Leadership & Karriere Laura-Marie Geissler: „Es war mir egal, ob das Auto nach dem Rennen in der Bande liegt“

Laura-Marie Geissler: „Es war mir egal, ob das Auto nach dem Rennen in der Bande liegt“

Erfolg ohne Vertrag

Diese Saison fährt sie den Porsche Sports Cup aka die GT4 Series. Der besteht aus fünf Rennen. Bis Oktober jeden Monat eines. Beim ersten Lauf am Nürburgring im Juni holte sie den dritten Platz. Wieder Podest. Dieses Jahr sieht Bracke als Lernphase für Geissler. Nächstes Jahr plant er eine größere Rennserie für sie.

„Ein Fahrer ernährt sich von den Erfolgen“, sagt Bracke. „Es war uns wichtig, eine Serie zu finden, bei der sich Laura in Ruhe entwickeln und ihre Leistung erbringen kann.“ Das Auto für die Rennen wird vom Rennteam gestellt, nicht von Porsche selbst. Geissler besitzt es auch nicht. Sie zahlt zwar Miete für die Nutzung, kann es aber nach ihren Wünschen folieren. Auch das Rennteam wird von Geissler bezahlt. Heißt auch: Sie fährt zwar für Porsche, hat aber keinen Fahrervertrag. Sie will selbstständig sein. Dementsprechend bekommt sie auch kein Grundgehalt, das schon mal bei 200 000 Euro im Jahr liegen kann.

©Amelie Niederbuchner

Wenn Geissler alles selbst bezahlen muss, wie finanziert sie sich dann? Genau da verfolgt sie eine für den Motorsport neue Lösung. Normalerweise gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie man alle Kosten decken kann: Sponsoren oder eigenes Vermögen. Letzteres hat Geissler nicht, Erstere will sie nicht. Sie will nicht, dass ihre sportliche Leistung abhängig von Firmen ist. Und noch eines will Geissler nicht. Sich für das Branding verkaufen, das ihr in der Branche aufgedrückt wird: Junges, blondes Mädchen lässt Männer auf der Rennstrecke hinter sich. Sie will Anerkennung für ihre Leistung, nicht für ihr Aussehen. Und auch nicht für ihr Geschlecht. Denn rein sportlich gesehen haben Frauen und Männer im Rennsport die gleichen Chancen.

Also entschied sie sich für eine andere Finanzierungsmöglichkeit: NFTs. Interessierte können für ungefähr 45 Euro ein digitales Bild ihres Rennwagens auf der Plattform Opensea kaufen. 1 000 Stück gibt es an der Zahl. Im Gegenzug erhält man Zugang zu einem Discord-Channel mit Community, dem LMG Racing Club, exklusive Einblicke in den Motorsport durch Geissler und Merch-Artikel.

„Das momentane Sponsorensystem ist Bullshit“

Laura-Marie Geissler

Ohne Marketing geht es auch da natürlich nicht. Das weiß sie. Im Gespräch mit ihr fällt oft das Wort „marketingeffektiv“. Nur: Sie will selbst bestimmen, wie dieses Marketing aussieht. Und das läuft über ihren Rennwagen. Was an dem so besonders ist? Er schimmert rosa, ist versehen mit kurzen, grünen Streifen, die sich an die Form der jeweiligen Autoteile anschmiegen. Außerdem: mehrere kurze Pfeile, X-Kreuze und Wörter wie „Slimmer“, „Wider“ und „Lower“. Der Wagen sieht aus, als würde er sich gleich einer Schönheits-OP unterziehen. Passend dazu ist Geisslers Helm gestaltet. Gleiche Farbe, gleiches Muster. Auf der Vorderseite der Aufruf „Buy My NFT“.

Mit diesem Design will Geissler die Objektifizierung von Sportlern thematisieren. Ausgearbeitet hat sie das Konzept gemeinsam mit Moritz Grub, Creative Director der Agentur Amsterdam Berlin. Das Design ist angelehnt an die „Sau“, einen Porsche-Rennwagen der Le-Mans-Serie aus den 70er-Jahren. Der war ebenfalls rosa, und für den optischen Kick sorgten aufgezeichnete Fleischpartien vom Schwein: an der Motorhaube der Rüssel, am Kotflügel die Schulter und an der Seitenwand der Schwanz.

Die Finanzierung durch NFTs unterscheidet sich vor allem in zwei Dingen drastisch vom üblichen Konzept des Firmensponsorings: Es ist dezentralisiert. Mehrere private Sponsoren bilden eine Community. Und die NFTs schaffen Transparenz. „Das ist ein superinteressanter Faktor“, sagt Geissler. „Ich kann das Geld durch die Blockchaintechnologie wirklich nur für den Motorsport nutzen. Die NFT-Owner sehen, wofür ich das Geld ausgebe.“ Bislang werde mit Sponsorengeldern ziemlich undurchsichtig umgegangen. Niemand wisse, in welche Ausgaben das Geld tatsächlich fließe. „Das momentane Sponsorensystem ist Bullshit“, sagt Geissler.

