Life & Style Vom Bordstein bis zur Skyline: Happy Birthday, Hiphop!

Vom Bordstein bis zur Skyline: Happy Birthday, Hiphop!

Phillip Böndel (37), Co-Founder und CEO von The Ambition, Deutschlands erstem Beratungsunternehmen für Hiphop-Kultur sowie Mitinhaber und CMO der Düsseldorfer Werbeagentur Butter, beschreibt anlässlich des 50. Geburtstag von Hiphop seine persönliche Reise durch die Kultur, was er von ihr gelernt und ihr zu verdanken hat.

Ich kam 1998 das erste Mal wissentlich in Berührung mit Rap. Ich saß relativ gelangweilt in der Schule, als mein heutiger Trauzeuge und ältester Freund Alex plötzlich mit Sony Walkman und einem Tape der französischen Crew „NTM“ in die Klasse kam. Ich war gerade 12, hatte das erste Jahr Französischunterricht in der 7. Klasse und außer das es bei „Ma Benz“ offensichtlich um einen Mercedes ging, habe ich nicht viel verstanden.

Aber der Vibe war geil und irgendwie spannender als die Bloodhound Gang, die damals auf MTV rauf und runter gespielt und vom Rest der Klasse gefeiert wurde. Also ging es, unter der Supervision von Alex, der aufgrund seines älteren Bruders damals deutlich besseren Zugang zu Musik hatte als ich, weiter auf Entdeckungstour.

Es folgten „Spiel des Lebens – Spiel des Todes“ von Die Firma (ja, von denen gab’s mehr Songs als „Die Eine“), „Bambule“ von den Beginnern (Classic!), „Sport“ von Eins Zwo (Dendemann Top 5 Dead or Alive), „Unter Tage“ von RAG („Kopfsteinplaster“ beste!) und innerhalb der kommenden zwei Jahre Deutschrap-Klassiker wie „Blauer Samt“ von Torch oder „Deluxe Soundsystem“ von Dynamite Deluxe. Aggro Berlin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründet, Bushido machte eine Ausbildung zum Maler & Lackierer und Savas hatte sein erstes Soloalbum „Der beste Tag meines Lebens“ (Classic!) noch nicht veröffentlicht.

Meine Hip-Hop-Ambitionen

Und gerade als ich Deutschrap einmal komplett „durchgehört“ zu haben schien und der Fokus immer mehr Richtung Berlin, Aggro & Savas ging, ging ich 2002/2003 für ein Jahr in die USA und bekam dort „Get Rich or Die Tryin’“ von 50 Cent in meine Hände.

Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was es war und auch heute noch ist, aber der Groschen im legendären Intro des Albums ist noch nicht ganz gefallen und ich bekomme schon Gänsehaut, meine Pupillen weiten sich und ich fühle mich für den Moment unbesiegbar. Der Hunger, die Ambitionen und die Energie von 50 Cent auf diesem Album haben mich derart in ihren Bann gezogen, dass es plötzlich nicht mehr „coole Musik“ war, die ich da hörte, sondern eine Lebenseinstellung, ein Lebensgefühl, ein Mindset.

Ab diesem Moment war ich mental nie mehr der semi-motivierte Junge aus dem Kölner Speckgürtel, der Abitur machen, studieren und ein Reihenhaus wollte. Ich wollte mehr. Am liebsten „alles“, aber mindestens so viel wie irgendwie geht: Anerkennung, Ruhm, Erfolg, Geld.

Hiphop-Realkeeper werden sich an dieser Stelle im Grab umdrehen, da es im Hiphop selbstredend auch um andere Aspekte geht, aber egal wie man die Geschichte dreht und wendet: Hiphop beschreibt seit jeher das Narrativ des sozialen Aufstiegs. Es geht immer von unten nach oben. Wo unten und wo oben ist, definiert sich dabei ganz individuell. Gleichwohl mein persönliches „unten“ von Geburt an bereits sehr privilegiert war, habe ich mir mein „oben“ umso ambitionierter gesetzt.

Vom American zum German Dream

Zurück in Deutschland kaufte ich mir ein Mic, zwei Turntables, baute Beats mit Cubase, Flyer und Plattencover mit Corel Draw (gibt’s das noch?) und sprang sogar beim Abiball auf der Bühne rum. Turbo cringe – aber es war mir komplett egal. Ich war auf einer Mission. Kurze Zeit später bekam ich die Chance beim damals angesagten Hiphop-Kollektiv FMN-Music in Köln zu rappen, hatte ein bis zwei Live-Gigs in kleinen Kölner Clubs und schleppte 100 CDs der damaligen Label-Compilation in den Saturn am Kölner Hansaring, weil ich fest davon überzeugt war, dass „ganz Köln“ darauf warten würde. Man munkelt, dass 99 der 100 CDs nie einen Abnehmer fanden.

