„Wohltemperierte Grausamkeit“: Höcke weiß genau, was er sagt

Diese Auffassungen stehen einer offenen und pluralen Gesellschaft entgegen. Gefährlich ist seine Meinung, man sei der „Gemeinschaft“, in die man hineingeboren wurde, etwas schuldig, man trage Verantwortung für sie. Diese Formulierung lässt sich ganz genau so in Quellen des 20. Jahrhunderts finden, Stichwort: ›Volksgemeinschaft‹. Männer müssten (Zitat:) „wehrhaft“ sein, sie müssten sich zur Wehr setzen gegen die Bedrohungen ›ihres Landes‹. 

Dass Höcke eine ›Krise der Männlichkeit‹ wahrnehme, hat ihm in der Vergangenheit einigen Spott eingebracht. Bei einer Wahlkampfveranstaltung sagte er 2016 (Zitat:) „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.“ Aber es verbietet sich eigentlich, darüber zu schmunzeln, denn was Höcke will, ist nichts anderes als Gewalt, bewaffneten Kampf. Und er will Frauen, die seinem Rollenbild entsprechen. Ich kürze das hier aus Zeitgründen ab: Natürlich hält er sie für Männern unterlegen. Jede Frau brauche einen starken Mann, der sie beschütze – vor allem vor geflüchteten Männern. Und damit sind wir wieder bei seinem ausgeprägten Rassismus.

Rechtsextreme suggerieren immerzu, sie fühlten sich bedroht. Sie fürchten Niedergang, Zersetzung, Verfall ›ihres‹ Volkes, ›ihrer‹ Nation, ›ihrer‹ Kultur. Sie zeichnen sich durch einen quasi-religiösen Glauben an ›ihr ‹Volk, ›ihre‹ Nation, ›ihr‹ Vaterland aus. Dabei folgen sie  auf Irrationalismus gründenden politischen Verschwörungsmythen, wie der These vom ›Untergang des Abendlandes‹ durch ›Islamisierung‹ und durch ›Bevölkerungsaustausch‹. Sie gebärden sich antiaufklärerisch, ihr Weltbild basiert nicht auf Rationalität und Vernunft, sondern sie emotionalisieren gezielt und zu ihren Gunsten. Sie geben sich dabei gern als Intellektuelle. Ich möchte vielen von ihnen eine gewisse Intelligenz gar nicht absprechen, denn Höcke ist ja ein gutes Beispiel für einen Rechtsextremen, der seine Agenda seit Jahren sehr gezielt und erfolgreich umsetzt. Natürlich handelt er strategisch. 

(….)

Es ist seit Jahren klar, was Höcke von sich gibt. Das möchte ich hier noch einmal unterstreichen. Es verbietet sich, den Standpunkt zu vertreten, dass Höcke einmal so gefährlich werden könnte, hätte niemand kommen sehen können. In seinem autobiographischem Werk sind apokalyptische Untergangsszenarien verbunden mit Sprachbildern und klar definiertem Lösungsansatz. 2018 bestand dieser noch primär darin, die Grenzen zu schließen, die Migration nach Deutschland zu stoppen. 2024 sprechen Rechtsextreme von ›Remigration‹ und meinen Deportationen. Die Radikalisierung ist merklich vorangeschritten.

Im Mittelpunkt muss endlich stehen, substanziell zu erkennen, worum es Rechtsextremen geht – und das ist nichts Geringeres als die Eroberung der Welt unter ihren ideologischen Vorstellungen. Das klingt auch apokalyptisch, das ist mir klar, und vor ein paar Jahren wäre ich für so eine Aussage noch belächelt worden, jetzt hoffe ich, passiert das nicht mehr.

Es gibt heute bereits internationale Netzwerke von Rechtsextremen, die europaweit kooperieren, sich Waffen über Landesgrenzen hin- und herschieben. Martin Sellner etwa, ein österreichischer Rechtsextremer und lange Zeit Sprecher der Identitären Bewegung Österreichs, hat bei dem Treffen in Potsdam darauf verwiesen, dass ›Remigration‹ nicht auf die Schnelle zu machen sei, es handele sich vielmehr um (Zitat:) „ein Jahrzehnteprojekt“.

Das 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass Nazis und Faschisten zusammenarbeiten, wenn sie in den menschenverachtenden und menschenvernichtenden ideologischen Grundsätzen übereinstimmen. Blutsmäßige, rassische oder nationale Grenzen spielen keine große Rolle mehr, wenn sie sich in ihrem Ziel einig zu sein scheinen.

Wir können fest davon ausgehen, dass die Motivation der Rechten, die Welt zu wandeln, nicht abnehmen wird. Aber: Dieses Jahr sind einige gute Dinge passiert und dazu zähle ich vor allem die überwältigenden Proteste gegen die AfD und dazu zähle ich auch den Prozess gegen Höcke. Diese Zeichen sind der richtige Weg, denn Nazis müssen endlich Angst bekommen.