Leadership & Karriere Steil nach oben: Monika Sattler und ihre Karriere auf dem Fahrrad

Steil nach oben: Monika Sattler und ihre Karriere auf dem Fahrrad

Also mit dem Bike im Gepäck weiter, dieses Mal nach Mallorca. Dort absolvierte sie jeden Tag rund vier Stunden Training, lief dazu noch. Und siehe da: 2018 stellte Sattler ihren ersten Rekord auf. Auf der Vuelta a España, der anspruchsvollen Spanienrundfahrt, 21 Etappen in 23 Tagen, 3 300 heiße Kilometer durch das staubtrockene Land.

Damals stand das Rennen nur Männern offen – für Sattler kein Hindernis. „Ich bin einfach früher aufgestanden und die Strecke vor den Männern gefahren“, sagt sie. Das Schwierigste an der Vuelta sei für sie nicht die Strecke an sich gewesen, sondern die Organisation davor. Akkreditieren, Stopps planen, Hotels buchen.

„Ich bin einfach früher aufgestanden und die Strecke vor den Männern gefahren.“

Monika Sattler

„Die Veranstalter wollten nicht, dass ich eine politische Kampagne daraus mache, aber sie haben mich toleriert“, sagt sie. „Die Kampagne wollte ich aber auch gar nicht. Ich glaube, wenn man als Frau einfach mal was macht, ist das schon ein Statement. Man muss es nicht immer noch verbal kommunizieren.“ Später schrieb sie dann noch ein Buch, das das Ziel hatte, Frauen zu ermutigen.

Heute coacht sie Führungskräfte. Die sollen mit ihrer Hilfe ihre beruflichen Ziele besser erreichen. Auch wenn sie sich selbst den Konzernen verweigert, sollen andere sich dort verwirklichen. Und sie spricht auf Panels. So wie jetzt im Kino International, nachdem der Abspann zu ihrem Film lief und die Lichter im Saal wieder angehen. Ohne den Druck des großen Unternehmens im Rücken zu haben. „Als Selbstständige kann ich mich konstant fordern. Manchmal bin ich auch überlastet. Aber genau das brauche ich“, sagt Sattler.

Eibrötchen und Quizfragen

Okay, also mal wieder „einfach machen“. Ein Motto, das mittlerweile natürlich zur hohlen Floskel und Parodie verkommt, dessen Verführungskraft aber trotzdem nicht ganz von der Hand zu weisen ist. „Was mich emotional am meisten beschäftigt hat, ist nicht das Projekt selbst, sondern die Menschen drumherum“, sagt Sattler im Film. Was insofern interessant ist, weil Radfahren in letzter Konsequenz vor allem Einzelkampf ist, sie sich aber als Teammensch sieht. „Ich möchte niemals alleine Ziele erreichen, sondern immer mit Menschen. Egal, in welchem Format“, sagt sie.

So hat sie bei der 124-Pässe-Challenge dann auch ein Team begleitet. Es hat sie unterstützt, gefordert, alle Pässe gemeinsam mit ihr bestritten. Sie Tausende Höhenmeter strampelnd, die anderen im Auto hinter ihr her. Die Wahl fiel auf die Schweiz, weil „Spanien kein gutes Land ist, um selbstständig zu sein“, sagt Sattler.

Foto: Björn Sum

Im Gespräch trägt sie ihre Haare wieder zum Dutt gebunden und ein Sportshirt. Sie lacht immer wieder. Sie sei nach ihrer Zeit in Spanien für ein Jobangebot in die Schweiz gezogen, dieses Mal im Sport, allerdings als Marketingmanagerin. „Und wieder habe ich gemerkt, das ist nichts für mich“, sagt Sattler. Das war kurz vor dem Ausbruch der Pandemie. Zwei Jahre darauf kam sie dann auf die Idee, alle Schweizer Pässe zu befahren. 1 368 Kilometer Strecke, 56 000 Höhenmeter, das alles in weniger als 30 Tagen. Einen konkreten Trainingsplan gab es nicht, aber das war nicht schlimm: „Ich fahre seit 15 Jahren. Ich weiß, was ich machen muss, um es zu schaffen.“

Wie bereits auf der Vuelta a España bestand die wesentlich größere Herausforderung in der Organisation, Logistik und dem Management des ganzen Projekts. Einmal sei Sattler kurz davor gewesen, hinzuschmeißen. Der Grund: Eine Tageszeitung hatte während der Vorbereitungen einen Artikel über sie veröffentlicht, darauf folgten Kommentare, in denen die Challenge schlechtgemacht wurde und in denen sie als Frau belächelt wurde.

„Ich habe mich gefragt, warum ich das noch machen soll, wenn eh alle negativ darüber denken“, sagt sie. Doch sowohl der Reporter ebenso wie ihr Team hätten sie dazu ermutigt weiterzumachen. „Meine Teamkollegin Julia hat gesagt: Solange wir Spaß haben, ist es doch völlig egal, was die Welt denkt.“

Sattler zog die Challenge also durch, im August 2022. 26 Tage lang stieg sie bei jedem Wetter aufs Fahrrad. Hinter ihr im Auto ihre Kollegen sowie ein ganzes Kamerateam. Die Kamera habe sie während der Challenge ausblenden können.