Danach ging alles sehr schnell: Ich startete einen Blog bei Hiphop.de, wurde von Toxik in die Redaktion befördert, initiierte den „This is Cologne“-Sampler inklusive Posse-Video, lernte dadurch Eko Fresh kennen und war fortan Teil des Teams seines damaligen Labels „German Dream“.

Gastautor Phillip Böndel

Ich pendelte täglich mit meinem Smart (1. Generation) 80 km von meiner Ausbildungsstätte in Oberhausen in die Taunusstraße in Köln-Gremberg, Hakan Abi erklärte mir wie man Merchandise verkauft, Ralph Jacobs zeigte mir wie man eine CD richtig in den Handel bringt, Kingsize gab mir Einblicke ins Mixing und Farid und Summer waren zu dem Zeitpunkt die mit Abstand coolsten Typen, die ich jemals getroffen hatte. Ich war nun da, wo ich seit „Get Rich or Die Tryin’“ sein wollte: Mittendrin statt nur dabei. Vom Speckgürtel in die „Bränx“. Aus Phillip wurde „Phiddy“.

Started from the Bottom now I’m Junior Werber?

In den Jahren darauf durfte ich das beim „German Dream“ erlernte Handwerk unter anderem in meiner jahrelangen Zusammenarbeit mit Laas einbringen, Savas bei seiner Veröffentlichung von „AURA“ begleiten und Azad bei „Leben II“ supporten. Ich lebte meinen Traum und Hiphop floss durch meine Venen.

Doch während Fifty im Hintergrund „I took quarter waters, sold it in bottles for two bucks. Then, Coca-Cola came and bought it for billions—what the fuck?“ aus den Boxen rappte, war mein Konto bei der Postbank an 300 von 365 Tagen im Dispo. Ich war inzwischen 28, hatte mein Studium während der Zeit im Hiphop abgebrochen und brauchte, ob es mir gefiel oder nicht, einen Plan B.

Plan B war, für 1.500 EUR als Junior in einer Düsseldorfer Werbeagentur anzufangen, nachdem sich neun von zehn Agenturen nicht einmal auf meine Bewerbung zurückgemeldet haben. Das ich dabei zwei Fäuste in der Tasche hatte und sich die berufliche Umorientierung wie „die Niederlage meines Lebens“ anfühlte, ist selbsterklärend.

Heute weiß ich, dass es das Beste war, was mir passieren konnte. Zum einen, weil ich Dank meiner Zeit in der Werbung heute mit meinem Unternehmen The Ambition beide „Karrieren“ und Skillsets zusammenführen kann, zum anderen, weil ich durch dieses „Hinfallen“ gelernt habe, dass Hiphop mir alle Tools an die Hand gegeben hat, die es braucht, um immer wieder aufzustehen und erfolgreich zu sein: Ambition, Hackermentalität und das Hustle- beziehungsweise Macher-Gen.

Hiphop made me

Hiphop wurde vor 50 Jahren von Menschen begründet, die aufgrund von Rassismus und Klassismus nicht nur marginalisiert, sondern komplett ausgeschlossen wurden. Sie mussten dementsprechend „aus dem Nichts“ etwas erschaffen und erreichten dies durch Selbstermächtigung und Kreativität. Wer wenig oder gar nichts hat, muss einfallsreich sein.

Und auch wenn die Umstände heute andere sind und die Welt sich Gott sei Dank weitergedreht hat, lebt dieser einzigartige Spirit im Hiphop weiter und überträgt sich von Generation zu Generation. Durch Musik, durch Kunst, durch Tanz, durch Kleidung, durch Sprache, durch das Mindset und viele weitere Ausprägungen und Eigenschaften, die Hiphop unverkennbar und zur einflussreichsten Subkultur unserer Zeit gemacht haben.

Anders als von vielen Außenstehenden missverstanden, feiert Hiphop im Übrigen auch niemals den „Flex“ als solchen, sondern immer den Weg dorthin. Es geht um die Reise von unten nach oben. Denn auch das ist ein ungeschriebenes Gesetz im Hiphop: „Respect is earned, not given“. Dafür braucht es Skills und Durchhaltevermögen. Gerade Letzteres musste ich erst lernen.

Heute bin ich 37 Jahre alt und kann mit Blick auf die letzten fünfzehn Jahre behaupten: So gut wie alles was ich im beruflichen Kontext erreicht habe, habe ich dem Mindset und den Tools der Hiphop-Kultur zu verdanken. Sie haben mich dazu befähigt in der Werbeagentur vom Junior zum Geschäftsführer und Mitinhaber aufzusteigen, CEO von The Ambition zu werden und inzwischen nicht mehr jeden Tag im Dispo zu sein. Mit anderen Worten: Hiphop made me – und dafür bin ich dieser Kultur und ihren Begründern zu lebenslangem Dank verpflichtet. Happy Birthday.

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