Leadership & Karriere Becoming CEO – unsere Kolumnistin bricht das Insolvenz-Tabu

Becoming CEO – unsere Kolumnistin bricht das Insolvenz-Tabu

Unsere Kolumnistin Kristina Walcker-Mayer über das nervenaufreibende Insolvenzverfahren ihres Unternehmens Nuri – und was das für alle Beteiligten bedeutet

Unsere Achterbahnfahrt dieses Jahr ist vor ein paar Wochen im Crash geendet: Unser Unternehmen musste plötzlich Insolvenz anmelden. War das so geplant? Was bedeutet eigentlich Insolvenz? Wie läuft das ab? Hast du nun noch einen Job? Sind eure Produkte noch live? Fragen über Fragen erreichten mich. Anlass, hier essenzielle Learnings zum Tabuthema „Insolvenz“ zu teilen – und mit ein paar Mythen aufzuräumen.

Gerade als Startup-Gründerin macht es Sinn, sich frühzeitig mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Realistischerweise setzen sich nur wenige Ideen langfristig am Markt durch – und meistens benötigt man auch für die Liquidation noch Geld.

Gefährlich ist es, wenn das Geld knapp wird und den Gründer:innen durch Gesellschafter:innen oder Investor:innen unrealistische Erwartungen gemacht werden. Es sind dann die Geschäftsführer:innen, die persönliche Risiken eingehen. Wir selbst haben uns bereits einige Zeit vor der Insolvenz Unterstützung durch einen Insolvenzanwalt geholt. Eine externe Perspektive und Einschätzung sind in diesen Zeiten nicht nur mental hilfreich, sondern können einen auch rechtlich absichern.

Nun macht der Insolvenzverwalter nicht gleich den Laden dicht: Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die Maximierung des Wertes des Unternehmens, um einen höchstmöglichen Kaufpreis zu erzielen, mit dem die Gläubiger den größtmöglichen Teil ihres Geldes wiederbekommen.

Wir hatten uns für eine fremdverwaltete Insolvenz entschieden, um als Geschäftsführer:innen von der Haftung befreit zu sein. Ab sofort trifft der Insolvenzverwalter alle relevanten Entscheidungen. Wie viel das Management dann noch zu tun hat, kommt auf die Lage des Unternehmens und sicherlich auch auf den individuellen Verwalter an. Wir können das Unternehmen und die Kommunikation weiterhin nach unserer Kultur steuern.

Unsere Insolvenz gelangte durch das Weiterleiten einer Mail an die Presse. So wurde bereits über unsere Insolvenzanmeldung berichtet, noch bevor wir die Chance hatten, unsere Mitarbeiter:innen zu informieren. Dies darf nämlich nur nach Abstimmung und gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter erfolgen, und deshalb konnten wir weder rechtzeitig mit unseren Mitarbeitenden sprechen noch Medien Auskunft geben. Ich musste den Verwalter bitten, sofort ins Büro zu kommen, damit wir die offizielle Kommunikation zeitnah durchführen können. Wir hatten genau fünf Minuten, um uns abzusprechen.

Nun hat der Insolvenzverwalter drei Monate Zeit, das Unternehmen gegebenenfalls zu restrukturieren und einen geeigneten Käufer zu finden. Der Vorteil für Käufer ist, dass sie das Unternehmen nun risiken- und schuldenfrei bekommen, meist zu einem günstigeren Preis. Dadurch können sie Mehrheitseigentümer werden. Da der Insolvenzfall eines Geschäftspartners ein großer Grund für unsere eigene Insolvenz war, ist das Thema „risikofrei“ bei uns essenziell.

Der Betrieb läuft für drei Monate ganz normal weiter, und die Mitarbeiter erhalten anstatt ihres Gehalts Insolvenzgeld, das durch den Staat zur Verfügung gestellt wird. Wir hatten bereits innerhalb der ersten Tage über 40 Interessenten, die sich für das Unternehmen oder Teile davon interessierten. Wenn innerhalb der drei Monate kein Käufer gefunden werden kann, wird das Unternehmen liquidiert. Das bedeutet, dass alle Vermögensgegenstände verkauft werden, um aus der verbleibenden Insolvenzmasse den Gläubiger:innen zumindest einen Teil zurückzugeben.

Diese Phasen sind unglaublich energiezehrend für alle Beteiligten, vor allem für die Mitarbeitenden. Konstante und transparente Kommunikation ist hier essenziell, zudem ein hohes Maß an Empathie für das Gefühlschaos, das unsere Mitarbeitenden erleben.

Wie Winston Churchill so schön sagte: „Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter.“ Und es ist schon ziemlich „hot in here“.

Die CEO von Nuri gibt hier in ihrer Kolumne in Echtzeit Einblick in die Arbeit, ihre Aufgaben und den Alltag an der Spitze eines Digitalunternehmens. Das macht derzeit extrem harte Zeiten durch – wie geht eine CEO damit um?

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 5/22. Wir haben 7 Hot Takes zur Karriere von morgen, die euch Feuer geben, ohne dass der Burnout droht. Außerdem: iPod-Macher Tony Fadell über Parties mit Steve Jobs, ferngesteuerte Spermien, Lush-Seifenoper mit Gründer Mark Constantine. Was macht Deutschlands schönster Werber Joachim Bosse gerade? Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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