Strategie: NFTs

Die 24-Jährige hofft, dass auch andere Sportler es ihr irgendwann gleichtun, damit sich die Branche verändert. „Sollten sich Finanzierungen mittels NFTs durchsetzen, hätte ich es geschafft, das Sponsorenkonzept immens auf den Kopf zu stellen“, sagt Geissler. Sponsoren, die aufgrund der medialen Präsenz ihres Projekts jetzt auf sie zukommen, lehnt sie ab. 150 000 Euro muss Geissler mit den NFTs einnehmen, um sich die diesjährige Saison finanzieren zu können. Bislang besteht ihre Community aus circa 130 Ownern. Rechnet man nach, kommt man auf einen Mindestbetrag von knapp 6 000 Euro. Klingt nicht nach viel, aber ein Owner kann gleich mehrere NFTs besitzen. Refinanziert sich die Summe nicht, bleibt Geissler auf den Kosten sitzen. Das Rennen absagen kann sie nicht. Sie hat einen Vertrag für die Serie unterschrieben. Die Kosten muss sie tragen, unabhängig davon, ob sie fährt oder nicht. Bis sich das NFT-Projekt refinanziert, lebt Geissler von Krediten und Kooperationen. Ein hohes Risiko. Aber ihr Entschluss steht: Sie will, dass sich in der Finanzierung im Motorsport etwas ändert. Da kommt ihr Ehrgeiz durch. Dafür nimmt sie den Stress in Kauf, neben ihrem Hauptberuf als Rennfahrerin auch noch ein neues Finanzierungsmodell hochzuziehen und zusätzlich ein Business aufzubauen.

Das ist kein Selbstläufer. Geissler muss in Podcasts und auf Panels Interviews geben, sich laufend ein Team aufbauen, das sie beim Projekt unterstützt, und Kooperationspartner finden. Die stellen Geissler zwar Dienstleistungen zur Verfügung, Geld floss aber keines. Mit an Bord sind zum Beispiel Porsche und Sony Playstation. So ist in dem Videospiel „Gran Turismo 7“ die Rennwagenlackierung von Geissler kostenlos über ihr Network „LauraGeissler“ erhältlich – ein weiteres Feld, in dem sie Pionierin ist.

Ein Management für all die operativen Aufgaben hat die 24-Jährige nicht. „Ich kann nur schwer die Kontrolle abgeben“, sagt Geissler. Disziplin, Fokus, Durchhaltevermögen: Das sind die Eigenschaften aus dem Rennsport, die sie auch für den Aufbau des Projekts braucht. Sitzt Geissler im Rennwagen, gilt ihr gesamter Fokus der Strecke vor ihr. Kein Blick in den Rückspiegel. Kein Blick in den Seitenspiegel. Keine Sekunde Ablenkung. Immer nur das Ziel vor Augen. So auch bei den NFTs. „Wenn das schiefgeht, habe ich viel Geld verloren“, sagt Geissler.

©Amelie Niederbuchner

Noch in diesem Jahr soll ein neuer Drop mit einer Helmkollektion erscheinen. Mehrere Jahre soll das NFT-Projekt laufen, jedoch mit unterschiedlichen Autofolierungen und Drops für jede Saison. Für nächstes Jahr könne sich Geissler vorstellen, einzelne Pixel am virtuellen Fahrzeug zu verkaufen, die von Ownern selbst entworfen werden können und nach denen das echte Rennauto gestaltet werden würde. Eine derartige Interaktion zwischen Fahrerin und Community gibt es im Rennsport bislang noch nicht.

Welche Ambitionen Geissler sonst noch hat? Zum Beispiel eine Motorsportkollektion für Frauen auf den Markt zu bringen. Schutzanzüge und Schuhe sind bislang nur auf den männlichen Körper zugeschnitten. Geissler musste sich alles selbst anfertigen lassen. Auf sportlicher Ebene will sie lieber kleine Rennserien fahren. Ihr Traum: Le Mans Classic, ein Oldtimer-Rennen.

Eigentlich müsste Geissler zurzeit jeden Tag im Simulator sitzen und trainieren, statt über ihr Projekt zu reden und dadurch hoffentlich Geld einzutreiben. Doch diese Doppelbelastung ist der Preis, den sie diese Rennsaison zusätzlich zahlen muss. „Ich bin mir sicher, dass irgendwann der Turning-Point kommt, ab dem ich mich wieder mehr auf meinen Sport konzentrieren kann“, sagt Geissler. „Sonst muss ich mich entscheiden: Business oder Motorsport.“

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 4/22. Gregor Gysi, Claudia Obert und die Tiktokker Elevator Boys haben mit uns über Geld gesprochen. Außerdem haben wir Streetwear-Legende Karl Kani getroffen und unseren Reporter Dolce Vita auf der Modemesse Pitti Immagine Uomo genießen lassen. Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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