Innovation & Future Diese Plattform macht Lehrkräfte fit für die digitale Schulzukunft

Diese Plattform macht Lehrkräfte fit für die digitale Schulzukunft

Die Zahl ist beeindruckend: 35 000 – so viele Lehrkräfte werden bis 2025 voraussichtlich an deutschen Schulen fehlen, wie der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft im Mai mitteilte. Eine riesige Lücke also, die es in den kommenden drei Jahren zu füllen gilt. Was getan werden muss: Lehrkräfte fördern sowie den Beruf wieder attraktiver machen.

Zwei Aufgaben, die eigentlich in der Verantwortung der Länder liegen, die sich aber vor allem zwei Frauen auf die Fahne geschrieben haben: Diana Knodel und Theresa Grotendorst. 2018 haben sie Fobizz in Hamburg gegründet. Hinter dem Namen steht eine digitale Weiterbildungsplattform für Lehrkräfte. Auf der Plattform können sich Lehrkräfte jeder Schulform zu unterschiedlichen Themen rund um Digitalisierung im Unterricht weiterbilden.

„Nur durch gute Bildung kann man sein volles Potenzial entfalten“

Diana knodel

„Nur durch gute Bildung kann man sein volles Potenzial entfalten“ ist laut Knodel das Leitmotto der Gründerinnen. Beide kommen aus der digitalen Produktentwicklung und haben hier die Lücke im Markt erkannt. Erst war eine SaaS-Lösung angedacht, doch aus Datenschutzgründen der Schulen haben die Gründerinnen schnell gemerkt, dass sie eine eigene Plattform benötigen. Mit der Hilfe eines Entwicklers, der mittlerweile CTO und Gesellschafter ist, wurde die erste eigene Plattform dann bereits nach vier Wochen gelauncht.

Damit war die Plattform schon einige Zeit vor den Lockdowns live. „Der Bedarf an digitaler Weiterbildung war definitiv schon vor der Pandemie gegeben“, sagt Grotendorst. Dennoch konnte Fobizz gerade durch das Homeschooling in der Pandemie in kürzester Zeit sehr viele weitere User:innen gewinnen. Und dann ist das passiert, was sich „wohl jedes Startup einmal heimlich wünscht“, wie Knodel sagt – der Server ist abgestürzt, weil der Andrang so groß war.

Heute passen sich die Server von Fobizz flexibel an die Last an, für einen weiteren Ansturm ist die Plattform also gesichert. Außerdem sei die Konkurrenz von Mitbewerber:innen nicht sehr groß. Da gibt es zum Beispiel noch Schulflix oder verschiedene Akademien, das Goethe-Institut, allerdings scheint keine der Plattformen über so ein großes digitales Angebot wie Fobizz zu verfügen. Und: Einige der Anbieter sind nicht unabhängig.

„Es ist nicht nur wichtig, den Lehrkräften Unterlagen zur Verfügung zu stellen, sondern die Lehrkräfte zu befähigen und ihnen die Möglichkeit zu geben, wiederum andere Lehrkräfte zu befähigen“, sagt Knodel. Deshalb setzen die Gründerinnen auf ein breit gefächertes Angebot aus verschiedenen Tools. Die Plattform ist wie jede klassische Onlinekursplattform aufgebaut. Die Lehrkraft loggt sich ein und kann aus einem Fortbildungskatalog von mittlerweile über 150 Themen wählen.

Alles in individuellem Tempo

Viele der Lehrkräfte erhalten die Lizenzen für die Fortbildungen direkt von den Schulen. Für alle anderen kosten die Fortbildungen zwischen 9 und 49 Euro. Es gibt jedoch auch einige kostenfreie Kurse, die zum Beispiel auch Lehramtsstudierenden angeboten werden.

Die Besonderheit: Viele der Onlineseminare finden asynchron statt. Damit kann jede Lehrkraft selbst entscheiden, wann sie die Weiterbildung im Alltag für sich nutzen will. „Lehrkräfte haben einen sehr stressigen Schulalltag, deshalb war es uns wichtig, dass sie flexibel auf die Kurse zugreifen und in ihrem eigenen Tempo lernen können“, sagt Grotendorst. Darüber hinaus bietet Fobizz ebenfalls Live-Webinare an, in denen Dozierende ihre Themen vorstellen und mit den Lehrkräften interagieren können.

Bei den Dozierenden handelt es sich um Lehrkräfte oder Medientrainer:innen, die bereits Fortbildungen gegeben haben. In der Regel bewerben sich diese direkt bei Fobizz. In einem engen Auswahlprozess entscheidet sich das Team dann für die jeweiligen Dozierenden. Sind sie dabei, werden sie am Umsatz von Fobizz beteiligt.

