Life & Style Wir waren auf einer Pferderennbahn und haben mitgewettet

Wir waren auf einer Pferderennbahn und haben mitgewettet

Das Pferderennen gehört zu den ältesten Sportarten der Menschheit. Und ist Schauplatz der High Society – so das Klischee. Doch wie sieht der klassische Sonntagstreff auf der Rennbahn wirklich aus? Wir waren auf einer Berliner Traditionsrennbahn und haben dort gleich mitgewettet.

Es ist ein heißer Tag im Juni. 9 Uhr morgens. 30 Grad im Schatten. Im Osten von Berlin, im Bezirk Lichtenberg, Ortsteil Karlshorst, geht es an der dicht befahrenen Treskowallee zum Nordeingang der Trabrennbahn. In der Mitte des Eingangs eine breiter Pfeiler aus Stein, auf dem ein altes Fliesenbild mit zwei Pferden und zwei Fahrern in ihren Wagen zu erkennen ist. An den Seiten des Steins die Spuren von Graffiti. Nach dem Eingang geht es rechts durch ein kleines Waldstück Richtung Trabrennbahn.

Hinter dem Waldstück knallt mir die Sonne auf den Kopf. Aushalten kann man dieses Wetter nur mit Cap und Sonnenbrille. Also krame ich beides aus meiner Tasche. Ich bin nämlich bestens vorbereitet – bloß die Outfit-Frage hat mich lange beschäftigt. Pferderennen haben schließlich diese magisch wirkende Aura, jedenfalls für mich, die das Spektakel nur aus dem Fernsehen kennt. Aus historischen Kitschfilmen, in denen die Besucherinnen und Besucher übertrieben elegant aussehen. Echter High-Society-Sport eben, oder? Am Ende habe ich mich für Schlappen und Kleid entschieden. Ich bin schließlich nicht gekommen, um mit meinem Outfit auf der Strecke zu posieren, sondern um Geld zu machen. Mit Pferdewetten – wie schwer kann das schon sein?

Doch erst einmal zum Sport und dem Ort an sich. Die Vorabrecherche auf der Rennbahn-Website sagt mir: Trabrennsport ist eine Variante des Pferderennsports, bei der nur die Gangart Trab erlaubt ist. Und er hat in Karlshorst Tradition: „Zehntausende strömten am 9. Mai 1894 auf die neu eröffnete Bahn, auf der damals noch Hindernisrennen ausgetragen wurden und sich Kronprinz und Kronprinzessin die Ehre gaben.“ Na also. Der Ruf als nobler Zeitvertreib kommt nicht von ungefähr.

Wegen der Hitze geht es heute bereits um 10 Uhr morgens los und nicht wie gewohnt erst am Mittag. Das heutige Programm kann sich sehen lassen: zehn Rennen, darunter ein Amateur-Cup, Profirennen, Handicap, Minitraber. Einen Überblick zu allen Rennen und Teilnehmenden gibt es in der Halle unterhalb der Tribüne. Hier zieht sich das Publikum vor und zwischen den Rennen zurück. In der Mitte der Halle, die wie eine ewig nicht renovierte Schulmensa wirkt, das Schild „Trabertreff“. Das Publikum ist größtenteils älter als 60. Vermutlich Rennbahn-Ultras, die schon vor der Wende regelmäßig hier hergepilgert sind.

In der Halle eine exzellent bestückte Theke: Es gibt Eierbrötchen, Wurstbrötchen, Gulasch. Die Tagesmahlzeit kostet hier 2,50 Euro. Genau wie der Dresscode sieht das kulinarische Angebot auch nicht gerade nach High Society aus. Die Gäste tragen Shorts, Schlappen – einige inklusive Socken –, kurzärmlige Hemden. Seit Kronprinzenzeiten ist einiges passiert. Egal, jetzt wird Geld verdient, darum geht es hier schließlich. Gegenüber der Essenstheke sind drei geöffnete Wettschalter. Ich entscheide mich für den linken. Mein vorsichtiger Plan: mir erst einmal einen Überblick geben lassen. Die erste Pferdewette meines Lebens soll nicht gleich im Totalverlust enden.

Ich erkundige mich also bei einer älteren Frau hinter dem Schalter nach dem Ablauf. Sie ist es offenbar nicht gewohnt, Fachfremde einzuweisen, drückt mir eine Broschüre in die Hand und berlinert: „Lesen Sie sich das erst mal durch, und dann sprechen wir uns noch mal.“ Sie schaut hinter mich, rüber zu meinem Kollegen Daniel, der heute Fotos macht. Er lehnt an einem Stehtisch. Sie greift unter ihren Schalter und holt eine zweite Broschüre hervor. „Hier, für Ihren Mann auch noch, damit es keinen Streit gibt“, sagt sie. Klar, wir sehen aus wie ein Touri-Ehepaar, das Reisetipps aus einem veralteten Baedeker abarbeitet.

Na ja, ich befolge ihre Ansage, durchforste die Broschüre und finde Antworten auf die Basics: Wie wette ich? Auf welches Pferd soll ich setzen? Wie hoch ist mein Einsatz? Wie gebe ich meine Wette ab?

