Productivity & New Work Mitarbeiterbindung: Das Handwerk braucht mehr Silicon Valley

Mitarbeiterbindung: Das Handwerk braucht mehr Silicon Valley

Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley machen es in Sachen Mitarbeiterbindung vor: Das Image als attraktive Arbeitgeber entsteht durch das umfangreiche Angebot an Benefits: Sei es die Förderung in der Persönlichkeitsentwicklung, die Chance auf fachliche Weiterbildungsmaßnahmen, der Zuschuss beim Fitnessstudio oder die Option auf ein Sabbatical. Die Frage, Ist solch eine Unternehmenskultur auch bei uns im Handwerk umsetzbar? 

Quite Quitting: Fast jeder Zehnte innerlich schon auf dem Absprung 

Es braucht keine komplizierten Rechenspiele, um festzustellen, dass in Zeiten des Fachkräftemangels jede Kündigung wertvoller Mitarbeiter Produktivitätsverluste und beträchtlichen Mehraufwand im Recruitment bedeutet. Gerade bei der dichten Auftragslage für viele in unserer Handwerksbranche, die im Zuge der Bauwende und der Bekämpfung der Wohnungsnot besonders gefragt sind, ist eine ungewollte Kündigung ein echter Stresstest. Und immer häufiger kann sie sich auch zur Hängepartie auswachsen, weil Vakanzzeiten steigen und geeignete Fachkräfte rar gesät sind. Umso alarmierender ist es deshalb, dass im verarbeitenden Gewerbe 7,88% der Mitarbeiter innerlich schon mit dem Arbeitsverhältnis abgeschlossen haben. Für die „quite Quitters“ ist die Kündigung nur noch eine Frage der Zeit, die längst die anfängliche Motivation und Einsatzbereitschaft abgelöst hat. Oftmals ist es für uns Arbeitgeber dann schon zu spät, um das Ruder rumzureißen und von einem Verbleib zu überzeugen. 

Je früher, desto besser: Mitarbeiter binden mit Langzeitwirkung

Doch je früher wir positive Anreize für ein gutes Arbeitsklima setzen, desto besser stehen die Chancen, dass es nie zu diesem Punkt kommt. Meine Strategie ist es von Anfang an, mit einem Strauß aus Maßnahmen, die Mitarbeiter bei Hanebutt mit Langzeitwirkung zu binden. Die Vielfalt von Benefits hat sich bewährt. Denn als eines der größten Dachdecker-Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern können wir mittlerweile auf einen stabilen Stamm qualifizierter Mitarbeiter an zehn verschiedenen Standorten setzen. Wertvolle Inspiration in Sachen Mitarbeiterbindung liefern uns die BigTech-Pioniere aus Kalifornien. Zwar scheinen die auf den ersten Blick wenig mit dem Dachdeckergewerbe oder anderen Handwerksbetrieben gemein zu haben. Doch ihre Methoden sind vielfach übertragbar. Das macht sie auch für die Mitarbeiterbindung im klassischen deutschen Handwerk fruchtbar.

Win-Win für beide Seiten: Beispiel Gesundheitsmaßnahmen

Zwar mag ein Rundum-Wohlfühl-Campus wie von Google, Facebook und Co. für uns finanziell nicht zu stemmen und auch etwas überdimensioniert sein. Doch was die wesentlichen Zutaten für mehr Mitarbeiterzufriedenheit angeht, können wir mit einem Blick über den Atlantik einiges lernen. Beispiel: Gesundheit. Mitarbeiter des Softwareanbieters Evernote etwa bekommen ein Fitnessarmband, Zugang zu einem Fitnessstudio und Tischtennisplätze gestellt. Das erleichtert nicht nur eine gesunde Routine, sondern ist auch eine willkommene Gelegenheit für aktives Kontrastprogramm zum Arbeitsalltag und fördert den Austausch mit Kollegen außerhalb des Arbeitssettings. 

