Life & Style „Lasst ihn frei, er ist doch so schön“

„Lasst ihn frei, er ist doch so schön“

Wer ist also Pawel Durow? Einfach nur ein Internet-Milliardär? Oder doch ein russischer Oligarch? Oder vielleicht gar ein Widerstandskämpfer? In Deutschland nutzen Telegram mit Vorliebe solche, die schon aus Prinzip niemals glauben, was alle anderen sagen, und sich deswegen modeabhängig wahlweise den Ruf von Querdenkern, Verschwörungstheoretikern, Rechtspopulisten oder Putin-Verstehern eingehandelt haben, alles Bezeichnungen, die derzeit schnell Menschen angeklebt werden, die abseits gängiger Meinungen unterwegs sind. Erst am Wochenende hat sich der IS auf Telegram als Drahtzieher des Anschlags von Solingen bekannt. Und der Attentäter des Anschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 verriet seine Pläne ebenfalls in Telegram-Chats. Man sollte Telegram verbieten, hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeitweise gefordert.

Sowohl in Russland als auch in der Ukraine hat sich Telegram allerdings in Kriegszeiten zur wichtigsten Nachrichtenquelle überhaupt entwickelt. Seit Kriegsausbruch kommen täglich durchschnittlich 2,5 Millionen neue Benutzer zu Telegram, hieß es zeitweilig vom Unternehmen selbst, das inzwischen bei 900 Millionen Nutzern gelandet ist. In Asien ist der Dienst aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Und selbst in deutschen Sendern, die sich an der Telegram-Verbotsdiskussion beteiligt haben, wird Nachrichtenmaterial gezeigt, das von der verpönten Plattform stammt. In der Ukraine sendet Präsident Selenskyj täglich Updates in seine Gruppe – 1,5 Millionen Menschen folgen ihm. Einwohner und Flüchtende berichten, dass sie über Telegram deutlich schneller über Angriffe informiert würden als über klassische Nachrichtenquellen – die Plattform ist ihr überlebenswichtiges Werkzeug geworden.

Damit ging lange auf, woran Durow immer geglaubt hatte. Der russische Unternehmer, 39 Jahre alt, ist einer der wenigen Milliardäre russischer Herkunft, der nicht zum Kreis der Oligarchen um Putin zählt. Im Gegenteil: Für Moskau war er lange ein Staatsfeind. Die Amerikaner sahen in ihm eine Art Mark Zuckerberg aus Leningrad und er selbst bezeichnet sich als digitalen Nomaden, der drei Staatsbürgerschaften – die russische, die französische und die des Antillen-Staates Saint Kitts und Nevis – hat. Manchmal sagt er auch unverblümt, er sei ein Freiheitskämpfer.

Seine bekannteste Geschichte ist die von dem Tag, als Spezialkräfte vor seiner Tür standen und er sie über einen Monitor beobachtet habe. Da sei ihm, so hat er es einem Journalisten der New York Times erzählt, klargeworden, dass seine Zukunft nicht in Russland liege. In einem von Durows Instagram-Posts ist Mel Gibson als Freiheitskämpfer in dem Film „Braveheart“ zu sehen. Gibson sagt, sie mögen uns das Leben nehmen, aber niemals die Freiheit. Durow schreibt: „Sie können uns unsere IPs wegnehmen, aber nicht unsere Freiheit.“ Mit „sie“ meinte er das Putin-Regime.

Seine zweitbekannteste Geschichte ist die: Er ist seit 15 Jahren durch Samenspenden der biologische Vater von mehr als 100 Kindern in zwölf Ländern – eine Entscheidung, die er nach eigenen Angaben nie bereut hat. Aufgewachsen in Italien, Linguistik-Student in Sankt Petersburg, gründete er 2006 zusammen mit seinem Bruder Nikolai das Soziale Netzwerk VKontakte, eine Art russisches Facebook. 2011 verlangt die russische Regierung, dass Durow bei VKontakte die Seiten von Oppositionspolitikern löschen soll. Sein „Njet“ führt zu der Szene mit den Sicherheitskräften. Als er daraufhin seinen Bruder anrufen will, wird ihm klar – so jedenfalls stellt er es dar –, dass er keine Möglichkeit hat, über eine sichere Verbindung mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er verkauft seine Anteile an VKontakte, verlässt Russland und entwickelt mit seinem Bruder Telegram inklusive einem bis dahin einmaligen Verschlüsselungskonzept.

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