Leadership & Karriere Retter oder Spalter – wie tickt Herber Kickl?

Retter oder Spalter – wie tickt Herber Kickl?

Wäre es nach den anderen Parteien gegangen, hätte es so weit nie kommen sollen. Herbert Kickl von der rechten FPÖ soll eine Regierung in Wien bilden. Doch die anderen müssen bei aller Distanz einräumen: Das Wahlergebnis spricht für den Mann aus Kärnten. Wer ist er wirklich?

Wer ist Herbert Kickl, fragen sich die Deutschen, seit der österreichische Bundespräsident Alexander von der Bellen ihn nun doch mit der Regierungsbildung in Wien beauftragt hat. „Nun doch“ muss es heißen, weil Kickl und seiner FPÖ zwar die Wahlen im September deutlich für sich entschieden hatten, der Präsident den Politiker aber nicht die Regierungsbildung anvertraue wollte, weil er ihn für jemanden hält, der „ausgrenzt“ und Gesellschaften spaltet. Mit dieser Strategie ist von der Bellen gescheitert, weil sich die anderen Parteien nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. Nun also doch: Kickl.

Wer ist das? Ist er der „rechtsextreme Politiker“, der Ausgrenzer und Spalter, als der er bezeichnet wird? Die Legenden um seine Person, die je nach Perspektive mal und mal so ausfallen, die ihn mal als schlimmste Gefahr für die Demokratie und mal als strahlenden Helden und Retter der Demokratie darstellen, lassen immerhin einen Schluss zu: Kickl schillert in allen Farben.

Der Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs, der es sogar mal bis zum Innenminister geschafft hatte, wo ihm aber die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, als erster österreichischer Minister überhaupt vom Kanzler entlassen zu werden, kann sich mit solchen Schlagzeilen auseinandersetzen: Die Süddeutschen Zeitung beschreibt ihn als Politiker „ohne Verfassung“, da er das Recht der Politik unterordnen wolle und wie Viktor Orban in Ungarn oder Jaroslaw Kaczynski einst in Polen „eine politische Mehrheit als Freibrief für alles“ verstehe. Die Kritik zielt auf Kickls Monate als Innenminister, wo er in der Migrationspolitik über Ziel hinausschoss. Noch weiter geht die Zeit, die ihn kurzum zum Björn Höcke von Österreich erklärt, sich aber im gleichen Beitrag, der nach den jüngsten Nationalratswahlen in Österreich, erschienen ist, dann doch irrte, in dem sie schrieb, er habe keine Chance Kanzler zu werden. Wer sich dagegen eher auf der rechten Seite wie beispielsweise in der Schweizer Weltwoche informiert, bekommt Kickl als Anführer eines „Aufstands der Bürger gegen die Arroganz der Eliten“ präsentiert.

Wer Kickl mal getroffen hat, erlebt auf den ersten Blick einen asketisch wirkenden Mann, dem sein Hang zum Extremsport anzusehen ist. Er hat mehrmals den Celtman Xtreme Triathlon in Schottland absolviert (3,4 Kilometer durch den Atlantik schwimmen, 200 Kilometer Radfahren, knapp 1000 Höhenmeter Marathonlauf) und ist dabei in der vorderen Hälfte gelandet. Kickl spricht fast spröde, ist kein Bierzelt-Matador, hat sich im Laufe der politischen Karriere eine Art intellektuelle Aura zugelegt – die allerdings nicht ganz dazu passt, dass es mit dem Studienabschluss in Philosophie und Geschichte nie geklappt hat. Da dieses Detail oft von rechter Seite an die Linke gereicht wird, wo auch viele Studienabbrecher politisch unterwegs sind, gehört es hier ebenfalls erwähnt.

Wer will, kann in dem 56jährigen gebürtigen Kärtner einen Populisten sehen, neutraler formuliert spricht er die Themen auf seine Weise an, die den Österreichern – und nicht nur ihnen – unter den Nägeln brennen: Die Haltung zu Russland und dem Ukraine-Krieg? Kickl verlangt „Verständnis“ auch für Russland und kritisiert mit Hinweis auf Militäraktivitäten der USA „die Einseitigkeit“ der Debatte sowie eine mangelnde Verurteilung der USA. Er liegt damit noch auf einer Welle wie BSW und AfD in Deutschland, geht im konkreten Fall jedoch weiter: Als die Ukraine jüngst ankündigte, von diesem Jahr an kein russisches Gas mehr nach Österreich leiten zu wollen, ging Kickl jedoch auf die Barrikaden. Dass die Ukraine den Durchleitungsvertrag mit der russischen Gazprom nicht verlängere, sei ein „Anschlag auf Energieversorgung, Wohlstand und Zukunft der Österreicher”. Er rechnete deswegen den Gas-Deal gegen die Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge und Hilfszahlungen Österreichs an Kiew auf: „3,51 Milliarden Euro an Steuergeld hat die Regierung bisher für die Ukraine aufgebracht, rund 70.000 Ukrainer wurden wiederum auf Kosten der Bevölkerung aufgenommen und zum ‚Dank‘ dafür will das Selenskyj-Regime den Österreichern die Gasversorgung kappen.“

Migration ist auch ein Thema, bei dem es mit Kickl durchgeht, wenn er davon spricht, Asylbewerber „konzentriert an einem Ort zu halten“. Die Wortwahl ist tatsächlich Björn-Höcke-reif, weil Kickl wie Höcke bewusst Begriffe nutzen, die wegen der Nazi-Vergangenheit beider Länder zu Recht verpönt sind. Wirtschaft? Kickl kommt hier mit der Hoffnung aller Konservativen um die Kurve: Die Abgabenquote soll unter 40 Prozent fallen, was einen Investitionsboom auslösen soll, der dann wiederum dafür sorgt, dass die Steuerausfälle kompensiert werden. Soziales? Kickl spielt die nationale Karte: Sozialleistungen soll es nur noch für österreichische Staatsbürger geben. Dass die EU ein Asylrecht mit entsprechender Unterstützung kennt – ihm ist das egal.

