Innovation & Future Wie ein russischer Nomade Telegram an die Börse bringt

Wie ein russischer Nomade Telegram an die Börse bringt

Pawel Durow und sein Nachrichtendienst Telegram sind in Russland inzwischen unerwünscht, weil sie sich keinen Regeln unterwerfen. Keine Regeln – ist aber genau das Erfolgsgeheimnis des Netzwerks, das jetzt an die Börse strebt. Mit bislang nur 50 Mitarbeitenden.

Schon 2013 erfanden die Brüder Nikolai und Pawel Durow (39) ihren ersten Messengerdienst, gaben ihm den Namen “Kontakt” – und machten in ihrer Heimat Russland gleich die ersten Erfahrungen, die unabhängigen Freidenkern dort blühen: Der Staatssicherheitsdienst bedrängte die Brüder, als sie sich schon damals im Sinne des jüngst umgekommenen russischen Oppositionellen Alexei Nawalny engagierten, und Protestler in dessen Gefolgschaft ein Forum boten. 

Aus dieser Herkunft und Geschichte der genialen Programmierer und Erfinder erklärt sich die Ausrichtung des Nachfolgedienstes Telegram, die inzwischen mit rund 900 Millionen Nutzern neben X von Elon Musk und Whatsapp von Marc Zuckerberg der mitgliederstärkste Messangerdienst und gleichzeitig Nachrichtenplattform ist. Doch schon 2015 geriet Telegram in den Ruf, Zuflucht für zwielichtige Nutzergruppen zu sein, damals ging es um Konten verschiedener Organisationen des „Islamischen Staats”. Zu den Anwürfen sagte Pawel Durow damals: „Ich denke, dass Privatsphäre und unser aller Recht auf Anonymität letzten Ende wichtiger ist als die Angst davor, was an bösen Dingen geschehen könnte, wie etwa Terrorismus.“ Diese Linie hat der Gründer durchgehalten, allen Anfeindungen zum Trotz – und auch Musk ist mit der Übernahme von Twitter und der Umbenennung in X darauf eingeschwenkt. Bitter-ironisch fügte Durow hinzu: „Man sollte vielleicht alle Wörter verbieten, denn die werden alle auch von Kriminellen genutzt”.

Dem Abschied Durows von Russland folgte eine dezentrale Organisation von Telegram, dessen reale Basis sich heute in Dubai befindet. Aber Duros ist digitaler Nomade: Weiterer Sitz sind die Britischen Jungferninseln. Durow selbst besitzt die Staatsangehörigkeit der karibischen Inselgruppe St. Kitts und Nevis, und die Server des Sozialen Netzwerks stehen jeweils in der Nähe starker Nutzerpools. Der für Europa eingerichtete Server befindet sich in den Niederlanden und unterliegt damit der Gesetzgebung der Europäischen Union.

Aus Nutzersicht bietet Telegram, im ständigen Wettkampf vor allem mit dem Meta-Ableger WhatsApp, inzwischen zahlreiche Features, die eine Migration auf diese Plattform attraktiv machen – sei es die Möglichkeit, private Chatgruppen einzurichten – Durow nennt sie „geheim”, nach den Erfahrungen mit der russischen Staatsmacht -, deren Chats tatsächlich vollständig verschlüsselt sind. Es sind Gruppen anonymer Nutzer mit bis zu 200.000 Mitgliedern, die umfassende Möglichkeiten für Bilder, Videos, Dokumente bis hin zu verspielten Emojis bieten. Mit deren Hilfe könne Telegram „viel besser Stimmungen ausdrücken als die Wettbewerber”, heißt es vom Unternehmen selbst. Das richtet sich vor allem gegen Mark Zuckerberg, der hinter WhatsApp steht und seinerseits stetig aufrüstet. Das gegenüber Durow nur wenige Monate ältere Wunderkind aus New York ist wie geschaffen als Reibefläche des Leningrader Computergenies, denn die Ansichten zur Wahrung der Privatsphäre liegen weit auseinander. Zuckerbergs Dienste erforschen das Kundenverhalten bis ins Detail, um soviel persönliche Werbung wie möglich zu verkaufen. Demgegenüber beharrt Telegram auf dem Grundsatz: „Im Gegensatz zu anderen Kurznachrichtendiensten und Sozialen Medien sammelt Telegram keine Daten über seine Nutzer – nicht einmal Namen oder Geburtsdatum.“ Allerdings gibt es auch hier Premiumfunktionen, die eine Verifikation des Nutzers erfordern. Aber das ist freiwillig.

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