Productivity & New Work Warum Führungskräfte offen mit ihren psychischen Erkrankungen umgehen sollten

Warum Führungskräfte offen mit ihren psychischen Erkrankungen umgehen sollten

Ein Gastbeitrag von Laura Henrich, CEO von Klenico

Ich gebe zu, dass Burnout und Depression jetzt nicht in das klassische Bild einer Führungskraft passen. Mit einer Führungsrolle assoziieren die meisten von uns eher mentale Stärke, Resilienz und die Fähigkeit, in jeder Situation Ruhe und strategischen Weitblick zu bewahren. Um dieser Vorstellung selbst zu entsprechen und aus Angst vor Stigmatisierung, präsentieren sich Menschen mit viel Verantwortung deshalb am liebsten stark und von Krisen unbeeindruckt.

Nur entspricht das nicht der Wahrheit. Natürlich leiden Führungskräfte ebenso unter Stress, der durch Überlastung, Termindruck oder durch unvorhersehbare Krisen entsteht, weshalb ihr Risiko an Burnout und Depression zu erkranken sehr hoch ist. Insgesamt sind in Deutschland jedes Jahr rund 28 Prozent der erwachsenen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen, Chefetage eingeschlossen.

Zeit also, mit dem Versteckspiel aufzuhören. Denn Manager:innen verpassen dadurch eine Chance, ihrem Team ein Vorbild zu sein. Statt die eigene Schwäche zu verstecken, können Führungskräfte, die offen mit ihren psychischen Beschwerden umgehen, den Weg für Mitarbeitende ebnen, sich ebenfalls zu outen. Das macht es allen im Unternehmen leichter, mit ihren eigenen Belastungen offener umzugehen und sich aktiv die notwendige Unterstützung zu suchen. Es gibt aber noch weitere Gründe, weshalb Führungskräfte, die durch eine schwere Zeit gegangen sind, die besseren Chefs sein können:

Empathischere Feedbackgespräche

Menschen, die von Burnout und Depression betroffen sind und sich aktiv damit auseinandersetzen, entwickeln meistens sehr feine Antennen. Das bedeutet, sie nehmen Stimmungen und das Stresslevel bei sich und anderen deutlich wahr. Durch ihre eigene Erfahrung sind sie weniger ängstlich oder ratlos, wenn sie merken, dass Mitarbeitende gerade struggeln. Im Gegenteil, sie werden die Hinweise darauf ernst nehmen und das Thema Überlastung im vertraulichen Rahmen mit großer Wahrscheinlichkeit selbst ansprechen. So signalisieren sie, dass es okay ist, überfordert zu sein. Ein Gefühl, das die meisten Arbeitnehmenden sehr gut kennen. 

Laut einer Studie leidet jede:r zweite:r Arbeitnehmende unter Erfolgsdruck und Terminstress. Ein offenes Gespräch darüber, wo die Ursachen liegen und was im Einzelfall konkret helfen kann, ist oft der erste Schritt, um den Druck etwas rauszunehmen. Damit sind nicht alle Probleme auf Arbeitsebene gelöst, aber die Betroffenen fühlen sich gesehen und ernst genommen, was emotional unheimlich entlastet.

Schnellere Konfliktlösungen

Wer sich und seine eigenen Bedürfnisse gut kennt oder sogar im Rahmen einer Therapie bereits erforscht hat, kennt sich mit inneren Konflikten exzellent aus und kann auch für externe Konflikte ein viel besseres Verständnis entwickeln. Deshalb kann es Führungskräften, die aufgrund psychischer Beschwerden therapeutische Unterstützung gesucht haben, leichter fallen, in Konfliktsituationen verständnisvoll und umsichtig zu reagieren. Sie sind eher darin geschult, sich alle Seiten anzuhören und können die einzelnen Standpunkte leichter nachvollziehen als Menschen, die sich bisher nicht mit innerer Arbeit und den eigenen widerstreitenden Stimmen auseinandergesetzt haben.

Diese entspannte Haltung gegenüber angespannten Situationen im Team verhindert oft eine weitere Eskalation oder Dramatisierung. Hinzu kommt, dass Manager:innen mit Therapie-Erfahrung oft kommunikativ geschulter mit Konflikten umgehen können, beispielsweise indem sie nach konkreten Bedürfnissen und Lösungswünschen der Beteiligten fragen und sich nicht so sehr für die ausführliche Problembeschreibung interessieren.

Authentischere Führung

Jemand kann noch so gut darin sein, so zu tun als ob, die anderen werden es bemerken – bewusst oder unterbewusst. Deshalb sind Manager:innen, die dazu stehen, dass sie gerade nicht 100 Prozent leistungsfähig oder zufrieden sind, viel authentischer als solche, die ihre Probleme immer verheimlichen. Dadurch ist es dem Team möglich, eine sichere emotionale Bindung zu ihrer Führungskraft aufzubauen, was übrigens eine wichtige Voraussetzung für eine starke Bindung an den Arbeitsplatz ist.

Laut Gallup ist diese gerade bei uns in Deutschland auf einem Rekordtief. Nur noch 13 Prozent der für die Studie befragten Arbeitnehmenden geben an, einen emotionalen Bezug zu ihrem Arbeitgeber zu haben. Innerlich gekündigt haben laut der Umfrage bereits 18 Prozent, die Mehrheit (67 Prozent) gibt an, Dienst nach Vorschrift zu machen. Zufrieden und in einem gesunden Maße engagiert sind also nur sehr wenige. Manager:innen, die klar und transparent kommunizieren, also auch Unangenehmes ansprechen und ihre Schwächen offenlegen, können dafür sorgen, dass diese Zahl wieder steigt.

Inspirierendere Vorbilder

Welche Menschen faszinieren uns mehr? Vom Erfolg verwöhnte Siegertypen, die Schwierigkeiten nicht zu kennen scheinen oder solche, die aus Krisen transformiert und gestärkt aus ihnen hervorgegangen sind? Genau, keine Heldenreise ohne Konflikt. Dieses Prinzip verkörpern Führungskräfte, die sich Unterstützung bei der Bewältigung ihrer psychischen Beschwerden gesucht haben und offen dazu bekennen. Durch ihren Weg verstehen sie viel mehr vom Scheitern und sich wieder aufrappeln als Manager:innen ohne Makel und können ihr Team ermutigen, die eigene mentale Gesundheit ernst zu nehmen und sich rechtzeitig Hilfe zu holen.

Größeres Risikobewusstsein

Bei psychischen Beschwerden wie Burnout und Depression ist die Rückfallquote hoch, weshalb davon betroffene Menschen sich nach einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie weiterhin gut um ihre Gesundheit kümmern müssen. Dadurch entwickeln sie ein großes Risikobewusstsein und eine angemessene Voraussicht, die sie auch bei beruflichen Entscheidungen nutzen können. Durch ihre erhöhte Wachsamkeit können sie Veränderungen im Team, aber auch gesellschaftliche Veränderungen und Trends früher als andere wahrnehmen und darauf reagieren. Dem eigenen Team ersparen diese Führungskräfte Unsicherheit durch Kurzschlussreaktionen und ständige Richtungswechsel.

Natürlich braucht man keine psychischen Beschwerden, um eine gute, faire und inspirierende Führungskraft zu sein, das kann man auch ohne Leidensweg schaffen. Ich glaube sogar, dass es einen vor Burnout und Depressionen schützen kann, sehr umsichtig mit sich und anderen zu sein.

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