Und plötzlich stand der TÜV vor der Tür
Freitag ist Bürokratie-FREI-Tag. In unserer Serie berichten wir heute von einem pfiffigen, äußerst nachhaltigen Kleinbetrieb, der plötzlich mit absurden Vorschriften konfrontiert wird, die ihn völlig überfordern.
Es ist manchmal nur indirekt der Staat, der kleinen und mittleren Unternehmen das Leben schwermacht durch einen Wust an Vorschriften, Verwaltungsanordnungen und Prozeduren. Gern gibt die Bürokratie auch Verantwortlichkeiten weiter; das derzeit berühmt-berüchtigtste Gesetzeskonvolut firmiert unter dem Namen Lieferantenketten-Nachweis. Starre Vorgaben stoßen auf eine schlicht nicht vorgesehene Realität. Das erfuhr schmerzlich ein kleiner Dienstleister in Bayern, der sich unversehens mit fast schon irre erscheinenden Anforderungen auseinandersetzen musste.
Wer sich kundig machen möchte über das kleine Unternehmen „Mattenklinik“, eine GmbH mit zwei Gesellschaftern, findet im Internet eine Webseite, die alle Facetten dieses Münchener Dienstleisters aufführt. Grundlage des Business ist eine Idee des Geschäftsführers Burhan Kilik, typisch eigentlich für Gründer in Deutschland: Eine innovative Methode, mittels einer selbst entwickelten Maschine abgenutzte Aluminium-Fußmatten zu erneuern. „Die sehen anschließend aus wie neu“, sagt Kilik und verweist auf zahlreiche Firmenkunden im Raum Bayern, die sein Unternehmen betreut. Die Kostenfrage bei solchen Alltagsartikeln ist in der Tat nicht so ohne. Anders als man annehmen möchte, ist die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Fußabtretern nicht eben billig. Einige hundert Euro kann so ein Exemplar kosten, und in größeren Betrieben, Kaufhäusern oder Werkstätten kommen da leicht vier- bis fünfstellige Beträge zusammen. Die Sanierung durch die Mattenklinik kostet einen Bruchteil der Neuanschaffung. Wenn das nicht mehr lohnt, liefert die Firma auch Neuware. Flexibel und kundenorientiert, sagt der Unternehmer. Kilik und seine Mitgesellschafterin arbeiten mobil und tun alles weitere im Homeoffice, dem Sitz der Firma. Kein Verwaltungs-Wasserkopf, keine teuren Extrawünsche.
Doch dann mischte die der TÜV Süd ein. Ein von dem technischen Prüfungsunternehmen beauftragter Dienstleister stand eines Tages vor der Tür, um eine Liste an Anforderungen abzuhaken. Hintergrund: Ein großer Discounter hatte, um seinen ausgesuchten Lieferanten genauer unter die Lupe zu nehmen, den TÜV mit der Untersuchung beauftragt. Mutmaßlich, um sich selbst abzusichern, dass beim Mattensanierer alles mit rechten Dingen zugeht. „Also keine Kinderarbeit stattfindet oder ähnliches“, so Burhan Kilik ironisch zu der nun folgenden Überprüfung, genannt „Lieferantenaudit“. Zu klären war da einiges, anhand der Problemliste zum Abhaken, gespeichert auf dem iPad der Prüferin.
Zunächst einmal die Frage, ob denn alle Elektrogeräte zertifiziert seien? Nein? Dann müsse ein Elektriker her für Computer, Drucker und Aktenvernichter – die Aufzählung ist bereits vollständig. Erste Hürde für die Mattenklinik: Kein Elektriker kommt für solchen „Kleinkram“ ins Haus: „Und das habe ich dann der Dame gesagt, gute Frau, ich habe jetzt acht Firmen angerufen und gesagt ich möchte, dass ich geprüft werde, dass meine Geräte geprüft werden, ohne Erfolg“ – „Ja, da müssen sie sich halt weiter bemühen“. Das Problem harrt noch seiner Lösung. Als nächstes: Ob man denn einen Betriebsarzt habe? Erkennbarer Nonsens, der Zweimannbetrieb kann sich schlicht nicht vorstellen, einen sich langweilenden Mediziner mit ins Büro zu setzen. Man hofft nun darauf, dass der TÜV sein Audit trotzdem positiv abschließen wird. Aber das war noch längst nicht alles.
Denn es wird auch ein Erste-Hilfe-Kurs verlangt. Den soll mindestens einer der Gesellschafter absolvieren, zehn Abende zum Beispiel beim Roten Kreuz. Der Verweis auf die vorhandenen Führerscheine und den Erste-Hilfe-Kurs zur Fahrprüfung – keine Chance. Dann zur Gefahrenabwehr: „Ja, Sie da bräuchten für jedes Gerät, was Sie benutzen, auch beim Drucker ein Merkblatt, – da hat sie mir als Beispiel ausgedruckt, dass eine Druckerpatrone giftig ist und dass ich beim Einsetzen der Druckerpatrone vorsichtig sein soll“. Und das müsste ich ausdrucken, einordnen und jeder Mitarbeiter soll das unterschreiben. Ebenso wie die Unterrichtung über den Gebrauch von Teppichmessern, Kabeltrommeln oder Leitern.
In der Zeit, sagt Kilik, die sein kleines Büro mit dem Herunterladen von Zertifizierungsdokumenten, mit Telefongesprächen und persönlichen Meetings zugebracht hat, hätte man sicherlich schon mal einen Erste-Hilfe-Kurs unterbringen können. So aber ging es an die Beschaffung von Bestätigungen der Berufsgenossenschaft; dann die Unbedenklichkeit mit Brief und Siegel vom Finanzamt, vom Gewerbeaufsichtsamt, von der Krankenkasse.
Derweil empfiehlt der TÜV seine Herz-und-Nieren-Lieferantenprüfung wärmstens:
„In diesem Audit werden alle – nach Ansicht des Kunden erforderlichen – Bedarfe zur Verbesserung von zum Beispiel Managementsystem, personelle oder technische Ausstattung niedergeschrieben. Durch den detaillierten Einstieg in die Wertschöpfungsprozesse des Lieferanten (FMEA) werden häufig Lücken und Verbesserungspotentiale aufgedeckt“, so vornehm-verbindlich liest sich das auf der Webseite des TÜV Süd.
Was passiert, wenn die hochtrabenden Management-Buzzwords sich in eine Art galoppierenden Amtsschimmel, wenn auch ohne Amt, verwandeln, das hat Burhan Kilik nun erst einmal erlebt – das Ergebnis des Audit steht in diesen Tagen noch aus. Je nachdem, ob die outgesourcte Bürokratie in allen Etappen Realitätssinn aufbringt oder nicht, wird es ein günstiges Urteil geben – oder eben nicht. Kilik wird es halt nehmen, wie es kommt, und am Ende wird man beim möglichen Kunden, der Discounterkette, vielleicht das Groteske an der ganzen Geschichte auch selbst erkennen.