Life & Style Starker Norden, schwacher Süden? Von wegen: Die Verhältnisse in der EU wandeln sich gerade

Starker Norden, schwacher Süden? Von wegen: Die Verhältnisse in der EU wandeln sich gerade

Die Ampelregierung hat eine Zeitenwende eingeleitet. Nur anders, als sie es sich erhofft hat: Innerhalb der EU überholt der ehemals schwache Süden Deutschland inzwischen deutlich, was Wachstum und Investitionen anbelangt. Hier sind die Gründe, warum es in Italien, Spanien und sogar in Griechenland deutlich besser läuft.

Die Achtung, dies ist die tatsächliche Zeitenwende: Die Deutschen, die bisher gewohnt waren innerhalb Europas als Hort der Stabilität und als Standort mit moderaten, aber soliden Wachstumsraten den Ton anzugeben, stehen inzwischen auf der Verliererseite. Gewinner sind die Länder, die hierzulande gern mit Schlendrian und Inflation in einem Atemzug genannt werden: Italien, Spanien, Griechenland. Der sogenannte „Südgürtel“ hat die größte Volkswirtschaft der EU überholt. Die einstigen Verlierer sind zu den Gewinnern geworden. Das mag eine Momentaufnahme sein, aber der Moment wird zumindest ein Jahr lang dauern –  da sind sich die Ökonomen einig.

Was Deutschland anbelangt, haben sie jetzt ihre Prognosen revidiert – und zwar nach unten. Die Wirtschaft ist aus Sicht der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute angeschlagen. In ihrem Frühjahrsgutachten erwarten sie nur noch ein Wachstum von 0,1 Prozent. Weniger geht nicht, wenn das Wort „Wachstum“ darüberstehen soll. 

Nicht so im europäischen Süden. Dort hebt sich ausgerechnet Italien unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, von der deutsche Beobachter bei ihrer Wahl glaubten, dass sie das Land mit ihrem rechten Kurs gegen die Wand fahren werde, deutlich vom Negativtrend ab. Die italienische Wirtschaft läuft vergleichsweise rund – allein im letzten Quartal 2023 wuchs sie um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Das italienische Statistikamt rechnet vor, dass Italiens reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit dem vierten Quartal 2019 – also dem letzten vor Corona – um 4,2 Prozent gewachsen ist. Deutschland dümpelt dagegen in etwa so dahin, wie es vor fünf Jahren auch schon ausgesehen hat. 

Nach Melonis Wahlsieg kletterte zwar der Zinsabstand von deutschen zu italienischen Staatsanleihen, auf mehr als 250 Punkte, aber die dahinterstehende Angst, Meloni könnte die Beziehungen zur EU verschlechtern und von der strammen Haushaltsdisziplin ihres Vorgängers Mario Draghi abrücken, bewahrheitete sich nicht. Heute ist der Abstand so niedrig wie lange nicht mehr. Seit Jahresbeginn sind die Zinsen für zehnjährige italienische Staatsanleihen bei rund 3,7 Prozent geblieben. Im selben Zeitraum kletterten die deutschen Bonds mit zehn Jahren Laufzeit von rund zwei auf nun 2,4 Prozent. Die Zinsen gelten als Messgröße für das Risiko, das Investoren einschätzen, wenn sie Staatsanleihen kaufen.

Geld aus Brüssel hat zum Wachstum beigetragen. Italien ist größter Nutznießer des europäischen Wiederaufbaufonds, der in der Pandemie eingerichtet wurde. Neben diesem Geld hat ein „Superbonus“ auf Staatskosten die Wirtschaft angefacht. Jahrelang konnten Hauseigentümer ihre Fassaden energetisch sanieren oder Solarmodule auf ihren Dächern installieren und bekamen dafür nicht nur die Kosten über die Steuer zurück, sondern auch noch zehn Prozent der Investition obendrauf. Das hat die Bauwirtschaft ordentlich angekurbelt, den Staat aber so viel gekostet, dass Meloni das Programm, das ihre Vorvorgänger installiert hatten, stoppte.

Hebt sich Italien vom müden Deutschland leicht ab, ist Spanien derzeit der Superstar. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen um 2,5 Prozent gewachsen und steht damit an der Spitze der großen EU-Länder. Dabei treiben die Spanier sich selbst voran: Der inländische Konsum ist der stärkste Faktor, der das Wachstum entfacht hat. Die Spanier kaufen, weil sie anders als die Deutschen keine Inflationssorgen haben. Das liegt wiederum daran, dass die Energiepreise in dem Land, das nicht am russischen Gas gehangen hat, nur moderat gestiegen sind. Zudem trägt die energieintensive Industrie weniger zur Wirtschaftsleistung bei als in Deutschland. Wichtigste Branche ist der Tourismus, was in der Pandemie ein Fluch, derzeit jedoch ein Segen ist. Achillesverse bleibt die Arbeitslosigkeit mit 11,8 Prozent, aber auch dieser vergleichsweise hohe Wert ist der niedrigste, den Spanien seit 15 Jahren aufzubieten hat.

Ein echter Hingucker ist Griechenland. Die Deutsche Bank hat dem Erfolgsmodell gerade einen eigenen ausführlichen Report gewidmet. „Stand Griechenland während der Schuldenkrise in den 2010er-Jahren noch mehrfach vor dem Bankrott, so zählt das Land heute zu den Wachstumsregionen Europas“, schreiben die Analysten und sprechen von „einem  erstaunlichen wirtschaftlichen Comeback“, wozu wie im Fall Spaniens der boomende Tourismus beigetragen hat.

Aber auch politisch mache die Regierung des konservativen Premierministers Kyriakos Mitsotakis einiges richtig schreiben die Analysten. Sie heben den staatlichen Monatsmindestlohn hervor, der von 650 Euro auf 780 Euro gestiegen ist, sowie sinkende Steuern und Abgaben für die Sozialversicherung. Die Staatsschulden sinken. Zwar nimmt Griechenland dabei noch den Spitzenplatz in der EU ein, doch der Trend zeigt im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten in eine positive Richtung. Die Ratingagenturen nehmen das wahr und haben Griechenland wieder eine bessere Bonitätsnote verpasst, was zur Folge hat, dass das Land sich zu einem günstigeren Zinssatz Geld leihen kann.

Ganz anders klingt die Beschreibung der Top-Ökonomen aus den Wirtschaftsforschungsinstituten, wenn sie über Deutschland reden. Eine „zähe konjunkturelle Schwächephase“, „schwindende Wachstumskräfte“ und eine „lahmenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ überlagern alles andere, lauten die Stichworte aus ihrem Frühjahrs-Gutachten, das sich liest wie die die ärztliche Beurteilung eines Schwerverletzten, der seit Monaten in der Reha liegt.  „Im bisherigen Dreiklang aus lahmender Konjunktur, lähmender Politik und leidendem Wachstum ändert sich nur die konjunkturelle Tonlage von Moll auf Dur“, sagt Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kiel Institut für Weltwirtschaft und meint damit wohl, dass die Zeiten noch härter werden.

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