Leadership & Karriere Claude Grunitzky – der Kontaktmann

Claude Grunitzky – der Kontaktmann

Claude Grunitzky ist ein Fall für die Business-School: Sein System zu Netzwerken wurde eine Case-Study in Harvard. Ein Porträt über den Meister der Kunst, die richtigen Leute kennen zu lernen.

Text: Jonas Breng

Dass mit Frankreich etwas nicht stimmt, merkt Claude Grunitzky auf einer Party des Bürgermeisters von Le Havre. Es ist ein später Septemberabend, als Grunitzky leichten Schrittes das Dinnerzimmer des Rathausturmes betritt und sein Auftrag beginnt. Eine exklusive Runde hat sich hier oben im 14. Stock bei Kerzenschein versammelt, unter ihnen glitzert eine Stadt aus kleinen Lichtern. Grunitzky schaut sich um. Ein paar CEOs sind da, zwei Politiker, ein Unternehmer aus Indonesien. Hängen bleibt Grunitzkys Blick an einem Mann am anderen Ende des Raumes: seinem Job für heute Abend. Der Job ist zwei Meter groß, hager und heißt Édouard Philippe, Bürgermeister von Le Havre.

Der Bürgermeister und Grunitzky kennen sich flüchtig aus dem Club Le Siècle, einem der elitärsten Zirkel der Pariser Gesellschaft. Der Bürgermeister wird als zukünftiger Premierminister gehandelt. Wenn sich die Dinge in Grunitzkys Sinn entwickeln, dann sitzt Philippe in einem Jahr für die Republikaner auf dem Stuhl des Regierungschefs – und er, Grunitzky, wird einen direkten Draht zu ihm haben. Davon lebt einer wie er. Grunitzky sagt: „Ich habe einen inneren Sensor für Talente: Künstler, Politiker, scheißegal.“

Grunitzky will sich gerade ein Pfefferminzbonbon in den Mund stecken und hinübergehen, als ihm ein Mann auf die schwarze Anzugjacke klopft. Grunitzky dreht sich um. Vor ihm steht ein kräftiger Herr, der Chef eines französischen Entsorgungsunternehmens. In der Hand hält er ein leeres Champagnerglas. Mit hochgezogenen Augenbrauen deutet er darauf. „Noch einen Champagner“, sagt er. Grunitzky schaut ihn ungläubig an.

Grunitzky ist kein Mann, der schnell die Kontrolle verliert. Aber ein langer Tag liegt hinter ihm. Heute Morgen ist er aus London gekommen, er hat zwei Stunden geschlafen und wahrscheinlich 100 Hände geschüttelt. Eigentlich müsste Grunitzky todmüde aussehen, aber seinem Jungengesicht geht es wie seinem Jackett: nicht eine Falte.

Grunitzky wippt von einem Bein aufs andere. Eine Sekunde lang meint man, etwas Hartes in seinem Gesicht zu entdecken, aber dann ist seine Stimme ganz weich. „Mein Herr, das muss ein Missverständnis sein. Aber ich bin kein Kellner“, sagt er und blickt den erschrockenen Unternehmer freundlich an. „Mein Name ist Claude Grunitzky.“

EIN LEBEN IM ADRESSBUCH

Grunitzky ist 45 Jahre alt, ein eleganter Mann mit Pausbacken und einer Lücke zwischen den Schneidezähnen. Es ist nicht leicht zu erklären, was er beruflich macht. Grunitzky war Chefredakteur, Medienunternehmer und hat viel Geld mit einer Werbeagentur verdient. Berühmt gemacht aber hat ihn etwas anderes: sein Adressbuch. Grunitzky gilt als Netzwerkgenie. Die Harvard Business School hat seine Fähigkeit, Menschen zu erobern, in einer eigenen Case-Study beleuchtet und ihn zum Vorbild in Sachen ­Kontakteknüpfen erklärt. BWL-Studenten weltweit lernen heute die Grunitzky-Formel.

