Leadership & Karriere VW-Verhandler holen Uralt-Arbeitsmodell aus der Mottenkiste

VW-Verhandler holen Uralt-Arbeitsmodell aus der Mottenkiste

Damit deuten Politik und Gewerkschaft an, wohin die Reise geht. Ein historisches Beispiel liegt den Verhandlungspartnern neu auf dem Tisch: Ende 1993 einigten sich die Tarifpartner in tiefster Rezession – VW hatte allein im ersten Halbjahr einen Verlust von 1,6 Milliarden D-Mark geschrieben – auf die Einführung der Vier-Tage-Woche. Um 20 Prozent sollte die Arbeitszeit auf 28,8 Stunden pro Woche sinken. Zwölf Prozent weniger wurde verdient, dafür war der Arbeitsplatz zu 100 Prozent sicher. Mit Hilfe dieser Formel schien der drohende Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen fürs Erste abgewendet.

Durch gestrichene Zulagen im Schichtbereich, entfallenden Sonderurlaub und andere Zusatzleistungen sparte der Konzern bereits 1994 rund 1,6 Milliarden D-Mark ein. Teure Abfindungen entfielen. Dazu kam Knallhart-Sanierer José Ignacio López, der die Zulieferer bis jenseits der Schmerzgrenze im Preis drückte. Die IG Metall klügelte ein System aus vorgezogenen Tariferhöhungen sowie umgelegten Jahressonderzahlungen und Urlaubsgeld aus. Das Ergebnis: Trotz 20 Prozent weniger Arbeit verringert sich das Jahresbruttoeinkommen lediglich um jene zwölf Prozent. Der damalige SPD-Chef Oskar Lafontaine sprach von einer „Vereinbarung mit Modellcharakter“.

Hinter den Kulissen begann die Rechenarbeit. In den damals sechs inländischen Werken wurden 140 Zeitmodelle installiert. Möglich war beispielsweise die Vier-Tage-Woche mit täglich 7,2 Stunden, die Fünf-Tage-Woche mit täglich 5,67 Stunden oder jede sechste Woche frei bei 7,2 Stunden täglicher Arbeit. Für jeden Beschäftigten mussten auf Basis dieser Modelle individuelle Arbeitspläne festgelegt werden, die den Erfordernissen aller Unternehmensbereiche gerecht wurden. Möglich war es nur da, wo es viele Arbeitsplätze mit gleichartigen Anforderungen an die Qualität der Beschäftigten gab. Das erklärt, warum etwa nur die Hälfte der VW-Mitarbeiter wirklich vier Tage arbeiteten.

Weitere Schwächen des als „Wunderwerk“ gepriesenen Volkswagen-Modells zeigten sich mit der unerwartet anziehenden Autokonjunktur. Plötzlich erwies sich die generelle Arbeitszeit-Verkürzung als zu starr. Für Werke wie Kassel waren 28,8 Stunden zu wenig, um die Aufträge zu bewältigen. Bereits Ende 1994 kündigte der Betriebsrat des VW-Werkes in Emden die Wiedereinführung der Fünf-Tage-Woche für das gesamte Jahr 1995 an. Und Mitte des Jahres registrierte die IG Metall mit Unbehagen, dass bereits ein Drittel der Beschäftigten dauerhaft an Samstagen tätig ist.

Vor diesem Hintergrund dürften die Verhandlungspartner jetzt zwei Knackpunkte zu lösen haben. Erstens: Wenn weniger gearbeitet wird, um wie viel darf der Lohn dann sinken? Und: Wenn sich der Erfolg wieder einstellt – wie sollen dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück in die Fabriken?

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