Life & Style Mythos oder Wahrheit – Kann man Lügen wirklich lesen lernen?

Mythos oder Wahrheit – Kann man Lügen wirklich lesen lernen?

Gastbeitrag von Joern Kettler, Profiler und Experte für Körpersprache.

Im Internet kursieren viele falsche Ideen, wie man Lügen erkennen kann. Ein Influencer behauptete kürzlich, Lügner würden sich an die Nase und den inneren Nasenflügel fassen – was wissenschaftlich nicht belegt ist. Solche falschen Informationen, mit denen man Menschen beschuldigt, können dazu führen, dass Menschen sie glauben, was beruflich und privat Stress auslösen kann. 

Die Baseline

Beachten Sie immer das körpersprachliche Standardverhalten Ihres Gegenübers. Lediglich eine Abweichung kann ein Hinweis auf eine Lüge darstellen. Die Baseline ist zum Beispiel zu erkennen, wenn wir mit einer Person über neutrale Themen (Wetter, Hobby, Beruf etc.) sprechen, bei denen die Person keinen Grund zu lügen hat. Beachtenswert sind alle Verhaltensweisen, die von dieser Baseline abweichen. Dafür wurde unter anderem auch die Leakage-Hierarchy entwickelt. 

Die Hierarchie des Lügens

Die Leakage-Hierarchy ist eine Auflistung davon, was in der Körpersprache eher leicht zu kontrollieren und was eher schwer zu kontrollieren ist. Diese Hierarchie hilft Ihnen dabei zu verstehen, was die wichtigsten Informationsquellen sind, um Lügen zu erkennen. Sie sollten Sie immer auf drei unterschiedliche körpersprachliche Quellen zurückgreifen, um eine Lüge zu identifizieren. Paul Ekman und Wallace Friesen kamen 1969 zu dieser Hierarchie des Lügens:

  • Worte: 

Menschen können am leichtesten mit Worten lügen. Diese Signal-Quelle ist demnach am unzuverlässigsten. Achten Sie bei dem, was Ihr Gegenüber sagt, auch immer darauf, ob in der Zukunft, der Gegenwart oder der Vergangenheit gesprochen wird. Dabei kann es immer zu verräterischen Indizien kommen. Auch dies bestätigen Forschungen. Wenn ich beispielsweise sage ich würde statt ich werde. Ein kleiner Unterschied mit einer großen Bedeutung. Also genau hinhören. 

  • Makroexpressionen: 

Makroexpressionen sind willentlich gezeigte mimische Ausdrücke. Daher ist es auch für den Lügner sehr leicht, diese Signale bewusst einzusetzen. Es sind deutliche und gut sichtbare Gesichtsausdrücke, welche die grundlegenden Emotionen eines Menschen widerspiegeln. Außerdem werden diese Makroexpressionen gerne eingesetzt, um zu täuschen. Dazu beim letzten Punkt der Mimik mehr. 

  • Gestik: 

Als Lügner muss man bereits die Worte, die Makroexpressionen und die Gestik sorgfältig kontrollieren, um nicht entlarvt zu werden. 

Das Schulterzucken: Wenn die Schulter beispielsweise einseitig zuckt, kann dies ein Hinweis auf einen innerlichen Widerspruch sein. Wenn man zum Beispiel behauptet, man habe umfassende Kenntnisse zu einem Thema, während man dabei eine Schulter einseitig zuckt, deutet das auf einen inneren Widerspruch hin. 

Gesten mit Arm und Hand: Wenn Menschen in ihrem körpersprachlichen Standardverhalten viel gestikulieren, ist ein Hinweis, dass gelogen wird, wenn die Gestik abnimmt. Der Grund dafür, ist, dass Lügen eine hohe kognitive Anstrengung mit sich bringt und man dadurch weniger Arm- und Handbewegungen macht. Dabei sind jedoch die „redebegleitenden“ Gesten gemeint. 

