ist er in dieser Eigenschaft dem CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz sogar ähnlich. Aber Pistorius konnte als Innenminister auch übertreiben und mit manchen Angriffen ungerecht wirken. In vielen Landtagssitzungen nutzte er Debatten dazu, die AfD frontal anzugreifen und zu beschimpfen – oft auch mit Vorhaltungen, die zum eigentlichen Thema gar nicht gehörten. Das nutzte sich mit der Zeit ab. 

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