Überhaupt die EU. Ausführlich widmet sich Kickl der Europapolitik. Wenn er Kanzler wird, zählt sein Wort als Mitglied im Europäischen Rat, dem obersten EU-Gremium, in dem sich die  Regierungschefs der Mitgliedstaaten gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen regelmäßig treffen. Und da dürfte er es halten, wie sein geographischer Nachbar und Bruder im Geiste, Ungarns Regierungschef Victor Orbán: Bei zentralen EU-Fragen droht Kickls Einspruch. Das gilt etwa bei Beschlüssen zum regulären EU-Budget. Im angelaufenen Arbeitsjahr 2025 stehen eine Reihe von Abstimmungen bevor. Die Ukraine ist Dauerthema bei EU-Gipfeln. Im Frühjahr wird der aus Österreich stammende EU-Innenkommissar Magnus Brunner neue Pläne zur Asyl- und Migration vorlegen. Ende 2025 starten die Verhandlungen über das nächste langfristige EU-Budget ab 2028. Kickl persönlich hat mit Orbán und dem früheren tschechischen Premier Andrej Babiš kurz vor den EU-Wahlen im vergangenen Mai in Wien ein „Patriotisches Manifest“ aus der Taufe gehoben, das die EU als Union mit dem Euro als Kern der Währungsunion und auch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik grundsätzlich infrage stellt. Das Manifest diente nach den Europawahlen als Grundlage bei der Bildung der Fraktion „Patrioten für Europa“ in Brüssel. Ihr gehören neben der FPÖ eine Reihe EU-skeptischer bis extrem rechter Parteien in Europa an, die Lega aus Italien ebenso wie die Vox aus Spanien oder der Freiheitspartei von Geert Wilders in den Niederlanden oder die Bewegung von Marine Le Pen in Frankreich. Auch die Fidesz Orbáns schloss sich im Juli dem von ihrem Chef mitverfassten Text an.

Österreichs langjähriger Bundespräsident van der Bellen, von Kickl schonmal als „Mumie in der Hofburg“ bezeichnet, erinnerte in diesen Tagen deswegen daran, dass einer seiner Vorgänger bereits im Jahr 2000 beim Antreten der ersten Regierung, an der die FPÖ damals beteiligt war, in einer „Präambel“ zum Regierungsprogramm einzementierte: Jede österreichische Regierung müsse im europäischen Geist handeln, die seit dem EU-Beitritt eingegangenen Verpflichtungen und auch die langfristigen gemeinsamen Zielsetzungen mit Überzeugung umsetzen. Ähnliches könnte der Bundespräsident auch jetzt durchsetzen wollen.

Seine größte politische Krise erlebte Kickl im Mai 2019. Damals gelangte ein Video vom Sommer 2017 an die Öffentlichkeit, in dem der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache unter anderem darüber sprach, dass große Parteispenden am Rechnungshof vorbei geschummelt werden könnten. Kickl war als Innenminister, der gleichzeitig FPÖ-Generalsekretär war, für die Finanzen der Partei hauptverantwortlich und wurde deswegen von Kanzler Sebastian Kurz entlassen. Die Kickl-Krise dauerte nicht eine Woche. Ende Mai zog Kickl wieder als Nationalratsabgeordneter ins Parlament ein und wurde geschäftsführender FPÖ-Chef.

Wer also ist Kickl? Gemessen, an den Wählerinnen und Wählern, die hinter ihm stehen, auf jeden Fall der derzeit erfolgreichste österreichische Politiker. Seine FPÖ ist seit dem Jahr 2000 bereits dreimal als Juniorpartner in einer von der Österreichischen Volkspartei geführten Bundesregierung vertreten. Diesmal käme es zum Rollentausch – mit den Konservativen als Juniorpartner und der FPÖ als Kanzlerpartei. Denn die Freiheitlichen legten bei der Wahl im September um fast 13 Prozentpunkte zu und holten mit knapp 29 Prozent die meisten Stimmen. Die ÖVP hingegen verlor gut 11 und kam nur auf rund 26 Prozent. Die SPÖ erreichte etwas über 21 Prozent. Zunächst wollte niemand mit den Rechtspopulisten regieren. Doch die Gespräche über eine Regierung aus den Mitte-Parteien scheiterten und der bisher im Amt geblieben Kanzler Karl Nehammer trat am Sonntag endgültig zurück.

Und eine Privatfehde hegt Kickl auch – wie bei so vielen geht die gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann, der wie Kickl selbst auch gerne heftig austeilt, dabei aber nicht Politiker oder gar Minister sondern nur Moderator ist. Im Satz Böhmermanns „Liebe Zuschauer*innen, bitte nicht vergessen: Nicht immer die Nazikeule rausholen, sondern vielleicht einfach mal ein paar Nazis keulen“ in einer ZDF-Sendung vom Februar 2024, sah Kickl einen Aufruf zur Tötung von Politikerinnen und Politikern der AfD und der FPÖ“. Die Staatsanwaltschaft Mainz folgte Kickl aber nicht: „Vor dem Hintergrund des Gesamtkontextes und des Inhalts der Sendung, greift letztlich eine Interpretation der Aussage als Mordaufruf zu kurz“, richtete sie Kickl aus.

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