Alle 26 Tage folgten dann demselben Ablauf: Sieben Uhr aufstehen, acht Uhr losfahren. Ungefähr 2 000 Höhenmeter und vier bis sechs Stunden Fahrt absolvieren. Nur nach oben. „Da war nichts mit rollen lassen“, sagt Sattler. Dann ins Auto zum nächsten Pass, wieder aufs Fahrrad. Gegessen wurde unterwegs: Brötchen mit Ei, Avocado, Käse. Abends die Vorbereitung auf den nächsten Tag, strenge Bettzeit 22 Uhr.

Interessant die Strategien, die sie zum Durchhalten entwickelt hat. So hat sie sich jeden Tag erneut auf etwas anderes gefreut. Manchmal war es das Eibrötchen, manchmal gute Musik. Manchmal Quizfragen, die ihre Teamkollegen ihr zur Ablenkung stellten. Oder aber auf Menschen, die auf dem Rad dazukamen und sie ein Stück auf ihrem Weg begleiteten, weil sie über Social Media auf sie aufmerksam geworden waren.

Und fast nie lief alles wie geplant ab: „Es gab viele Überraschungen. Volksfeste, Baustellen, das Wetter. Manchmal mussten wir die Pässe sogar suchen“, sagt Sattler. Hier und da gab es erwartbarerweise einen Platten. Aber: „Alles Peanuts im Vergleich zur Vorbereitung.“

Am Ende ging es gar nicht um die Geschwindigkeit, sondern um das Absolvieren: „Genug essen und alles langsam angehen“, sagt Sattler. Wer über 100 Pässe vor sich hat, muss auf Hunger, Durst und Erschöpfung hören. Schöne, direkt in den Alltag übertragbare Lektion: „Man tendiert ja manchmal dazu, Probleme aufzuschieben, dabei muss man sie hier sofort lösen.“ Und das hat für sie funktioniert.

„Man tendiert ja manchmal dazu, Probleme aufzuschieben, dabei muss man sie hier sofort lösen.“

Monika Sattler

Denn nach 26 Tagen konnte sie die Zielgerade erreichen und damit ihren zweiten Weltrekord hinlegen. „Wenn man aus der Komfortzone geht, dann lebt man sein Leben“, sagt sie zusammenfassend am Ende des Films – und verpasst den Anwesenden im Kino den Tritt in den Hintern, für den sie freiwillig gekommen sind.

Sattler hat sich immer wieder selber den Weg aus dieser mittlerweile so totbeklagten Komfortzone gesucht. Wer die lukrative Karriere bei der Weltbank oder bei IBM für Lenker, Schaltung und Bremse aufgibt, macht es sich nicht ganz einfach. „Ich bin kein Fan von dem Wort Karriere. Das klingt nach Geld, Status und Aufsteigen“, sagt Sattler. Stattdessen legt sie Wert auf andere Perks: „Man sollte einen Job finden, in dem man seine Kreativität und sein Potenzial entfalten kann.“

Sattler ist sich dabei bewusst, dass sie Privilegien nutzt, die nicht allen Menschen zustehen, und ihre Geschichte tatsächlich ihre ist. Sie versucht sich an einer größeren Einordnung: „Geld ist schon wichtig, aber das sollte nicht der Treiber sein.“ Sie hat in erster Linie an ihrem Vorhaben wachsen und einen Transfer zu anderen Lebensbereichen herstellen wollen. „Vor allem in Bezug auf Führung und wie man mit anderen Menschen umgeht“, sagt sie.

Nach den vielen Versuchen, irgendwo in vorgegebenen Strukturen unterzukommen, hat Sattler mittlerweile die Konsequenz gezogen und ist nun ihre eigene Chefin – als Coach. „Mir sagt keiner, was ich zu tun oder zu lassen habe.“ Derzeit will sie ein Team um sich herum aufbauen. Mut, Mindset, große Ziele – als Verkaufsargument dient die eigene Geschichte.

Am Abend der Filmpremiere hat sie Hunderte Frauen um sich geschart. Sattlers Persönlichkeit zieht viele in ihren Bann. Gerade auch, weil sie einfach nicht stillhalten kann: „Die nächste Challenge wird auf jeden Fall kommen“, sagt Sattler. „Das liegt in meiner Natur.“

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 03/23. Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Danach. Wie geht es nach einem Fuck-Up oder Wendepunkt im Leben weiter? Außerdem haben wir mit Nationaltorhüterin Merle Frohms gesprochen und die Seriengründerin Marina Zubrod erzählt alles über ihre Hassliebe zum Unternehmertum. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

Seite 2 / 2
Vorherige Seite Zur Startseite

Das könnte dich auch interessieren

Geheimtreppe zur Macht: Merz und Mützenich im Ringen um schnelle Neuwahlen Leadership & Karriere
Geheimtreppe zur Macht: Merz und Mützenich im Ringen um schnelle Neuwahlen
Vaterschaftsurlaub 2024: Deutschland im Schneckentempo zum Familienglück? Leadership & Karriere
Vaterschaftsurlaub 2024: Deutschland im Schneckentempo zum Familienglück?
Arbeitgeber-Tricks: Was hinter Ghost Jobs steckt und wie man sie erkennt  Leadership & Karriere
Arbeitgeber-Tricks: Was hinter Ghost Jobs steckt und wie man sie erkennt 
Das Ampel-Aus droht: Szenarien für Deutschlands politische Zukunft Leadership & Karriere
Das Ampel-Aus droht: Szenarien für Deutschlands politische Zukunft
Mangelnde Produktivität im Home Office: Einsamkeit ist der wahre Grund Leadership & Karriere
Mangelnde Produktivität im Home Office: Einsamkeit ist der wahre Grund