„Es gibt keinen Anspruch auf Abfindung“
Durch die Industrie schwappt eine Kündigungswelle. Jeden kann es treffen. Welche Rechte haben Mitarbeiter? Was dürfen Arbeitgeber? Michael Fausel von der Kanzlei BLUEDEX in Frankfurt am Main ist Spezialist für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht sowie Arbeitnehmerentsendung. Der promovierte Jurist ist vom Branchenmagazin „Kanzleimonitor“ als meistempfohlener Arbeitsrechtsanwalt ausgezeichnet worden.
Das Gespräch führte Oliver Stock.
Herr Fausel, derzeit schwappt eine Entlassungswelle durch die Industrie. Teilweise werden Abfindungen von bis zu 500 000 Euro bezahlt, wie etwa bei Mercedes. Gibt es eigentlich ein Anrecht auf Abfindung?
Nein. Es gibt in Deutschland keinen Anspruch auf eine Abfindung. Es gibt nur ein Arbeitsverhältnis, oder es gibt eben keines. Wer eins hat und wem gekündigt wird, der kann eine Kündigungsschutzklage einlegen. Damit beginnt dann die Diskussion. Der Arbeitgeber muss sich überlegen: Wieviel ist es mir wert, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird? So kommt es dann meistens zu einem Vergleich. Und der endet mit einer Abfindung.
Wie hoch fällt die in der Regel aus?
Standardmäßig nehmen Gerichte den Faktor 0,5. Das heißt: Man nimmt die Jahre der Betriebszugehörigkeit mal dem Bruttomonatsgehalt und multipliziert das mit dem Faktor 0,5. Wer zehn Jahre monatlich 5 000 Brutto bekommen hat, kommt dann auf 25 000,- Euro Abfindung. Der Faktor hängt aber ab von der Region und auch von der Konjunktur. Und natürlich richtet sich der Betrag nach den Erfolgschancen einer Kündigung. Hat ein Arbeitnehmer einem Kollegen eine reingehauen und wird fristlos gekündigt, sind die Chancen auf eine hohe Abfindung schlecht.
Und das geht immer so?
Nein, bei größeren Unternehmen, zum Beispiel bei Konzernen mit Betriebsrat gibt es bei Betriebsänderungen eine Pflicht zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und zum Abschluss eines Sozialplans. Da steht dann am Ende auch drin, um wie viel Geld es geht. Der Betriebsrat handelt das aus. Am Ende steht dann eine Summe im Sozialplan, von der die Mitarbeiter sagen: Auf dieser Basis verlasse ich das Unternehmen freiwillig und nehme das Geld mit. So etwa dürfte es bei Mercedes gelaufen sein.
Ohne Sozialplan gibt es in solchen Fällen keine Kündigung?
Normalerweise ist die Kündigung im Rahmen eines Sozialplans immer nur der zweite oder dritte Schritt. Meistens geht es erst um sogenannte freiwillige Maßnahmen: Wenn die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter zusagt, zahlt der Arbeitgeber eine Summe X, und es kommt zur einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsvertrags. Anhand der freiwilligen Absprache prüft der Arbeitgeber dann, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter springen würden. Erst wenn das nicht ausreicht, kommt es direkt zur Kündigung. Das freiwillige Verfahren hat aber aus Arbeitgebersicht den Haken, dass meistens die High Performer als Erstes gehen, weil die schnell einen neuen Job finden.
Gibt es eigentlich einen Standard bei den Kündigungsfristen?
Es gibt Fristen, die vertraglich fixiert sind. Unterliegt das Arbeitsverhältnis einem Tarifvertrag, dann stehen da die Kündigungsfristen drin. Ansonsten gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen, die gestaffelt sind nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Ab fünf Jahren Betriebszugehörigkeit gelten zum Beispiel zwei Monate zum Monatsende, ab acht Jahren sind es schon drei.
Sind Mitarbeiter in Konzernen besser geschützt als in kleinen Unternehmen?