Dass das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz mehr Beachtung verdient, zeigen Statistiken wie jene des Informationsdienstes der deutschen Wirtschaft. Danach hat sich über die letzten 10 Jahre eine Tendenz zu immer mehr Krankheitstagen bei Arbeitnehmern entwickelt. Es besteht also Handlungsbedarf. Das Gute: Die Palette an Möglichkeiten zur Gesundheitsförderung ist breit gefächert. Bei Hanebutt haben wir uns, um möglichst alle Mitarbeiter einzubeziehen, für einen vielfältigen Mix aus Angeboten entschieden. Dazu gehören bezahlte Physiotherapie und Massagen, Sport- und Fitnessangebote, aber auch das Jobrad für den Weg zur Arbeit sowie eine betriebliche Krankenversicherung, die über den Standard der gesetzlichen Krankenkassen hinausgeht.  Gesundheitsförderung ist nicht nur eine gute Bindungsmaßnahme, sondern auch ein Win-Win für beide Seiten, weil Mitarbeiter gesundheitlich fit bleiben und so Top-Leistungen in der Firma liefern können.

Vom Arbeitgeber zum Mentor: Mit Perspektive weiterentwickeln


Auch bei mehreren hundert Mitarbeitern, ist es mir wichtig, die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen zu fördern. Ich führe unser 90 Jahre altes Familienunternehmen in vierter Generation, musste selbst erst in diese Rolle Stück für Stück hineinwachsen und lerne jeden Tag dazu. Das motiviert und hat mich überzeugt, dass persönliche Weiterentwicklung ein Big Point in Sachen Mitarbeiterbindung ist. Nicht umsonst organisiert Google für seine Angestellten Kurse in Stressmanagement, Verhandlungskunst und sogar Events mit berühmten Persönlichkeiten von Barack Obama bis David Beckham. Die einfache Rechnung Geld gegen Arbeit greift aus meiner Sicht zu kurz, weil sie die langfristige Lebensperspektive ausblendet. So wie es jüngst der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Friedrich Hubert Esser, unterstrichen hat, zählt gerade für die jungen Generationen die berufliche Weiterentwicklung zu den Must-Haves im Job. In unser Portfolio der Benefits habe ich deshalb Angebote für Fort- und Weiterbildung, konkrete Zielvereinbarungen je nach individueller Situation, Transparenz zu Aufstiegschancen und regelmäßige Mitarbeitergespräche aufgenommen. Letztere sind Übrigens eine exzellente Chance, um Unzufriedenheit zu erkennen und Kündigungen früh gegenzusteuern. Als weiteres Beispiel haben wir alle neuen Azubis zu einer Skifreizeit eingepackt – doch Vorsicht: Keine klassische Freizeit. Im Zentrum stand die Persönlichkeit jedes einzelnen. Von Eisbaden bis hin zu Gesprächen zu persönlichen Visionen wurde jeden Abend mit den jungen Menschen gearbeitet. Herausgekommen ist eine eingeschworene Truppe, die schon zum Ausbildungsstart positiv über sich hinauswachsen konnte. Das prägt. 

Wie Google und Co.: Mit offenem Mindset am Puls der Zeit

Wer offen für neue Ansätze ist, hat die Chance seinen Betrieb zum attraktiven Vorreiter in der Branche zu entwickeln. Für mich heißt das vor allem die Digitalisierung im Dachdeckergewerbe voranzutreiben. Mit Virtual Reality Brillen und Simulationen eruieren wir die Umsetzung anstehender Projekte. Bei der Vermessung von Solarkonstruktionen setzen wir Drohnen ein. Ein technisch-fortschrittliche Herangehensweise macht den Arbeitsalltag für viele unserer Mitarbeiter abwechslungsreich. Sie bereichert, fördert neue Ideen und erleichtert Prozesse. Die Vorteile von technologischen Innovationen sind ein Grund für meine Vision, dass ich mit einem aufgeschlossenem Mindset im Handwerksberuf, meine Mitarbeiter besser erreichen kann. Flexible Arbeitszeitmodelle sind zwar in der Branche bei manchen Arbeitgebern noch verpönt, können aber bei richtiger Organisation wichtige Produktivität erhalten. Ein kategorisches Nein wirkt dagegen abschreckend. Flache Hierarchien, die kurze Kommunikationswege ebnen und Hemmschwellen zum Chef etwa durch eine lebensnahe „Dutzkultur“ abbauen, sind eine gute Grundlage für ehrlichen Austausch und ermutigen zu neuen Ideen. Ein moderner Betrieb, der am Puls seines Gewerbes bleibt und seine Top-Kräfte zur vollen Entfaltung bringt, braucht diese Entwicklungsoffenheit. Ähnlich wie sie die Googles dieser Welt seit Jahren erfolgreich praktizieren.

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