Life & Style „Die Songs kannte nicht mal unser Management“

„Die Songs kannte nicht mal unser Management“

Wie haltet ihr es mit KI – wie viel fließt davon schon in eure Songs? 

Tom: Boah, ich habe ja nicht mal einen Instagram-Account. Ich bin ja total oldschool, was das angeht. Entschuldigung, aber ich stelle mir ja noch so einen Wecker auf dem iPhone zum Beispiel (es klingelt im Augenblick). Es gibt so die Momente, wo uns Produzenten, andere Songwriter und Musiker Sachen vorspielen und wir uns das anhören und sagen: „Guck mal, wie krass ist das denn.“ Diese Momente gibt es in letzter Zeit viel. Auch, dass manche sagen: „Ey, du brauchst gar nicht mehr mit Bill ins Studio. Wir haben so viel Audiomaterial, sowohl gesprochen durch unseren Podcast als auch gesungen. Man könnte damit die KI füttern.“ Natürlich! Zurzeit sehen wir das aber noch eher als einen Gag, als dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen: Ist das gut, ist das bedrohlich, ist das cool?

Bill: Neulich hat es mir jemand empfohlen. Ich musste etwas für eine Kolumne schreiben und überlegte, wie fange ich jetzt an? Und alle: Lass das doch einfach von der KI schreiben. Da denke ich: Hä?! Ich schreibe doch total gerne, ich will das ja gar nicht irgendwo eingeben, sondern ich mache es wirklich gerne selbst, auch bei unseren Songs. Klar, wir könnten das machen, doch wüsste ich momentan nicht, wie. Aber wirklich: Ich mache es einfach zu gerne selbst und mag es nicht, das jemand anderem zu überlassen. Ich kann ja schon schwer Aufgaben innerhalb des Teams abgeben, geschweige denn irgendeiner App oder künstlichen Intelligenz.

Georg: Für unsere Firmen setzen wir es aber schon ein. Gerade bei unserer Textilfirma für die Erstellung von Pitch-Decks ist Mid-Journey ein Riesenthema. Wir probieren es aus und beobachten dabei auch sehr genau das Umfeld. Denn das ist eine Entwicklung, die bald einfach zum Alltag gehören wird, und der wollen wir nicht hinterherlaufen. Es erleichtert einem ja auch zum Teil die Arbeit, und Skills können optimiert werden. Diese Angst, dass Menschen ersetzt werden, ist aus meiner Sicht unbegründet. Es werden eher mehr Menschen benötigt, die genau wissen, wie es funktioniert.

Wenn also ein KI-Algorithmus eure Songs schreiben würde, welche Zeile würde dabei herauskommen? 

Tom: Wenn man alle unsere Songs bei der KI hochlädt, würde auf jeden Fall irgendwas mit „Door“ herauskommen. Auf unseren ersten Alben kam das Wort sehr oft vor, auch „Home“ und „Running“. Daher wäre wahrscheinlich die Zeile: „Durch die Tür ab nach Hause, running through the door.“ Das ist mega spannend! Früher haben wir viel über Türen geschrieben, heute viel über Home. Vielleicht, weil wir uns mittlerweile einfach wahnsinnig angekommen fühlen in dem, was wir machen. Sowohl als Band als auch als Menschen im privaten Leben. Und wir mittlerweile das Gefühl haben, wir sind zu Hause, wir sind angekommen. Früher ging es halt viel um Laufen und Türen. Das war uns nie bewusst.

Bill: Das ist echt ein gutes Beispiel. Der KI wäre es wahrscheinlich aufgefallen und wir hätten weniger über Home, weniger über Türen geschrieben. Aber das entsteht ja aus einer Emotion heraus, und ich gucke natürlich nicht, was ich schon viel verwendet habe, sondern das ist mein Gefühl. Ich frage ja nicht den Algorithmus, wie oft kam das schon vor? Wir schreiben aus einer Emotion heraus.

