Productivity & New Work Gastbeitrag: Fachkräftemangel? Bezahlt endlich besser!

Gastbeitrag: Fachkräftemangel? Bezahlt endlich besser!

Ein Gastbeitrag von Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management

Nach den Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren in Deutschland im dritten Quartal 2022 nicht weniger als 1,82 Millionen Arbeitsplätze unbesetzt. Die Diskussion über fehlende Fachkräfte hat in den vergangenen Tagen erneut an Fahrt aufgenommen. „In Kombination mit hohen Energiepreisen und den Herausforderungen der Transformation in Richtung Klimaneutralität könnten die immer größeren Personalengpässe bis hin zur Verlagerung von Produktion und Dienstleistungen ins Ausland führen,“ meint die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK).

2,2 Prozent BIP

Es sind die üblichen Klagen der Unternehmen. Da von den fast zwei Millionen offenen Stellen realistischerweise eine Million besetzt werden könnten und die durchschnittliche Wertschöpfung eines Erwerbstätigen zurzeit 84.400 Euro pro Jahr beträgt, ist das Bruttoinlandsprodukt um gut 84 Milliarden Euro geringer als es sein könnte (bei dieser Rechnung wird das aktuelle BIP von 3,858 Billionen Euro durch 45,7 Millionen Erwerbstätige geteilt). Wir reden also über eine entgangene Produktion von 2,2 Prozent des BIP, Jahr für Jahr.

Nicht gesprochen wird jedoch über die Löhne. In einer Marktwirtschaft wird eine Mangellage normalerweise geräuschlos und schnell durch eine Anpassung der Preise behoben. Wenn etwas knapp ist, steigen die Preise – und das erhöht das Angebot und beseitigt die Knappheit. Warum soll es am deutschen Arbeitsmarkt anders sein? Höhere Löhne und Gehälter sind die naheliegende und systemgerechte Lösung des Fachkräftemangels.

Die Unterbezahlten müssen sich zusammentun

Dabei darf niemanden wundern, dass sich dadurch die gesamtwirtschaftliche Struktur der Einkommen ändert, dass Pflegende, Metzger:innen und Azubis relativ mehr bekommen, Chefärzt:innen, Notar:innen, Vermögensberater:innen dafür weniger, um das mal vereinfacht auf den Punkt zu bringen. Wenn sich die unterbezahlten Berufsgruppen jedoch nicht zusammentun und auf den Kampf einlassen, wird das nicht gelingen.

Seit der Jahrtausendwende sind die durchschnittlichen deutschen Reallöhne, also die nominalen Stundenlöhne minus die Inflationsrate, um lediglich um 0,5% pro Jahr gestiegen – also fast gar nicht. Das ist eine lange Zeit.

Für den privaten Verbrauch und damit die Wachstumsdynamik unserer Wirtschaft wäre viel gewonnen, wenn die Einkommen der Berufsgruppen, bei denen das Arbeitsangebot zu gering ist, einige Jahre lang kräftig angehoben würden. Das ist ein Aspekt, der in der Diskussion über fehlende Fachkräfte bisher total vernachlässigt worden ist, der aber wichtiger ist als alles andere.

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