Life & Style Hört mir auf mit Cancel Culture

Hört mir auf mit Cancel Culture

Dennoch ist etwas dran, wenn beispielsweise die Juristin Juli Zeh bei der Talksendung von Markus Lanz beklagt, dass ein Diskursklima herrsche, das Menschen den Eindruck vermittele, mit einer bestimmten Auffassung ausgesondert zu werden. Ihr Eindruck sei, dass man schnell in eine Situation komme, „wo man es nicht nur unerträglich findet, wenn jemand wirklich Grenzen überschreitet, sondern schon dann, wenn Meinung zu stark abweicht.“

Ist das aber neu? Nein. Nur hat sich das Umfeld geändert. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander zum Beispiel war in den 1960er-Jahren gesellschaftlich zulasten der Frauen klar definiert. Das Verhältnis zwischen rechts und links neigte sich zugunsten von rechts, heute ist es umgekehrt. Die Diskussionen darum verblassten aber, weil andere Bedrohungen wirklich schlimmer waren. Der Kalte Krieg drohte dauernd ein heißer zu werden, und die Front lief mitten durch Berlin. Doch auch früher gab es heftigen Streit, dessen sprachliche Erscheinungen nicht weniger aufgeregt wahrgenommen wurden.

Der Direktor des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache Henning Lobin erinnert daran, dass besonders Nazi-Vergleiche die politische Auseinandersetzung in der Bonner Republik gepflastert haben. Etwa die Aussage der damaligen SPD-Größe Oskar Lafontaine im Jahr 1982, dass man mit den Tugenden, die Helmut Schmidt für seine Politik geltend mache, auch „ein KZ betreiben könne“. Lobin erinnert daran, dass Slogans, die heute bei Pro-Palästina-Demos gerufen werden, nicht die extremen Ausmaße dessen erreichen, was in den 70er-Jahren auf der Straße nach den Mordtaten der Rote-Armee-Fraktion zu Franz-Josef Strauß zu hören war: „Buback, Ponto, Schleyer – der nächste ist ein Bayer.“

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