Letzte Frage. Was waren die Fehler, die ihr bereut bzw. aus denen ihr gelernt habt?

Bill: Wenn wir einen Fehler gemacht haben, den ich ein bisschen bereue, dann der, dass wir zu einer bestimmten Zeit zu wenig genossen haben, als sehr, sehr viel auf uns einprasselte. Einfach aus Überforderung. Wir waren damals zu einem Zeitpunkt in Amerika, wo es gerade gezündet ist. Gleichzeitig hatten wir in Europa eine mega Karriere und standen zwischen den Stühlen. Wir sind ein bisschen zu früh aus Amerika abgereist. Rückblickend würde ich sagen, wir hätten ein bisschen mehr investieren sollen in Amerika, in die musikalische Karriere 2008. Ansonsten lebe ich überhaupt nicht mit Regrets, ich gucke ganz, ganz selten zurück. Und wenn ich mich selbst in den Salat setze, kann ich damit gut leben. Wenn das andere machen, wird das schwieriger für mich. Aber wenn ich das selber verhauen habe, dann denke ich so, okay, das war eben einfach so, wie ich es gefühlt habe zu der Zeit.

Tom: Also eine Sache, die jetzt Georg und Gustav wahrscheinlich auch im Kopf haben ist, dass die ersten Verträge, die wir als Band unterschrieben haben, einfach voller fieser Fehler waren, unter denen wir teilweise noch heute leiden. Die wir auch heute noch anwaltlich verfolgen. Wahrscheinlich würden wir es noch viel mehr bereuen, wenn wir heute noch darauf angewiesen wären. Aber heute ist es so: wir sind selbstbestimmt, uns geht es gut, wir hatten zwischendurch ein eigenes Label und wir sind seit über 20 Jahren on the road. Georg: Natürlich hätten diese schlechten Verträge von damals eine andere Konsequenz, wenn wir darauf noch immer angewiesen wären. Natürlich haben wir daraus gelernt. Denn einer dieser schlechten Verträge hat uns dazu geführt, dass wir heute eine Textilfirma haben, die unter anderem Merchandise für Künstler macht. Wir haben das Beste daraus gemacht bzw. es noch besser gemacht. Und diese Motivation brachte uns an einen Punkt, wo wir noch nie freier als jetzt waren. Wir haben keine Angst neue Fehler zu machen, sondern sehen das eher als positive Motivation, Dinge in Zukunft noch besser zu machen.

Tom: Also eine meiner größten persönlichen Bereicherungen zum Beispiel ist, dass wir nicht mehr auf Produzenten angewiesen sind. Damals hatten wir doch keine Erfahrungen als wir unser erstes Studioalbum bei Universal aufnahmen. Wir hatten keine Erfahrungen im Studio, beim Songwriting und überhaupt. Wir waren 13 Jahre alt, als wir das erste Album aufgenommen. Dann wurden wir so wahnsinnig erfolgreich, dass wir nie viel Zeit hatten, selbst im Studio zu sein. Wir mussten uns also auf unsere Produzenten verlassen und dann als wir unsere erste Pause genommen haben, haben wir entschieden, diese Leute zu verlassen, um neue Musik machen zu können. Aus einer Frustration heraus. In den vier Jahren, in denen wir eine Pause in Amerika einlegten, habe ich mich zum Beispiel komplett aufs Produzieren und Songs schreiben konzentriert. Ich habe in der Zeit einfach alles gelernt, was ich brauchte, jedes Instrument, alles. Wir konnten in dieser Zeit so selbstbestimmt zu sein, dass das den Rest unserer Karriere geprägt hat. Wir sind auf niemanden mehr angewiesen, auf keinen Produzenten, keinen anderen Songschreiber. Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit ist so groß, dass diese Zeit uns in allem total weit gebracht hat.

WOW! Vielen Dank für das Gespräch.

Anja Horn von Business Punk im Gespräch mit Tokio Hotel

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