Leadership & Karriere Steil nach oben: Monika Sattler und ihre Karriere auf dem Fahrrad

Steil nach oben: Monika Sattler und ihre Karriere auf dem Fahrrad

Die Berliner Karl-Marx-Allee an einem Tag im Mai. Menschen in Anzügen und eleganten Kleidern versammeln sich vor dem Kino International. 1963 eröffnet, danach jahrzehntelang das Premierenkino der DDR. In den 80er-Jahren saß hier Erich Honecker mit der versammelten Männermannschaft des Arbeiter-und-Bauern-Staats.

Was damals das Kino der Männer mit Macht war, soll an diesem Tag im Mai 2023 das Kino der Frauen mit Mut sein. Frauen, die einfach machen. Denn so ungefähr hat der Veranstalter des Abends, das deutsche Softwareunternehmen Lexware, das Eventmotto vorformuliert.

Als Personifizierung dieser Vorgabe steht Monika Sattler im Spotlight des Abends. Coach, Keynotespeakerin, Autorin. Eine Person, die die konsequente Suche nach Selbstverwirklichung in tatsächlich neue Höhen getrieben hat. Und deren Lebensgeschichte, wie sich an diesem Abend zeigen soll, als inspirierendes Beispiel für die Kraft produktiver Unzufriedenheit taugen kann. Mittlerweile ist sie Radsportprofi und zweifache Rekordhalterin. Besser: Veloprofi, wie man in ihrer Wahlheimat Schweiz sagt.

Das Kino ist daher auch ein ungewöhnlicher Ort für die Sportlerin, die sonst hoch oben in den Schweizer Bergen zu finden ist, immer mit dem Fahrrad auf der Straße. Daher gibt sie sich auch hier im Kino International sportlich. Ihre blonden Haare trägt sie zum Dutt gebunden, dazu eine grüne Stoffhose mit Schlag, schwarzes Top. Sie steht im Foyer, um sie herum vor allem Frauen. Männer sind hier heute in der Unterzahl. Es gibt Sekt und Kanapees, vor dem Kinosaal riecht es nach Popcorn.

Foto: Janina Steinmetz

Hunderte Frauen aus der jungen Wirtschaft, Influencerinnen, Gründerinnen und Sportlerinnen sind heute da, um einen Teil von Sattlers Geschichte zu sehen. Gegen 20 Uhr beginnt die Premiere von „Freigefahren“, dem Film über Sattler, den Sponsor Lexware im Rahmen einer Kampagne hat umsetzen lassen.

Moderatorin Sophie Passmann kündigt die Vorstellung an. „Die Challenge muss ich ablesen, ich habe nicht so viel mit Fahrradfahren am Hut“, sagt sie. Gelächter im Saal. Sattlers Challenge bestand darin, alle 124 Schweizer Pässe in 26 Tagen mit dem Rad zu fahren. Als erste Frau überhaupt.

Überall und nirgendwo

Der Saal ist gut gefüllt, die Zuschauerinnen greifen in Popcorntüten, trinken Aperol Spritz. „Scheitern ist für mich, wenn man aufgibt“, ist einer der ersten Sätze von Sattler im Film, und die Logik ist bestechend. Sattler ist 37 Jahre alt und blickt bereits auf ein Leben mit vielen verschiedenen Stationen auf unterschiedlichen Kontinenten zurück. Zwischendurch hat sie besagtes Scheitern immer wieder mal erlebt.

Geboren wurde sie in Darmstadt, Abitur machte sie in München. Danach stellte sich die altbekannte Frage: „Ich hatte das Problem, herauszufinden, was ich eigentlich machen will“, sagt Sattler. „50 Prozent meiner Mitschüler haben BWL studiert, das wollte ich definitiv nicht.“

Das Einzige, wofür sie gebrannt habe, sei der Sport gewesen, sagt sie. Deutschland sei allerdings für ein Sportstudium nicht infrage gekommen, ihr Ziel waren die USA. Sattler versuchte es an etlichen amerikanischen Unis, bewarb sich auf unterschiedliche Stipendien. Denn ihre Eltern hätten ihr die teuren Studiengebühren nicht bezahlt. Genommen wurde Sattler letztendlich an einer Uni in den Südstaaten – für ein Volleyballstipendium.

