Leadership & Karriere Die Strompreise gehen durch die Decke? Zumindest diesen Schuh muss sich Habeck nicht anziehen 

Die Strompreise gehen durch die Decke? Zumindest diesen Schuh muss sich Habeck nicht anziehen 

Vor allem die Industrie klagt über zu hohe Energiepreise. Auch die Verbraucher stöhnen. Dabei ist das Ganze relativ: Im Vergleich zu Frankreich und Polen sind die Stromkosten in Deutschland hoch. Die Italiener dagegen hätten mehr Grund sich zu beschweren. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird nicht müde, es zu betonen: Auch im Jahr nach dem deutschen Atomausstieg und zweieinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch der Gaslieferungen aus Russland sind die Energiepreise in Deutschland nicht in luftige Höhen geschossen. Das Wirtschaftsministerium rechnet, wie aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der CSU hervorgeht, mit einem Strompreis für private Kunden, der in den nächsten zwei Jahrzehnten zwischen 37 und 42 Cent pro Kilowattstunde beträgt, was eine moderate Steigerung wäre und nicht den Klagen der Menschen entspricht, die die Preise durch die Decke gehen sehen. Die Industrie kommt deutlich günstiger weg. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer beklagt dennoch bei jeder Gelegenheit zu hohe Energiekosten. Wer hat also recht? 

Das Vergleichsportal Check 24 hat eine gute Übersicht, weil darüber Kunden ihren Stromanbieter wechseln können. Danach kostet derzeit eine Kilowattstunde Strom in Deutschland durchschnittlich 26,88 Cent bei einem Verbrauch von 5000 Kilowattstunden jährlich, was normaler Durchschnitt ist. Im vergangenen Jahr waren es 30,50 Cent und vor zwei Jahren während der Stromkrise lag der bei Strompreis bei 49,20 Cent pro Kilowattstunde. Innerhalb von zwei Jahren ist der Strompreis um 45 Prozent gesunken. 

Damit ist jedoch ein Tief erreicht. Die aktuelle Strompreisentwicklung lässt vermuten, dass die Preise voraussichtlich steigen werden, vor allem weil Subventionen für Netzentgelte wegfallen und diese zusätzlich teurer geworden sind.  

Laut dem Check24-Konkurrenten Verifox, der sich die europäischen Strompreise angeschaut hat, beziehen Haushalte in Italien mit einem Kilowattstunden-Preis von 41 Cent derzeit den teuersten Strom. Es folgen Irland (39,40 Cent) und Liechtenstein (36,26 Cent). Deutschland befindet sich im Ranking gemeinsam mit Belgien auf Platz 9. Im weltweiten Durchschnitt kostet Strom aktuell 14,31 Cent. Unter Berücksichtigung der Kaufkraft liegen die Strompreise in Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz 21 (2021: Platz 15). Wie stark die Einbeziehung der Kaufkraft den Strompreis verändert, zeigt folgendes Beispiel: Während Verbraucher in Deutschland nominal rund 5 Prozent weniger für Strom bezahlen als Verbraucher im Nachbarland Dänemark, kostet er kaufkraftbereinigt hierzulande sogar 13 Prozent mehr – die Deutschen können sich eben weniger leisten als die Dänen. 

Laut der Strompreisanalyse des BDEW, der mehr als 2000 Versorger vertritt, vom Februar 2024 liegt der Durchschnittspreis für Industriestrom für Unternehmen mit einem jährlichen Stromverbrauch von 160.000 bis 20 Millionen Kilowattstunden bei 17,65 Cent pro Kilowattstunde. Im Preis enthalten sind alle Steuern, Abgaben und Umlagen. Dies ist seit 2017 der tiefste Wert.  

Allerdings gilt auch noch, was das Prognos-Institut bereits im vergangenen Jahr bilanzierte: In Europa bleiben Strom und Gas teurer als anderswo. Deswegen muss die europäische Industrie aktuell mehr Geld für Energie ausgeben als etwa die Unternehmen in den USA oder China, wo der Industriestrompreise jeweils rund 8 Cent pro Kilowattstunde beträgt. Und in Deutschland liegen die Industriestrompreise auf dem Niveau des EU-Durchschnitts. Sowohl Polen als auch Frankreich weisen niedrigere Preise auf. 

Da beide Länder wichtige Konkurrenten sind, wenn es darum geht, welches Land bei Investitionsentscheidungen die Nase vorn hat, schmerzt dieser Nachteil. Der politiknahe Thinktank Agora Energiewende hat deswegen im letzten Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, die bei Unternehmen nach Faktoren für die Standortwahl fragt. Ergebnis: „Die Entwicklung des Standortes in den letzten Jahren wird als negativ betrachtet, wobei die befragten Unternehmen auch für die Zukunft einen eher negativen Trend erwarten.“ Der Grund: Die Energiepreisentwicklung beziehungsweise eine fehlende Aussicht auf Erholung der Energiepreise sowie die mangelnde Planbarkeit von Investitionen seien die wesentlichen Treiber. 

Unterm Strich: Habeck hat recht, die Strompreise sind auf einem Niveau, mit dem auch andere klarkommen müssen. Das Problem ergibt sich aus der Perspektive: Wer sich mit den Günstigsten misst, hält die Entwicklung hierzulande für ein Desaster. 

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