Oberhalb der Schalter drei Bildschirme, auf denen die Pferde mit Namen, Startnummer und Eventualquote gelistet sind. Je niedriger die Quote, desto beliebter das Pferd und dementsprechend desto wahrscheinlicher der Sieg. Bedeutet auch: niedrigere Auszahlung. Nach jedem Rennen sagt der Bahnsprecher die Gewinnquote an. Steht die Quote 23:1, dann bekommt man für 2 Euro Einsatz 46 Euro ausgezahlt. So weit verstanden.

Ich beginne dementsprechend auch simpel: Für das Rennen um 10 Uhr entscheide ich mich für eine einfache Platzwette. Heißt: Das von mir gewettete Pferd muss als Erster oder Zweiter ins Ziel laufen. Ich entscheide mich für „Berenice Gar“ mit der Startnummer drei, die sich im oberen Mittelfeld befindet. Mein Einsatz: 5 Euro. Die trage ich zum rechten Schalter.

Ich bekomme einen Wettschein, der an einen Kassenbon erinnert, und gehe damit raus auf die Tribüne. Blaue und rote Plastikstühle, auf denen das Publikum es sich bequem gemacht hat – teilweise ausgestattet mit mitgebrachten Sitzkissen. Die meisten mit Cap, Hut oder Regenschirm, der als Sonnenschutz dient. Andere hingegen stehen unten direkt an der Bahn, nervöse Vorfreude im Gesicht. Durch Lautsprecher verkündet der Bahnsprecher die Zeit bis zum Start und gibt dem Publikum Infos zu den Startpferden. Im ersten Rennen treten an: Gala Shadow, Bel Massive, Proud Miguel, Levana RA, Berenice Gar, Spy Lord und San Pardo.

Doch es geht ums Rennen. Zum Start wird über die Lautsprecher ein Song abgespielt, von dem ich jetzt schon weiß, dass er mir den Rest der Woche im Ohr bleiben wird. Und dann geht es auch schon los. Die Pferde traben 2 000 Meter über die Bahn. Die Zeit vergeht wie im Flug. Als es auf die Ziellinie zugeht, merke ich, dass ich angespannt werde. Und – oh no! – Berenice Gar schafft es nicht an die Spitze und landet nur auf Platz drei. Treppchen schön und gut, Geld gibt es für mich trotzdem nicht. San Pardo und Spy Lord auf Platz eins und zwei – wie vorher vermutet, so ein Mist.

Beim zweiten Rennen mit acht Startpferden um 10.24 Uhr entscheide ich mich für eine Zweierwette. Bedeutet: Ich muss die ersten beiden Pferde in der Reihenfolge der Zielankunft vorhersagen. Ich gehe also erneut zum Schalter und nenne meinen Einsatz von 5 Euro und meine gewettete Reihenfolge: Magic Love mit der Nummer sechs, dann Rolfi mit der Nummer drei. Ich halte der Frau meinen 5-Euro-Schein hin, werde schräg angeschaut, sie nimmt ihn verhalten entgegen. Habe ich jetzt zu viel oder zu wenig gegeben?

Es geht wieder zurück auf die Tribüne. Auch beim zweiten Rennen habe ich kein Glück. Rolfi landet auf Platz eins, dahinter Magic Love. Tja, falsche Reihenfolge. Ich habe mir das mit dem Geldmachen irgendwie einfacher vorgestellt.

Doch aller guten Dinge sind drei. Deshalb lasse ich es mir nicht nehmen, auch noch beim dritten Rennen mit einzusteigen. Es startet um 10.47 Uhr, neun Pferde sind es dieses Mal – noch größere Auswahl also. An den Bildschirmen über den Wettschaltern in der Halle überfliege ich Namen und Eventualquoten. Shotgun ES, May Scott, Candy Lady S, Hanke in Form. In meiner dritten Runde entscheide ich mich für eine Dreierwette. Heißt: Ich muss die ersten drei Pferde in der Reihenfolge der Zielankunft vorhersagen. Meine Startnummern: vier, drei, fünf. Ich orientiere mich wieder an der Spitze und dem oberen Mittelfeld.

Ich probiere es noch mal mit dem 5-Euro-Schein. Allerdings folgt auf den schrägen Blick hinter dem Schalter jetzt ein Kopfschütteln. „Der Mindesteinsatz sind 50 Cent. Damit sind Sie schon dabei“, sagt die Frau und zeigt auf die Broschüre. Anscheinend will sie mich vor meinem eigenen Unglück bewahren. Also gebe ich ihr 50 Cent. Am Ende muss ich ihr danken, denn wieder mal gewinne ich nichts. Nummer drei scheidet während des Rennens sogar aus – keine Auszahlung für mich.

Mein Verlust insgesamt: 10 Euro und 50 Cent. Okay, ich gebe zu: Ich war am Anfang etwas zu optimistisch. Um hier Geld zu machen, muss man sich offensichtlich doch deutlich intensiver in den Pferderennsport reinfuchsen. Und das werde ich, denn mein Verlust hat mich eher angespornt wiederzukommen. Ich werde es so lange probieren, bis ich ein paar Groschen zurückbekomme – Aufgeben ist keine Option. Außerdem: Hätte ich selber nie gedacht, aber an die Rolle als „Rennbahn-Ultra“ könnte ich mich auf Dauer gewöhnen.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 4/22. Gregor Gysi, Claudia Obert und die Tiktokker Elevator Boys haben mit uns über Geld gesprochen. Außerdem haben wir Streetwear-Legende Karl Kani getroffen und unseren Reporter Dolce Vita auf der Modemesse Pitti Immagine Uomo genießen lassen. Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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