Die Themen unterscheiden sich teilweise sehr im Anspruch. In einem Kurs geht es um die ersten Schritte mit dem iPad, in einem anderen um den Einsatz eines 3D-Druckers oder sogar um künstliche Intelligenz. Außerdem gibt es auch Seminare zu Instagram und Tiktok, „um den Lehrkräften die Lebensrealitäten der Jugendlichen aufzuzeigen“, sagt Knodel. Hier sollen die Social-Media-Plattformen, auf die die Jugendlichen mittlerweile ohnehin kaum noch verzichten können, also direkt in die Schulpraxis integriert werden.

„Wir wollen Kinder und Jugendliche digital für ihre Zukunft fit machen. Das schaffen wir mit außerschulischen Workshops. Aber den größten Hebel haben wir nur, wenn wir die Lehrkräfte selbst befähigen“, sagt Grotendorst. Der Gedanke: Wenn die Lehrkräfte selbst es können, werden viel mehr Schulen und Kinder erreicht. „So schaffen wir den größten Impact“, sagt Grotendorst weiter.

Und der lässt sich bereits anhand von Zahlen belegen. Mehr als 200 000 Lehrkräfte haben Fobizz schon genutzt. Das ist jede vierte der Lehrkräfte in Deutschland, die wiederum mehr als fünf Millionen Schüler:innen erreichen. Von den Lehrkräften sind rund 70 Prozent Frauen, im Grundschulbereich sind es sogar 90 Prozent. Altersmäßig sprechen die Gründerinnen eher von Ausgeglichenheit, es gäbe junge wie alte Lehrkräfte, die sich weiterbilden wollen.

Die größte Weiterbildungsplattform im deutschsprachigen Raum

Gewachsen ist Fobizz aus dem eigenen Cashflow, die einzige Fremdfinanzierung kam zu Beginn durch eine Förderung der Stadt Hamburg in Höhe von 70 000 Euro. „Wir sind innerhalb von vier Jahren die größte Weiterbildungsplattform im deutschsprachigen Raum geworden“, sagt Grotendorst. Und damit nicht genug: Fobizz will in weitere Länder expandieren. Aktuell wird die Plattform im DACH-Raum genutzt, aber auch deutsche Lehrkräfte im Ausland setzen auf Fobizz, wie unter anderem in der Türkei, in Russland und Ghana. 60 Länder sind es schon – der Rest der Welt soll folgen.

Zudem kaufen Bundesländer in Deutschland Fobizz als Weiterbildungsplattform ein. „Es freut uns, dass wir das Vertrauen des Staates haben“, sagt Knodel. Zuletzt verlängerte Mecklenburg-Vorpommern die Kooperation mit Fobizz bis Ende des Jahres. „Lehrerbildung wird immer sehr föderal gedacht. Wir haben es mit Fobizz ermöglicht, dass die Bildung auch länderübergreifend stattfindet“, sagt Grotendorst.

Warum sollte eine Lehrkraft aus Schleswig-Holstein nicht die in Baden-Württemberg weiterbilden? Oder jemand aus Berlin eine Lehrkraft in Ghana? „Wir wollen die Anlaufstelle Nummer eins für alle Lehrkräfte sein“, sagt Knodel.

Die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis beantwortet Knodel so: „Unsere hohe Qualität und das strenge Auswahlverfahren der Autorinnen und Autoren.“ Außerdem bestehe ein Vorteil darin, dass die Mitgründerinnen eigentlich aus der digitalen Produktentwicklung kommen und damit genug Abstand zur Bildungswelt haben. Mittlerweile arbeiten in dem Edtech-Startup 30 Menschen.

Der neueste Launch von Fobizz: Tools als kleine, digitale Helfer, mit denen man unter anderem digitale Pinnwände und To-do-Listen erstellen oder Feedback für die Schüler:innen einsprechen kann. Dinge, die in der Techbranche selbstverständlich scheinen, im Schulalltag jedoch längst noch nicht angekommen sind.

Kleine Tools, mit denen die Schulbildung in Deutschland neu gedacht wird. Mit denen der Unterricht Stück für Stück digitalisiert und der Beruf der Lehrkräfte so wieder attraktiver gestaltet wird. Allein kann Fobizz die Lücke von 35 000 Fachkräften sicher nicht schließen, aber mit ihrem Beitrag wirkt das Ziel nicht mehr so utopisch.

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