Life & Style Hört mir auf mit Cancel Culture

Hört mir auf mit Cancel Culture

Heute gibt es aber einen großen Unterschied. Es stehen mehr Stühle am Tisch, wie es der Soziologe Aladin El-Mafaalani ausdrückt. Und Social Media verleiht allen Tischgenossen eine Stimme. Die, die auf diesen Stühlen sitzen – sie reden alle lautstark mit: die Migranten, die Schwulen, die Lesben, die Rechten, die Linken, die Alten, die Jungen, die Klimaaktivisten, die Wirtschaftsverbände, die Religionen, die Tierschützer und die Dreibeinigen, die Volleyball spielen wollen. Mit der Wahrnehmung all dieser Gruppen, die am Tisch sitzen, verbindet sich die Suche nach der geeigneten Anrede ihrer Mitglieder, möglichst die Rücksichtnahme auf deren Erfahrungen, das Unterlassen von Klischee-Aussagen. Ich glaube: Diese Rücksicht verkompliziert unser Verhältnis zueinander. Ich wäre auch etwas gehemmt, wenn die alle an meinem Abendbrottisch säßen. Mir würde vielleicht das Brot im Hals stecken bleiben, ich würde es auf jeden Fall als Einengung sehen. Dabei handelt es sich um das Ergebnis eines Demokratisierungsprozesses, den wir allerdings in seinem Extrem als undemokratisch wahrnehmen. Haben wir trotzdem ein Recht darauf, zu sagen, was wir wollen?

Haben wir. Die Meinungsfreiheit wird durch das Grundgesetz garantiert. Eingeschränkt wird sie nur durch das Strafrecht, durch das beispielsweise Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung sanktioniert werden können. Unterhalb der Ebene des Strafrechts folgen wir Regeln, die durch gesellschaftliche Werte und Normen vorgegeben werden. Die sind biegsam, verändern sich ständig, und sie sind auch Auslegungssache. Wir dürfen reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Und vielleicht ist alles ganz einfach: So wie ich selber nicht möchte, dass mit mir gesprochen wird, rede ich auch nicht mit anderen. Kann funktionieren. Machen wir so bei Business Punk.

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