Leadership & Karriere Berlinale Talents: „Weg von den toxischen Hierarchien der Vergangenheit“

Berlinale Talents: „Weg von den toxischen Hierarchien der Vergangenheit“

Ein Netzwerk für 10.000 Filmemacher:innen aus aller Welt, das ist Berlinale Talents. Das Förderprogramm im Rahmen des Festivals ist eine Möglichkeit zum Aufbauen von Verbindungen, wie es in der Filmbranche nur wenige gibt.

Junge Menschen (eine Altersgrenze gibt es allerdings nicht) lernen von Coaches oder diskutieren mit Weltstars wie Meryl Streep, Wim Wenders oder in diesem Jahr Cate Blanchett. Und bleiben auch nach den Tagen in Berlin verbunden.

Florian Weghorn kümmert sich um das Programm, Christine Tröstrum ist Projektleiterin. Und 2023 nach 19 Jahren zum letzten Mal dabei. Wir waren in Berlin vor Ort und haben die beiden Talents-Chef:innen zum Gespräch getroffen.

Sie müssen da gerade noch eine wichtige Mail schreiben. Ohne die Privatsphäre verletzen zu wollen, um was geht es?

Weghorn: Wenn man Filmschaffende aus 68 Ländern zusammenbringt, dann sind auch alle Herausforderungen dieser Welt vertreten. Bei Berlinale Talents ist das Besondere, dass wir uns um die Menschen hinter dem Film kümmern. Deshalb dürfen diese persönlichen Herausforderungen auch eine Rolle spielen. Wenn es um das Wohlergehen der Talente geht, dann ist das auch unsere Aufgabe.

Tröstrum: Viele kommen aus Ländern, wo Gender-Gerechtigkeit schwierig ist oder wo sie nicht frei sprechen können. Da ist klar: Wir sind eine Filmcommunity, in der sie sich gegenseitig stützen und fördern können. Die Frage ist dann einfach: Welche Ressourcen dafür stecken schon in uns und welche müssen wir von außen beisteuern?

Christine Tröstrum (r.) und Florian Weghorn. Foto: David Ausserhofer.

Die ehemaligen Talente sind eine große Runde. Wie helfen sie einander?

Weghorn: Es sind nahezu 10.000 Alumni und die bereichern die 203 Talente, die in diesem Jahr neu dabei sind. Es geht gar nicht darum, ständig etwas zusammen zu machen. Sondern darum, Teil einer Gemeinschaft zu werden und zu bleiben und dann auf die Momente zu warten, in denen etwas Neues daraus entsteht.

Tröstrum: Darüber hinaus entwickeln wir in Co-Kreation weitere Initiativen. Zum Beispiel ein neues Programm, in dem Filmschaffende des Globalen Südens zu Mentor:innen ausgebildet werden.

Netzwerke sind manchmal wertvoller als Geld.

Tröstrum: Deshalb ist uns auch wichtig, da transparent, offen und fair zu sein. Damit alle eine Chance auf diese Möglichkeit haben.

Weghorn: Das Durchschnittsalter bei Berlinale Talents liegt um die 33. Das ist allgemein ein Alter, in dem man selber nicht nur etwas bekommen, sondern auch schon etwas geben kann. Kurz gesagt, dass man selbst einen Wert für jemand anderen hat. Aus diesem kreativen Tauschgeschäft kann sich etwas Interessantes für die eigene Karriere entwickeln. Dafür bieten wir Methoden an, um das zu lernen und zu verfeinern. Aber mit Anfang 30 setzen auch noch mal starke Zweifel ein. In ganz praktischen Fragen.

Wie kommt das?

Weghorn: Man hat fünf oder zehn Jahre Karriere hinter sich, ist schon bestätigt worden und weiß, was man kann. Aber der Anfänger:innen-Bonus ist definitiv vorbei: Man wird immer stärker kritisiert, und Zweifel an der eigenen Arbeit werden präsenter. Aber sie sind lösbar. Oft tragen unsere Talente die Lösungen schon in sich. Sie müssen nur lernen, die Fragen und dann die Antworten gemeinsam zu formulieren.

Man hört ja auch mit 40 oder 50 nicht auf, an sich zu zweifeln.

Weghorn: Bei uns gibt es keine Altersgrenze. Viel wichtiger ist bei einer Bewerbung die Bereitschaft zum Reflektieren: Können die Bewerber:innen über sich sprechen und haben sie Lust, etwas von sich mit anderen zu teilen? Wir haben hier vierzehn verschiedene Gewerke versammelt und brechen Hierarchien, so dass zum Beispiel die Regisseur:innen nicht unter sich bleiben. Wir glauben an kuratierte Zufälle.

Tröstrum: Gerade hatten wir hier zwei Coaches im Workshop. Die haben gesagt: Schaut, dass ihr jeden Tag offen und neugierig seid. Diese Fähigkeit zur Reflexion, die kann man trainieren.

Welche Themen bewegen die jungen Filmemacher:innen besonders?

Tröstrum: Sein zu dürfen, wer man ist. Wahrgenommen werden und Unterstützung finden.

Teilnehmende des Programms 2023. Foto: David Ausserhofer.

Weghorn: Und Arbeitsverhältnisse am Set. Die dürfen nicht mehr unangenehm sein. Weg von den toxischen Hierarchien aus der Vergangenheit. Dafür gibt es heute auch Methoden, zum Beispiel Workshops, um intime Situationen vor der Kamera respektvoll zu gestalten. Und natürlich die Frage: Wie kann man die Menschen fairer behandeln – und für ihre Arbeit besser bezahlen.

Und zwar?

Tröstrum: Klarer kommunizieren. Zuhören. Feedback geben und annehmen können. Das waren die Essenzen eines Workshops, den ich im Herbst zu „Leadership on Film Sets“ gegeben habe. Noch ein großes Thema sind die Streaming-Dienstleister. Dadurch verschiebt sich gerade die ganze Verwertungskette, und eine zentrale Frage ist dabei: Wie bewahre ich meine Rechte? Dafür müssen die Kreativen immer mehr kämpfen.

Haben Sie ein Beispiel für den Kulturwandel?

Tröstrum: Mit Wim Wenders hatten wir vor wenigen Jahren eine interessante Situation. Ich habe ihm gesagt, dass es bei uns nicht mehr das klassische Panel auf der Bühne gibt, sondern dass alle gleichrangig auf Hockern nebeneinander sitzen. „Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich?“ Wim lachte und sagte: Zum Glück sind wir jetzt an diesem Punkt angekommen.

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