Life & Style Die Sache mit den Zombie-Schokohasen

Die Sache mit den Zombie-Schokohasen

In Deutschland diskutiert man immer noch mit Verve über ein TV-Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel. Obacht, denn da sind sie in Chile schon viel weiter. Ein Blick über den Tellerrand.


Ostern, Zeit der Schmunzelhasen. Ihre putzigen Gesichter lachen alle Kinder an, damit die sofort danach greifen und sie kaufen. Was aber, wenn es, wie in Chile plötzlich keine Gesichter mehr auf den Hasen gäbe, also Naschwerk ganz ohne Augen, Nasen und Münder? Klingt verrückt, ist aber in Chile normal. Weshalb?


In Chile machen sie es anders
Im Juni 2016 tritt im Andenstaat das neue Gesetz 20.606 in Kraft. Es bestimmt die Nährwertzusammensetzung von Lebensmitteln und deren Werbung und ist in der Bevölkerung unter dem Kennzeichnungsgesetz, also auf Spanisch: „La Ley de los Sellos“ bekannt. Im Gesetzestext heißt es im Artikel 6: „Es dürfen keine Produkte verwendet werden, die die Leichtgläubigkeit von Minderjährigen ausnutzen. Der Verkauf von Lebensmitteln, die speziell für Minderjährige bestimmt sind, darf nicht über kommerzielle Aufhänger erfolgen“. Und: „Jede von den Massenmedien durchgeführte Lebensmittelwerbung muss eine Botschaft enthalten, deren Merkmale das Gesundheitsministerium erfasst und das gesunde Lebensgewohnheiten fördert.” Auch die Werbung für solche Lebensmittel schränkte man ein, Kinder unter 14 Jahren dürfen die für solche Produkte unter anderem in Bildungseinrichtungen nicht mehr sehen. Jenes Gesetz erzwingt auch schwarz-weiße „Hoher Anteil von“-Aufkleber für Kalorien, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz auf Lebensmittelverpackungen. Die Folge: Überschreitet ein Produkt diese Grenzen, bekommt es je einen Aufkleber auf die Verpackung, Schokolade trägt heute bis zu drei.

Weniger Fett, Salz und Zucker
Die Anpassung der gesetzlichen Grenzwerte erfolgte in drei Schritten. 2019 wurden die Werte so abgesenkt, dass Produkte pro 100 Gramm heute das schwarz-weiße Warnsiegel bei je 275 Kalorien, 400 Milligramm Salz, 10 Gramm Zucker oder vier Gramm gesättigte Fette tragen müssen. Bei Flüssigkeiten liegen die Grenzwerte aktuell in 100 Millilitern bei je 70 Kalorien, 100 Milligramm Salz, fünf Gramm Zucker oder drei Gramm Fette. Immerhin gab man der Industrie Zeit, so dass viele Hersteller die Zusammensetzungen ihrer Produkte veränderten, sodass sie wenige oder keine schwarzen Aufkleber mehr auf ihre Waren aufdrucken oder aufkleben müssen. Andere werben gar damit, frei von solchen zu sein. Dies gilt mittlerweile als Qualitätsmerkmal …

15 Spots pro Kind
Zumindest mit dem Werbeverbot ist die Bundesrepublik auf einem ähnlichen Weg.  So fordert ein großes Bündnis, Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten, die Kinder und Jugendliche zu ungesunden Ernährungsmustern verleitet. Dazu gehöre auch ein „Werbeverbot im Fernsehen von 6 bis 23 Uhr sowie ein Plakatverbot im Umkreis von 100 Metern um Schulen und Kindergärten.“ Auch „Influencer-Werbung für ungesunde Lebensmittel“ solle man vollständig verbieten, wie es die „Verbraucherzentrale“ fordert. Weiter schreibt sie: „Durchschnittlich 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel sieht ein Kind pro Tag. Das ergab eine Studie der ´Universität Hamburg´ im Auftrag von ´AOK-Bundesverband´ und dem ´Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten´.“

Wie immer: Bedenken vor der FDP
Andreas Winkler arbeitet bei „foodwatch“ und sagt zum Thema: „Es geht nicht darum, Süßigkeiten zu verbieten. Sondern darum, insbesondere Kinder vor übergriffiger Junkfood-Werbung zu schützen. Kinder essen nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen, aber doppelt so viele ungesunde Snacks und Süßigkeiten – die Ernährungsindustrie trägt dafür eine gehörige Mitverantwortung, weil sie Kinder auf allen Kanälen mit Junkfood-Werbung beschallt.“ Die Forderung: „Für Lebensmittel, die zu viel Zucker, Fett, Salz enthalten, muss es ein striktes Werbeverbot tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr geben! Die von Bundesernährungsminister Cem Özdemir vorgeschlagenen Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel wären ein Meilenstein im Kampf gegen Fehlernährung und Übergewicht.“ Leider würden FDP und SPD eher die Interessen der Werbewirtschaft und Junkfood-Industrie vertreten und „das wichtige Vorhaben seit Monaten blockieren.“

Grandiose Umsätze zu Ostern
Das Handlungsbedarf besteht, zeigen die österlichen Verkaufszahlen. Im „Münchner Merkur“ heißt es 2016: „In den vier Wochen vor dem Osterfest werden nach Angaben des Handelsverbandes ´Sweets Global Network Süßwaren´ im Wert von fast einer Milliarde Euro verkauft.“ Davor sollten wir uns eigentlich nicht fürchten, wenn denn der Nachwuchs so schlank und rank wäre wie in den alten TV-Berichten aus den 1960er bis 1990er-Jahren. Dort ist praktisch nie ein übergewichtiges Kind, geschweige denn ein fettleibiger Jugendlicher zu sehen. Und heute? Bei „ZDF.de“ heißt es: „Zwischen 2011 und 2021 wuchs die Zahl der von Adipositas betroffenen 6- bis 18-Jährigen um 33,5 Prozent, bei Jungen zwischen 15 bis 18 Jahren um 54,5 Prozent. Das geht aus Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse in Hannover hervor.“ Die Werte sind eine Schande für ein hochentwickeltes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland.

Keine Fehlproduktion, sondern Absicht
Der vorösterliche Besuch eines chilenischen „Jumbos“ Supermarkts zeigt, was kommen könnte. Erst ist es nur der irritierte Blick auf den mehr als mannshohen Stapel mit Schokoladenhasen. Sind doch Schokoladenhasen oder? Erschließt sich erst im zweiten Augenblick, denn die Geschöpfe sind allesamt gesichtslos. Sicher, die Verpackung ist rosa oder hellblau, aber sonst? Eine Fehlproduktion? Keineswegs erklärt einem die Verkäuferin, denn auch die Weihnachtsfiguren hätten keine Gesichtskonturen, damit Kinder nicht zum Kauf verlockt würden. 

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