Life & Style „Ich würde wirklich gern mein eigenes Geld verdienen“

„Ich würde wirklich gern mein eigenes Geld verdienen“

Wie sollen wir mit den Menschen aus der Ukraine umgehen, die bei uns als Kriegsflüchtlinge landen? Sollen sie länger so wie jetzt sofort Bürgergeld beziehen, oder sollen sie zunächst wie Asylbewerber behandelt werden? Warum dauert es so lange, bis sie eine Arbeit aufnehmen? Die Diskussion darüber spaltet die Deutschen. Focus online lässt den Vater einer ukrainischen Familie zu Wort kommen, die seit anderthalb Jahren in einer norddeutschen Großstadt lebt.

Das Gespräch aufgezeichnet hat Oliver Stock / Business Punk

„Zuallererst möchte ich Deutschland und allen Deutschen dafür danken, dass sie mir und meiner Familie Schutz vor dem schrecklichen Krieg gewähren, den Russland mit seinen imperialistischen Ansichten begonnen hat.

Ich bin 40 Jahre alt. Vor eineinhalb Jahren war ich gezwungen, mit meiner Familie die Ukraine zu verlassen. Es war eine schwierige Entscheidung, denn wir mussten alles zurücklassen und gehörten zu den Millionen von Ukrainern, die auf der Suche nach einem sicheren Ort für ihre Kinder ins Ausland gingen.

Die meisten Menschen, die in der Ukraine leben, haben nur ein geringes Einkommen, das kaum ausreicht, um die Fixkosten zu bezahlen und Lebensmittel zu kaufen. Mein Gehalt in der Ukraine betrug zum Beispiel 200 Euro.  Fast die Hälfte meines Einkommens musste ich für die Miete aufwenden. Der Rest war für den Lebensunterhalt notwendig. Deshalb sind die Menschen ständig auf der Suche nach einer besseren Arbeit oder einer zusätzlichen Verdienstmöglichkeit. Da wir in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Russland lebten, bekamen wir die „russische Welt“ von den ersten Tagen an in Form von Soldaten, Panzern, Flugzeugen und Raketen zu spüren. Jeden Tag wurden wir, die Menschen, die Häuser, die Straßen von russischem Gebiet aus beschossen. Irgendwann verschwinden die Dörfer und Städte und Menschen dann einfach von der Erde. 

Meine Tochter hat Diabetes Typ 1 und ist insulinabhängig. Als die Probleme mit der Insulinversorgung in unserer Stadt begannen, blieb keine Zeit zum Nachdenken. Wir beschlossen sofort, ins Ausland zu gehen. Ich bin von Beruf Lehrer und habe einen Universitätsabschluss. Als ich mein Studium abgeschlossen hatte, gab es keine freien Stellen in meinem Fachgebiet, also musste ich mir eine andere Arbeit suchen. So wurde ich vom Lehrer zum Bauarbeiter, zum Angestellten in einer Produktionsstätte im Ausland, zum Fahrer und so weiter. 

Was die Männer in der Ukraine betrifft, so gibt es einige Unterschiede. Es gibt eine bestimmte Kategorie von Männern, die der Staat nicht an die Front schickt. Das sind Männer, die gesundheitliche Probleme haben oder deren Familienangehörige nicht gesund sind. Nicht alle Männer können sofort in den Krieg ziehen, denn der Staat muss sie erst militärisch ausbilden und sie materiell und finanziell unterstützen.

Von den ersten Tagen unseres Aufenthalts in Deutschland an mussten wir sehr oft verschiedene staatliche Einrichtungen aufsuchen, wie das Sozialamt, das Jobcenter, das Familienamt, die Auslandsbehörde, das Bürgeramt und es ging um unsere Versicherngen. Mit der Beraterin des Jobcenters haben wir immer noch engen Kontakt. Am Anfang war die Kommunikation aufgrund der Sprachbarriere schwierig. Wir mussten uns nach Übersetzern umsehen. Wir möchten den freiwilligen Helfern, die immer bereit waren, uns unentgeltlich zu helfen, unseren aufrichtigen Dank aussprechen. Meine Frau und ich haben sofort mit dem Besuch von Deutsch-Integrationskursen begonnen. Natürlich ist es unmöglich, die Sprache in sech Monaten vollständig zu beherrschen. Aber mit der Zeit haben wir angefangen, die Deutschen besser zu verstehen und versuchen nun, uns selbst auf Deutsch zu verständigen.

Ich würde wirklich gerne eine Arbeit finden, die mir ein gutes Einkommen und Zufriedenheit bringt. Vor allem würde ich gerne mein eigenes Geld verdienen und nicht von staatlichen Leistungen abhängig sein. Als wir in Deutschland ankamen, waren meine Frau und ich bereit, sofort irgendeinen Job anzunehmen. Aber als wir von den Sprachkursen erfuhren, beschlossen wir, die Sprache zu lernen, um uns schneller zu integrieren und einen besseren Job zu finden. Aber es stellte sich heraus, dass es auch dann gar nicht so einfach war, einen Job zu finden. Ich habe viele Versuche unternommen, mich auf Stellen zu bewerben. Aber ich wurde überall abgelehnt. Der Grund: Ich bräuchte, so hieß es immer,  eine entsprechende Genehmigung, eine Ausbildung oder ein Zertifikat. Einer meiner Wünsche war es zum Beispiel, für ein städtisches Verkehrsunternehmen als Fahrer zu arbeiten. Und die entsprechende Ausbildung in diesem Unternehmen zu bekommen. Ich habe drei Bewerbungen geschrieben, auf die ich jeweils eine Ablehnung erhalten habe.  Meiner Meinung nach ist der Grund für die Ablehnung das Fehlen eines entsprechenden Sprachniveaus.

Seite 1 / 2
Nächste Seite

Das könnte dich auch interessieren

Lass mal hierbleiben! Life & Style
Lass mal hierbleiben!
Die Luxus-Lüge: Rette den Kaviar, wer kann! Life & Style
Die Luxus-Lüge: Rette den Kaviar, wer kann!
Ukrainer schreibt: „Manche von uns haben es nicht eilig zu arbeiten. Ich schäme mich dafür“  Life & Style
Ukrainer schreibt: „Manche von uns haben es nicht eilig zu arbeiten. Ich schäme mich dafür“ 
„DieBusinessPunk“ rockt Frankfurt: Zukunft, Innovation und Klartext Life & Style
„DieBusinessPunk“ rockt Frankfurt: Zukunft, Innovation und Klartext
Die 10 besten Urlaubsinseln im Jahr 2024  Life & Style
Die 10 besten Urlaubsinseln im Jahr 2024