Leadership & Karriere Wir haben Bill und Tom Kaulitz zum Bewerbungsgespräch getroffen

Wir haben Bill und Tom Kaulitz zum Bewerbungsgespräch getroffen

Bewerbungsgespräche sind nie leicht. Man präsentiert sich selbst auf dem Silbertablett und sitzt unbekannten Menschen gegenüber, die genau prüfen, ob man zum Team und Unternehmen passt. Dabei dreht sich alles um die richtigen Fragen – und die können manchmal echt abwegig sein. Die perfekte Ausgangslage für Business Punk, um bekannte Persönlichkeiten zum Bewerbungsgespräch einzuladen.

Schon als Teenager kannte sie die halbe Welt. Bei den US-Video Music Awards 2008 schlugen sie Taylor Swift und Miley Cyrus. Die Kaulitz-Brüder wurden unter den Augen der Öffentlichkeit erwachsen. Der Umzug nach Los Angeles war auch eine Reaktion auf die Verfolgung durch Fans und Presse.

Eins aber haben Bill und Tom Kaulitz, heute 33, nie erlebt: Ein Vorstellungsgespräch. Zumindest nicht auf der Bewerberseite. Denn heute beschäftigen sie als Unternehmer selbst mehr als 25 Menschen, unter anderem im Vertrieb von Kleidung. Das folgende Job-Interview ist also eine Premiere für die Tokio Hotel-Stars.

Herr Kaulitz, Herr Kaulitz, wie schön, dass Sie sich die Zeit nehmen! Wir wollen mehr über Ihre Persönlichkeit erfahren. Mit diesem Bild: Ein großer Schwarm Fische, wo schwimmen Sie? Vorne, hinten, gegen den Strom?

Bill: Gegen den Strom.

Tom: Aktuell tun wir das beide. Ich könnte aber auch mit dem Strom schwimmen. Vorne!

Bill: Ich fühle mich in Gruppen super unwohl.

Tom (grinst): Und die Gruppen mit ihm!

Bill: Bin ein totaler Einzelgänger, mag immer das Gegenteil. Das habe ich drin, seit ich ein kleiner Junge bin. Da präge ich Tom mit. Wenn ein Outfit alle gut finden, dann ziehe ich genau das andere an. Das ist so in allen Situationen meines Lebens.

Sie sind also ein Anti-Konformist. Ob das im Team funktionieren wird?

Bill: Ich ziehe auch Kraft aus Hass. Meine Herkunft ist ein Antrieb und Motor meines Lebens – ich wollte immer weg von der Tristesse, den grauen Mauern und Vorstadt-Ghettos.

In Magdeburg war das.

Bill: Wenn ich als Kind in Beverly Hills am Pool gelegen hätte, wer weiß.

Tom: Ich kann es mir ungefähr vorstellen!

Bill: Dann wäre ich jetzt schon zum sechsten Mal in der Betty Ford-Klinik zur Therapie. Aber ich ziehe aus meiner Vergangenheit viel Motivation. Ich wollte da immer weg und ich wusste, dafür muss ich extrem viel arbeiten.

Sie sind also niemand, der immer nur gelobt werden will?

Bill: Auf keinen Fall. Ich wollte nie jedem gefallen. Wenn Leute Dinge scheiße finden, mir etwas nicht zutrauen, dann will ich beweisen, dass es doch geht!

Was mögen Sie an Magdeburg?

Bill (lacht): Da muss ich überlegen… Meine Familie.

Tom: Dass es Teil unserer Geschichte ist.

Bill: Ja, ist es. Man kann seine Vergangenheit anders umarmen, wenn man Zeit vergehen lässt. Wir haben unsere Probleme mit dem Ort gehabt. Aber heute können wir Magdeburg in den Arm nehmen.

Auch wenn man heute viel mobiler arbeiten kann: Wo haben Sie Ihren Wohnsitz?

Bill: Wir sind ständig unterwegs, fühlen uns auch ganz schnell zu Hause. Dadurch dass wir, seit wir 15 waren, ständig auf Tour sind. Aber grundsätzlich leben wir in L.A. Da ist unser Wohnsitz, das ist unser Zuhause.

Tom: Beruflich sind wir aber auch oft in Berlin!

Haben Sie eine feste Wohnung in Berlin?

Bill: Nein.

Tom: Obwohl wir immer sagen, dass eine Wohnung hier Sinn machen würde.

Bill: Bei dem, was wir an Kohle rauskloppen für Hotels, da könnten wir uns eigentlich auch ein Haus kaufen.

Und das Hotelleben, das genießen Sie nach all den Jahren noch? In manchen Berufen gehört das ja dazu.

Bill: Nee, ich nicht. Du?

Tom: Ich auch nicht.

Bill: Das ist für mich immer automatisch Arbeit. Deshalb brauchen wir auch Hotels, die gut funktionieren. Man bucht ja beruflich anders, als wenn es eine Reise mit Freunden wäre. Zum Arbeiten kann es dann nichts so Cooles sein, kein Boutiquehotel. Wir buchen deshalb eher was… Schickes.