  • Fuß und Beinverhalten: 

Das Fuß- und Beinverhalten wird oft unterschätzt, sowohl von Lügnern als auch von Zuhörern. Berührungen mit Füßen oder Beinen an sich selbst oder Gegenständen sowie Bewegungen wie Wippen oder Trommeln deuten auf Stress hin. Je höher der Stress, desto häufiger treten solche Bewegungen auf. Frieren diese Bewegungen plötzlich ein, kann das ebenfalls ein Hinweis auf eine Lüge sein. Wichtig ist dabei immer, die normale Verhaltensweise (Baseline) zu beachten.

  • Körperhaltung: 

Die Körperhaltung einer Person kann sich durch Bewegungen nach vorne, nach hinten, nach links oder nach rechts ausdrücken. Wenn dieses Verhalten abnimmt und es nicht zu dem körpersprachlichen Standardverhalten gehört, kann es ebenfalls ein Indiz für eine Lüge, bzw. für Stress sein

  • Kopfhaltung: 

Die Kopfhaltung ist in der Regel äußerst schwer bewusst zu kontrollieren. Wenn ich zum Beispiel eine „Ja“-Aussage mache und dabei leicht den Kopf schüttele oder bei einer „Nein“-Aussage subtil nicke, deutet das auf eine mögliche Lüge hin. Wichtig dabei ist, es muss eine subtile Bewegung und keine starke sein. 

  • Stimme: 

Wenn Lügner aufgeregt sind, haben sie einen erhöhten Puls. Wenn sie dann lange Aussagen machen müssen, bleibt ihnen am Ende oft die Luft weg und die Tonlage geht hoch. Außerdem kann es zu Stottern und Wortwiederholungen kommen. 

Hiermit geht auch einher, dass Lügner generell etwas langsamer sprechen oder auch zeitlich verzögerte Antworten geben. Auch hier gilt, checken Sie immer die Baseline. Beim Lügen werden generell weniger Füllwörter verwendet, damit die Person, die zuhört, nicht misstrauisch wird. 

  • Mikroexpressionen: 

Dieser Kanal ist kaum bewusst zu manipulieren. Diese Ausdrücke werden unbewusst vom limbischen System gesteuert. Das limbische System ist direkt mit der mimischen Muskulatur verdrahtet, weshalb Sie stets die Wahrheit sehen. Die Wahrheit steht uns also regelrecht ins Gesicht geschrieben. Die Frage bei der Mimik ist immer: „passt die Emotion zum Kontext“? Wenn nicht, ist es ein Indiz für eine Lüge. Folgende Emotionen sind wichtig zu erkennen:

Weibliche Baseline / Bild Joern Kettler©
Emotion Trauer / Bild Joern Kettler©

Trauer: Augenbrauen-Innenseiten werden schräg hochgezogen. Diese Emotion tritt immer dann auf, wenn wir etwas verlieren, was uns wichtig ist. Das kann ein Gegenstand, ein Ideal oder auch ein Mensch sein. Bei Gil Ofarim zum Beispiel versuchte er die ganze Zeit traurig zu wirken, hat aber die Emotion nicht einmal gezeigt. Das gesagte passte also nicht zur Körpersprache: Er hat gelogen! 

Männliche Baseline / Bild Joern Kettler©
Emotion Überraschung / Bild Joern Kettler©

Überraschung: Die Augenbrauen werden beide hochgezogen, die oberen Augenlider werden ebenfalls hochgezogen und der Unterkiefer wird fallengelassen, meist mit offenem Mund. Diese Emotion ist sehr wichtig, da es sein kann, dass Ihr Gegenüber in Bezug auf eine Lüge bewusst überrascht reagiert, um Ihnen zu signalisieren, dass es eine völlig neue Information ist, die man vorher noch nicht kannte. Generell zeigt sich ein echter Ausdruck von Überraschung maximal ein bis zwei Sekunden

Emotion Angst / Bild Joern Kettler©

Angst: Augenbrauen werden hoch- und zusammengezogen und die Augenbrauen werden zu einem S wie Sorge geformt. In den meisten Fällen haben Lügner Angst, erwischt zu werden bei einer Lüge. Daher ist es mit die wichtigste Emotion. 