Konzerne brauchen beim Stellenabbau vor allem eines: Rechtssicherheit. Die bekommen sie aber, wenn es um betriebsbedingte Kündigungen geht, nur dann, wenn sie ganze Standorte schließen und damit die Stellenstreichung begründen. Geht es um Einzelmaßnahmen oder eben um Kündigungen von vielen, aber nicht allen Stellen, schreibt das Gesetz dem Arbeitgeber vor, eine Sozialauswahl zu treffen. Er muss also zum Beispiel nach Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, und Schwerbehinderung differenzieren und darlegen, warum es ausgerechnet welchen Mitarbeiter trifft. Das geht in der Regel nicht so einfach und der Arbeitgeber hat keine Rechtssicherheit, dass er seine Pläne durchsetzen kann. Deswegen sind in Konzernen die Abfindungen oft deutlich höher als bei kleinen Unternehmen. Statt mit dem Faktor 0,5 wird dort auch mal mit dem Faktor drei multipliziert.
Lohnt sich das denn für die Konzerne, wenn Abfindungen von bis zu 500 000 Euro an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlt werden?
Viele Konzerne haben zu viel Personal. Entweder, weil sich die Auftragslage verschlechtert hat oder weil zum Beispiel durch Digitalisierung und KI bestimmte Jobs wegfallen. Die Konzerne rechnen dann nicht von heute auf morgen, sondern langfristig. Wenn sie jemanden, der 100 000 Euro verdient, mit 500 000 Euro abfinden und er oder sie geht, dann lohnt sich das spätestens im sechsten Jahr. Außerdem spart der Arbeitgeber sofort die Sozialversicherungsbeiträge. Der Sozialplan wird auch fast immer aus einem Sondertopf bezahlt.
Sie beraten viele Konzerne. Welche Rolle spielt derzeit das Thema Frühverrentung?
Es geht oft darum, eine sogenannte Rentenbrücke zu bauen. Die besteht aus verschiedenen Bausteinen: Oft kann der Arbeitnehmer erstmal für bis zu zwei Jahre für das gleiche Gehalt in eine Transfergesellschaft wechseln. Sie wird von der Bundesagentur für Arbeit bezuschusst und dient an sich dazu, den Mitarbeiter für andere Jobs zu qualifizieren. Tatsächlich ist es aber oft nur eine Brücke zum Rentnerdasein. Nach zwei Jahren rutscht der Arbeitnehmer dann in die Arbeitslosigkeit und erhält vielleicht zusätzliche Zahlungen, die seinen Gehaltsverlust ausgleichen. Das kann noch einmal zwei Jahre so gehen, bevor dann die Regel-Rente einsetzt, die er in so einem Fall ohne Abschläge bekommen würde.
Stellenabbau, Kündigungen, Abfindungen – wie beurteilen sie das? Ist das Verfahren gerecht?
Gute Frage… die Fähigkeiten der Arbeitnehmer-Anwälte sind sehr, sehr unterschiedlich. Wenn schlecht verhandelt wird, kann die Welt sehr ungerecht sein. Ich kenne Fälle, da handeln Arbeitnehmeranwälte fröhlich 20 000 Euro raus, obwohl 100 000 drin gewesen wären. Die Richter machen in der Regel mit, weil sie den Vergleich wollen.
Erinnern Sie sich an krasse Fälle aus ihrer Praxis?
Auja, etwa der einer BWLerin, Anfang 30, und eine wirklich schwierige Person. Sie hat alles stets in Frage gestellt und ist in den seltensten Fällen dazu gekommen, wirklich ihrer Arbeit nachzugehen oder ihre Aufgabe zu lösen. Mit ihren Nachfragen hat sie am Ende beinahe den ganzen Konzern geschreddert. Sie hat ihren Wahnsinn ausgelebt und reihenweise Chefs vernichtet. Der Arbeitgeber hat uns dann beauftragt, ihr rechtskräftig zu kündigen. Die Dame hätte eine halbe Million Euro Abfindung mitnehmen können, aber sie hat abgelehnt. Das Ganze hat sich über Jahre und zwei Instanzen hingezogen. Am Ende hat sie gar nichts bekommen.
Das ist ein langer Weg. Klingt nach viel Bürokratie…
… es wäre wünschenswert, wenn wir Rechtswege abkürzen könnten, weil das zur schnelleren Rechtssicherheit für beide Seiten führen würde.