Wer schreibt die Zeit, die bleibt?
Gastbeitrag von Gille Sebrechts, CEO von Protime.
Die Uhren fangen an, zu ticken – jeden Tag aufs Neue. Zumindest sollten sie es. Seit der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2019 ein entsprechendes Urteil verkündete, sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) aufgefordert, ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung zu verabschieden. Während viele Länder wie Italien, Portugal oder Dänemark ihre bereits bestehenden Gesetze lediglich an die Vorgaben aus Luxemburg anpassen mussten, war hierzulande ein gänzlich neues Gesetz von Nöten. Doch das vom EuGH geforderte Gesetz gibt es bis zum heutigen Tage nicht. Was es gibt, ist die Arbeitszeiterfassungspflicht – auferlegt durch das Bundesarbeitsgericht. Seit September 2022 – fast zweieinhalb Jahre sind seit dem EuGH-Urteil vergangen – verpflichtet sie Arbeitgeber, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu dokumentieren.
Eine Pflicht – zu häufig leicht umgangen
Im Frühjahr 2023 stellte die Bundesregierung einen ersten Gesetzentwurf zur elektronischen Zeiterfassung vor. Seitdem läuft dessen Überarbeitung und es handelt sich um ein Gesetz in der Warteschleife. Und so bleibt die Erfassung der Arbeitszeit bisweilen eine Pflicht, deren Einhaltung jedoch nicht konsequent überprüft wird.
Eine Studie von protime, durchgeführt durch das YouGov Panel Deutschland, die im Mai 2024 über 2.000 Arbeitnehmer*innen zu ihrem Umgang mit Arbeitszeiterfassung befragte, zeigt diverse Diskrepanzen hinsichtlich der Erfüllung der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auf. Den 47 Prozent, die angaben, ihre Arbeitszeit mindestens seit 2021, und damit bereits vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, erfasst zu haben, stehen jene 18 Prozent gegenüber, welche diesem nach wie vor keinerlei Beachtung schenken. Rechnet man diese Zahlen auf die 45,8 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland hoch, die das Statistische Bundesamt im April dieses Jahres erfasst hat, wird offenbar: Eine Pflicht – verletzt jeden Tag, acht Millionen Mal.