Doch dort wurde sie nicht richtig glücklich, sie wollte an eine Uni, die ihr mehr Möglichkeiten eröffnen könnte. Nach einem Jahr begann sie, sich neu zu bewerben. In London für Global Studies, in den USA für Internationale Sicherheit. Dann kam die Zusage von Georgetown in Washington, D.C. – einer der US-Eliteunis und wohl besten Schulen weltweit für Sicherheitspolitik.

Der Haken: Ein Jahr Studium kostet dort mal eben 70 000 Dollar. Zweimal hat sie nachgehakt und deutlich gesagt, dass sie den Betrag nicht zahlen kann. Siehe da, die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt: „Ich bekam das Stipendium.“

Sie sagt: „Das war mein erstes Learning: einfach mal fragen. Und nicht alles sofort hinnehmen.“ Sattler erinnert sich gut an ihre Studienzeit in Washington: „Das Einzige, was ich vermisst habe, war gutes Brot“, sagt sie. Immerhin schnupperte sie internationale Atmosphäre, und nach ihrem Abschluss in Sicherheitspolitik stand sie dann 2010 vor der nächsten Entscheidung: Wird es die steile Karriere bei der Weltbank oder lieber doch der Profisport?

Sattler erzählt, dass sie versucht habe, beides unter einen Hut zu bringen. Unter der Woche bei der Weltbank arbeiten, samstags und sonntags Radfahren. „Am Wochenende waren Puls und Intensität viel höher. Ich habe nur von Wochenende zu Wochenende gelebt“, sagt Sattler.

Unbound Gravel, Almanzo, Filthy 50

2011 startete sie mit dem Gravel-Fahren: Unbound Gravel, Almanzo, Filthy 50. 2012 dann ein Abstecher nach Deutschland. Bundesliga, in einem Team aus Stuttgart. „Drei Monate, um festzustellen, dass ich genau das nicht wollte“, sagt sie. Und damit meinte sie vermutlich nicht den Radsport an sich, sondern diese Art von Wettkampf, das Umfeld.

Weiter auf dem Zeitstrahl: zurück in die USA, um noch mal einen Abschluss zu machen, dieses Mal im Sport. Danach ab in die Schweiz, um dort als Unternehmensberaterin zu arbeiten. Von ihrer Corporate-Rolle hatte sie sich noch nicht endgültig trennen können. Glücklich wurde sie allerdings auch nicht. „Ich dachte, es lag vielleicht am Land“, sagt Sattler scherzhaft. Also zog sie nach Australien, arbeitete als Unternehmensberaterin. Um dort festzustellen, dass es irgendwie doch am Job lag.

Sattler erinnert sich an einen ehemaligen Kollegen aus der Schweiz, dessen Familie in Deutschland wohnte. Am Wochenende nahm er stets den Umweg über Island nach Deutschland, um seinen Status bei der Lufthansa aufrechtzuerhalten. „Ich wollte nicht Teil dieser Welt sein“, sagt Sattler. „Diese Menschen um mich herum hatten einfach ganz andere Prioritäten.“

Die Entscheidung wurde ihr dann kurzerhand abgenommen: Sattler wurde gekündigt, da die Software, auf die sie spezialisiert war, eingestellt wurde. „Plötzlich saß ich da, arbeitslos im Botanischen Garten in Melbourne“, sagt sie. Zu diesem Zeitpunkt war sie 30 Jahre alt. „Ich war down, weil ich mich gefragt habe, warum ich es nicht hinkriege, einen normalen Job zu haben und happy zu sein.“ Sie dachte nach: Glücklich machte sie das Radfahren.

„Also habe ich mein Rad und eine kleine Tasche gepackt und bin nach Spanien gezogen.“ Die Wahl fiel auf Spanien, weil sie dort ohne Probleme arbeitslos sein durfte, dauerhaft gutes Radelwetter herrschte und ihr die Kultur nicht ganz fremd war. La dulce vida dauerte ein ganzes Jahr, in dem das Cash von den Konzernjobs angezapft wurde. Und Sattler blieb produktiv-unzufrieden: „Plötzlich wollte ich Youtuber werden, dann Instagramer. Ich habe Klamotten designt und immer wieder festgestellt, dass das nicht meins ist“, sagt sie.

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