Emotion Ärger / Bild Joern Kettler©

Ärger: Die Augenbrauen werden zusammengezogen und gleichzeitig die oberen Augenlider hochgezogen. Diese Kombination führt zu einem Ausdruck, der von den meisten Menschen als böser oder stechender Blick wahrgenommen wird. Wenn Menschen zu Unrecht beschuldigt werden, kann Ärger beispielsweise angebracht sein. Bedenken Sie immer den Kontext Ihres Gesprächs.

Emotion Freude Bild Joern Kettler©

Freude: Durch die Kontraktion des Augenring-Muskels sieht es so aus, als wären die Augen leicht zusammengekniffen. Die Augendeckfalte wird dabei nach unten gezogen und die Haut an den Schläfen leicht zusammengezogen. Man sagt, dass die Augen lächeln. Wahre Freude ist immer dann wichtig zu erkennen, wenn Sie wissen wollen, ob die Person sich wirklich freut. Z.b über eine Änderung der Stelle bei der Arbeit. Viele Mitarbeiter sagen ja, weil sie ein Problem haben Bitten des Vorgesetzten abzulehnen. Daraufhin kann jedoch später die Kündigung kommen, weil der Mitarbeiter unzufrieden ist. 

Falsche Freude / Bild Joern Kettler©

Falsche Freude: Die Mundwinkel werden sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite schräg nach oben hochgezogen. Dabei besteht die Möglichkeit, dass sich Krähenfüße an der Schläfe bilden. Lügner freuen sich meist, wenn sie denken, dass sie mit einer Lüge durchgekommen sind. Sie sollen mit dieser „falschen Freude“ abgelenkt werden. Es soll signalisiert werden: alles ist gut. 

Physischer Ekel / Bild Joern Kettler©
Physischer Ekel / Bild Joern Kettler©

Ekel: Die Nase wird gerümpft (physischer Ekel) oder die Oberlippe hochgezogen (psychischer Ekel). Diese Formen des Ekels können ausgelöst werden, wenn Sie den allgemeinen Hygienestandard (physischer Ekel) oder den moralischen Standard (psychologischer Ekel) Ihres Gegenübers in irgendeiner Weise nicht erfüllen. In allen Fällen drückt Ekel Ablehnung, Verneinung und Distanzierung aus. Wenn Sie beispielsweise einer Person etwas unterstellen, was gegen deren Wertesystem verstoßen müsste, und Sie sehen keinen psychischen Ekel, ist es ein Indiz für eine Lüge. 

Verachtung / Bild Joern Kettler©

Verachtung: entweder wird der linke oder der rechte Mundwinkel einseitig eingepresst. Bei dieser Emotion gilt es, Folgendes zu beachten: Wenn Sie hier in zehn Minuten Gesprächszeit dreimal diese Emotion gezeigt bekommen, dann ist davon auszugehen, dass Ihr Gegenüber Sie und Ihre Kompetenz nicht anerkennt. Der Nasenfaktor passt in diesem Fall nicht. 

Bei der Mimik verhält es sich so: Ist die Emotion angebracht oder nicht. Außerdem ist auch das Fehlen von Emotionen ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Echte Emotionen haben eine maximale Dauer von 1 bis maximal 2 Sekunden. In allen anderen Fällen ist es eine Makroexpression, die Ihnen bewusst aufgetischt wird. Warum, das müssen Sie erfragen und herausfinden. 

Nun haben Sie ein gutes grundlegendes Wissen, um Lügen zu erkennen. Trauen Sie sich einfach das Wissen in die Tat umzusetzen. Erfolg hat immer sechs Buchstaben und ein Sonderzeichen: MACHEN! 

Joern Kettlers drittes Buch  „Nichts als die UnWahrheit – Der Code hinter der Lüge“ avancierte nach seiner Veröffentlichung schnell zum SPIEGEL- und Manager Magazin-Besteller. www.unwahrheit.com

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