…Da müssen Sie beide lachen…

Bill: …Ich weiß ja, was die Leute immer denken. Aber es geht darum, dass wir manchmal um zwei Uhr nachts ankommen und dann etwas essen müssen. Das Boutiquehotel ist sicher cooler, aber da gibt es um zwei nachts nichts mehr zu essen.

Tom: Coole Hotels sind wirklich gar nicht mein Ding. Ich schlafe am besten in den Hotels, wo die Leute denken, das ist für so altbackene Geschäftsleute. Da fühle ich mich zu Hause. Da gibt es 24 Stunden Service, die kümmern sich ums Gepäck, ums Ein- und Auschecken. Man ist ja auch in einem Alter, wo man so ein paar kleine Beschwerden hat. Dann wachst du morgens auf und denkst: der Rücken! Weil das Bett scheiße war.

Oh, Sie sind auskunftsfreudig. Das hätte ich Sie als Personaler gar nicht fragen dürfen – es betrifft ja den Gesundheitszustand.

Tom: Ja, das haben wir jetzt freiwillig preisgegeben.

Bill: Tom hatte gerade Cluster-Kopfschmerzen. Und ich einen kleinen Eingriff, bei dem eine Krebs-Vorstufe entfernt wurde. Auf solche Dinge müssen wir jetzt achten, man muss zum Hautarzt, sich regelmäßig checken lassen.

Home Office oder zurück ins Büro?

Beide: Zurück ins Büro!

Bill: Das ist für uns leicht zu sagen, weil wir nie im Büro sitzen. Das war eher so eine kleine Erinnerung an unsere Mitarbeiter. Zurück ins Büro, ist auch schön!

Tom: Ich muss dazu ganz ernsthaft sagen: Ich arbeite besser in einem anderen Umfeld. Ich fahre lieber raus ins Studio. Wie beim Sportmachen, zuhause wird das nichts. Im Fitnessstudio schon.

Die Frage, vor der viele Angst haben: Was ist Ihre größte Schwäche?

Bill: Ich bin wahnsinnig ungeduldig. Warten, den Dingen Zeit geben. Daran muss ich arbeiten. Ich will alles immer schnell und sofort und gleich.

Tom: Ich bin zu perfektionistisch. Manchmal auch selbst mein größter Kritiker. Ich wünschte mir, ich könnte Sachen auch mal abgeben. Kontrollfreak, total!

Micromanager also – in alle Kleinigkeiten involviert.

Bill: Sind wir beide. Das ist schon schlimm. Auch bei uns im Team, da sind wir immer die letzte Anlaufstelle. Und viele sagen: Gib doch auch mal paar Sachen an andere ab.

Tom: Die Rolle wird aber auch immer wieder bestätigt, weil ich dann etwas finde, was falsch gelaufen ist.

Bill: Bei uns ist das eben auch persönlicher als bei einem klassischen Job. Unser Business ist unsere Persönlichkeit.

Ungeduldig haben Sie gesagt, wie äußert sich das?

Bill: Wenn mir die Leute sagen, lass mal eine Nacht darüber schlafen, dann nervt mich schon der Satz. So will ich nicht aus einem Meeting rausgehen. Worüber will man denn schlafen? Lasst uns bitte aus dem Meeting rausgehen und sagen können: So wird’s gemacht. Ich bin da ein totaler Bauchmensch. Da mache ich auch Fehler. In solchen Momenten hätte ich dann doch vielleicht lieber eine Nacht drüber geschlafen. Aber ich weiß dass ich aus dem Bauch heraus mal ein bisschen voreilig entscheide. Dann bin ich selber schuld. Ich will alles sofort und gleich. So bin ich auch außerhalb vom Beruf. Wenn ich in einem Laden bin und die haben etwas nicht mehr in der 46, können es aber bestellen. Das habe ich noch nie gemacht!

Tom: Nee, ich auch nicht.

Wir arbeiten heute ja viel mit Social Media, mit Algorithmen, die dir ständig mitreißenden Content kuratieren, die genau wissen, was dich an den Haken bekommt. Wird die Ungeduld dadurch schlimmer?

Bill: Ich glaube schon… Obwohl, wenn ich mir zum Beispiel Toms Kinder anschaue, seine Stiefkids, dann bin ich im Vergleich schon sehr slow. Ich gucke vielleicht Serie, bin nebenbei noch am Telefon. Denke mir: Du musst dich doch mal auf eine Sache konzentrieren. Aber wenn ich bei Leni oder Henry aufs Telefon gucke und sehe, wie schnell die das bedienen… So schnell funktionieren meine Augen gar nicht.

Tom: Das ist eine Generation, die damit aufwächst. Ich bin da total langsam und unmodern.