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© Capital

Seither tourt er um den Globus wie ein Botschafter. Grunitzky hat in Peking gesprochen, in Boston und New York; er hat jungen Studenten erzählt, wie plötzlich alles möglich wird, wenn man die richtigen Menschen kennt. Der Beweis ist seine eigene Karriere. Denn Claude Grunitzky hat nicht nur seine Zeit und sein Talent in sein Netzwerk investiert – das tun viele Menschen mit Erfolg. Grunitzky hat sein Leben in sein Adress­buch gesteckt. Wenn er davon spricht, benutzt er Begriffe wie Beziehungen, Inspiration, Hilfe. Grunitzky sagt: „Netzwerken – was für ein schreckliches Wort.“

Als er zwei Stunden später auf den leeren Platz vor dem Rathaus getänzelt kommt, hat es angefangen, leicht zu regnen. Grunitzky hat keinen Mantel dabei, nur ein Jackett, in dessen Taschen jetzt ein Haufen neuer Visitenkarten steckt. Er sieht zufrieden aus. Den Bürgermeister wird er bald zum Essen treffen, ein Erfolg also. Und die Verwechslung? Hinterher habe der Kerl mit ihm über ein Geschäft verhandeln wollen, sagt Grunitzky und lacht so laut, als wäre dem Abfallmanager ein besonders guter Witz gelungen. Als er wieder leise ist, wird er ernst. Genau deshalb, sagt er, habe er Frankreich verlassen müssen: „Irgendwas läuft falsch, wenn ein schwarzer Mann in einem Anzug immer nur der Kellner ist.“ In großen Schritten marschiert er die Straße herunter, als müsse er Abstand zwischen sich und das Rathaus bringen.

Grunitzky kam mit zwölf Jahren nach Frankreich. Sein Vater war Botschafter von Togo, ein Mann, dem in Afrika eine große Zukunft vorhergesagt wurde. Jedenfalls bis der idealistische Mann sich mit dem togolesischen Diktator überwarf. Sein Geld steckte Grunitzkys Vater danach vor allem in die Ausbildung seiner Kinder, Grunitzky und seine Schwester landeten in einem französischen Internat, in dem es nur eine Handvoll schwarzer Schüler gab. Grunitzky las Camus und lernte französische Benimmregeln. In der Pause lachten die anderen Kinder über seine „Teppichhaare“.

Mit 15 Jahren ließ er sich Rastazöpfe wachsen und fing an, Hip-Hop zu hören. Der Vater tobte. Wenn seine Mitschüler in den Sommerferien nach Nizza und Hawaii flogen, reiste der junge Claude nach Togo, um seine Mutter zu besuchen. Seine Eltern waren nie verheiratet. Die Mutter, eine traditionelle Schneiderin, lebte in einer bescheidenen Hütte am ärmlichen Rand von Lomé. Grunitzky wechselte zwischen den Welten wie ein Astronaut.

Grunitzky sagt: „Ich habe mich mein ganzes Leben als Außenseiter gefühlt. Alles hat sich immer nur um eine Frage gedreht: Wie kann ich zum Insider werden?“

Wer Claude Grunitzky beobachtet, wie er durch die leeren Straßen von Le Havre marschiert, der muss sich ein bisschen wundern. Unter einem Netzwerkkönig hätte man sich einen anderen vorgestellt, einen Salonlöwen mit Einstecktuch vielleicht. Aber sicher keinen Mann, der allein ohne Mantel im Regen spazieren geht. An einer Ampel bleibt Grunitzky plötzlich stehen. Er überlegt. Eigentlich wollte er noch mit New York telefonieren. Dort ist es jetzt knapp sechs Uhr abends. Er könnte ein Taxi rufen, aber das würde fünf Minuten dauern. Warten hieße Stillstand. Grunitzky hasst Stillstand. Selbst um ein Uhr nachts.

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