Life & Style Ghetto-Expressionismus

Ghetto-Expressionismus

Knotenalarm!

Hätten wir eine Corona-App für Fashion, sie würde uns jetzt warnen: Nichts steht mehr für Old Work als die Krawatte. Ganze Vorstandsetagen trauten sich nach Covid nicht mehr damit in den Videocall. Zu groß war die Gefahr, bei Headhuntern sofort als toxischer alter, weißer Mann abgelegt zu werden. Auch wer keine Ahnung von Digitalität hatte: Als ­Sneaker-Boy sah auch 50 plus zumindest so aus, als habe man mehr Zugang zu Künstlicher Intelligenz als zu künstlichen Hüftgelenken. Denn wir alle haben in den vergangenen Jahren quasi Karriere ohne Personalausweis gemacht. Dress like a Kid. Die Streetwear, wie sie in der milliardenschweren Fashion-Inustrie genannt wird, ist heimlich von der Straße in unsere Büros und Homeoffices geschlichen. Aus Casual Friday wurde ­casual forever. Die absolute Freiheit. Nichts, was uns außerhalb unserer Workspaces decodieren könnte oder Rückschlüsse auf unsere berufliche Sozialisierung erlaubt hätte.

Vorstand oder Praktikant? Ein Dresscode für alle. Hierarchien wie Hosenlängen. One fits it all. Auch wenn einige CEOs im Gleichmacher-Style der New-Work-Ära verloren wirkten wie ein Office ohne Vorzimmerdame und Dienst ohne Dienstwagen. Wie ist man denn mächtig ohne die Insignien der Macht? Ganze Armeen von neuen Coaches haben sich mit Förderprogrammen der Arbeitsagentur für derartige Frageraster ausbilden lassen und sind auf Führungskräfte losgestürmt wie früher die McKinsey-Berater.

Alles haben wir empowert – nur nicht unsere Kleiderschränke!

Bist du noch im Homeoffice? Oder schon im Feierabend? Kein Dresscode, der das eindeutig beantworten konnte. Und wer Jogginghose trägt, kann nun mal gleich losrennen. Einige Designer verdienten sich Sonder­boni, indem sie Anzüge zu sogenannten Jogg-Suits umschneiderten. Leicht zu erkennen an den Kordeln, die vorn meist so ungeschickt aus der Hose baumeln.

Aber die Krawatte? Sie wird uns verraten. Eine Krawatte zieht unsere Freiheit zusammen, wie die Fußfesseln es bei einem Strafgefangenen machen, der gerade aus Alcatraz zu fliehen versucht. Wer Krawatte trägt, nein, der kann nicht schnell mit dem Mountainbike zum Feinkostladen radeln oder sich vormittags unschuldig zum Pilates anmelden. Die ­Krawatte schreit so unmissverständlich: „Ich. Bin. Im. Dienst. Ich gehöre nicht in die Freizeit.

Aber: Krawatte ist auch Verantwortung. Einigen hängt sie wie eine Last um den Hals. Da hilft es auch nicht, sie besonders lässig zu binden. Jetzt zieht sich der Knoten wieder zu. Von wegen: Purpose ist der neue Profit. Alles zurück auf Anfang. Old Work ist das neue New Work. Für die Transformationsphase geben uns Fashion-Häuser wie Prada oder das Berliner Label 032c eine Art Onboarding-Phase. Wie die funktioniert? Auf den Laufstegen in Mailand und Paris war es schön zu sehen: Echte Business Punker brauchen nämlich weder Hemd noch Krawatte. Sie werfen das Sakko einfach über den nackten Oberkörper. Mit freier Brust back to Business. Play hard für alle, die oben mitspielen wollen.

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