Bill: „Ihr seid solche Boomer, checkt gar nichts“, sagen die dann zu uns. Tom ist wirklich langsam. Er ist auch niemand, der sofort zurückschreibt. Kein Instagram, E-Mail kann auch mal liegenbleiben. Das kann ich nicht.

Wie kommts?

Tom: Peace of Mind. Ich habe mich mal dafür entschieden und das bis heute beibehalten. Ich bin ja in der glücklichen Situation, das andere das für mich machen. Bill macht den Band-Account, Gustav und Georg auch. Dazu die privaten Accounts.

Bill: Da lässt du sehr viel Geld liegen. Ich will gar nicht wissen, wie viel Kohle du mit einem Instagram-Account machen könntest. Werbung, Kooperationen… Weil du auch das nicht nötig hast, du arrogante…

Tom (lacht): Das ist total okay für mich, das Geld liegen zu lassen. Meine Frau zum Beispiel liebt ja auch Instagram

So kann man es ausdrücken. Heidi Klum hat auf Instagram ziemlich genau zehn Millionen Fans. Färbt das nicht ab?

Tom: Ich habe ernsthaft kein Interesse daran. Ich hasse Fotoshootings. Nie Interesse daran gehabt.

Bill: Ich liebe Fotoshootings total!

Tom: Auch rote Teppiche hasse ich. Wenn es eine Social Media-Plattform gäbe, wo ich meine Produzenten-Skills teilen kann, da wäre ich dabei.

Sie ziehen da also eine Grenze für sich, dass Ihnen die Zeit im analogen Leben mehr bedeutet?

Tom: Das auch. Und weil ich glaube, dass man sich verrückt macht, wenn man die ganzen Sachen liest, die über einen geschrieben werden. Ich habe mich nie gegoogelt, nie gelesen, was über mich auf Twitter geschrieben wird, außer natürlich für unseren Podcast.

Das leitet perfekt zu meiner nächsten Frage an Sie über: Stehen Sie denn gerne in der Öffentlichkeit?

Bill: Ich kann mich kaum an das Leben davor erinnern. Wir stehen jetzt den größeren Teil unseres Lebens in der Öffentlichkeit. Und davor waren wir Kinder, keine ausgewachsenen Menschen. Es gehört für mich einfach dazu. Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, dann sind die genervter davon als ich selbst. Sagen mir: Ich könnte das nicht, würde sagen, dass die Leute sich verpissen sollen. Aber mich strengt das gar nicht an. Es ist wie für andere Autofahren, dass mich jemand nach einem Foto oder nach einem Autogramm fragt.

Tom: Ich denke auch nicht in dem Schema: Wir sind jetzt in der Öffentlichkeit, deshalb kann ich bestimmte Sachen nicht machen. Ich mache mir das nicht bewusst. Und will mich auch nicht einschränken, was ich sage oder wie ich lebe. Aber ich könnte nie sagen: Ja, ich bin gerne eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Das gehört dazu, ja. Aber ich würde nie in der Öffentlichkeit stehen wollen, ohne die Sachen, die mir wirklich wichtig sind: die Musik.

Sie haben schon früh negative Erfahrungen gemacht. Ich habe gelesen, dass sie Ihren 16. Geburtstag mit einem Magazinteam feiern mussten. Und nur, weil die sie mit angeblichen Negativgeschichte erpresst haben.

Bill: Furchtbar, ja! Früher wurden immer solche Deals gemacht. Wir haben da noch eine Schlagzeile in der Hinterhand, gebt uns doch morgen mal ein Exklusivinterview. Irgendwann sagst du dir aber: Scheiß drauf! Die bringen ihre Schlagzeile am Ende sowieso.

Tom: Diese Boulevardmedien verkaufen dir auch keine einzige Platte. Das lernt man mit der Zeit.

Dass Sie heute über den Podcast oder Social Media direkt an das Publikum herantreten können, ist eine Umkehr der Machtverhältnisse. Jetzt können die Boulevardmedien Ihren Posts nur noch hinterherhecheln. Die Deutungshoheit haben sie verloren.

Bill: Das ist natürlich schon cool, dass wir eigentlich gar keine Interviews mit irgendwem mehr machen müssen. Was wir im Podcast erzählen, ist unser direkter Draht zu den Menschen.

Genugtuung, dass die Yellow Press ihr Geschäftsmodell verliert, unter dem Sie mal gelitten haben?

Bill: Nicht unbedingt Genugtuung, aber das Gute ist: Man hat die Leute so ein bisschen bei den Eiern. Ob es Zollbeamte sind oder Redakteure, die ein Interview mit uns machen. Die sagen dann: Aber bitte erwähnt meinen Namen nicht im Podcast. Die Leute wissen jetzt: Ich kann nicht einfach so etwas schreiben, das gar nicht passiert ist. Weil wir im Podcast damit aufräumen.

Ich bin jetzt extra gespannt auf die nächste Folge! Und wegen dem Job: Wir melden uns dann zeitnah bei Ihnen!

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