Leadership & Karriere Patrick Mushatsi-Kareba von Sony Music über die Nuancen, die Erfolg ausmachen

Patrick Mushatsi-Kareba von Sony Music über die Nuancen, die Erfolg ausmachen

Was waren Ihre Gründe, damals zu Hoechst zu gehen?

Wenn man aus einer klassischen Arbeiterfamilie kommt, dann erscheint so ein Job schon als Aufstieg. In einem warmen Büro zu sitzen ist gefühlt die höchste Evolutionsstufe. Denn es heißt: Du musst nicht auf der Baustelle arbeiten. Mein Großvater mütterlicherseits, der war 25 Jahre lang Arbeiter bei Hoechst. Er hat dort den ganzen Tag lang an irgendwelchen Maschinen gesessen. Er war aber immer auch sehr an Bildung interessiert. Als Kind hat er mir aus der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri vorgelesen. Aber auch in einer anderen Frage war er für seine Generation besonders fortschrittlich. Mir und meinen Cousinen und Cousins sagte er immer: Ihr seid Deutsche. Das meinte er nicht im Sinne einer blinden Assimilation. Er legte auch Wert darauf, dass wir Italienisch lernen, etwas über unsere Wurzeln wissen. Heute ist es ganz normal, dass ich sage: „Ich bin Deutscher mit burundischen und italienischen Wurzeln.“ Ohne das auszusprechen, hat mein Großvater genau das gemeint.

Was hat das für Sie damals bedeutet?

Es hat dazu geführt, dass ich ein Gegengewicht hatte zu Erlebnissen, die mir das Gefühl gaben, nicht willkommen zu sein. Solche Erlebnisse können einen Menschen in ein tiefes Loch stürzen, können dazu führen, dass man verzagt. Mein Großvater hat mir so geholfen, meinem eigenen Weg zu folgen. Ich muss aber in Bezug auf Rassismuserfahrungen sagen, dass ich da sehr gut durchs Leben gekommen bin. Gerade im Vergleich zu Menschen aus meinem persönlichen Umfeld, die mir von ganz anderen, furchtbaren Sachen berichten.

Nach der Zeit bei Hoechst ging es für Sie noch mal in eine völlig andere Richtung, nämlich in den Journalismus.

Ich hatte Glück: Ich habe einen Job bei einem Stadtmagazin namens „Fritz“ bekommen, konnte über Musik und Kultur schreiben, etwa über die Zeremonie zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Es war das Jahr, als Martin Walser ausgezeichnet wurde. In der Paulskirche sinnierte er von einer „Auschwitz-Keule“. Die Leute im Publikum standen fast alle auf und applaudierten. Da gibt es ein berühmtes Foto. Der Einzige, der sitzen blieb, war Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Mein Vorgesetzter wechselte schließlich zu einem amerikanischen Unternehmen, das damals keiner kannte: Amazon. Ich bekam seinen Job bei „Fritz“, mit einem eigenen Budget. Später arbeitete ich auch für Associated Press.

Dass Sie schließlich doch an einer anderer Stelle der Wirtschaft gelandet sind, hatte viel mit der aufkommenden Digitalisierung zu tun. Was genau ging damals vor sich?

Ich konnte mir schnell einen Namen machen im Bereich der Schnittmenge von Kunst, Popkultur und Digitalem. Oder von dem, was man damals für digital hielt. Es war die Zeit, in der illegale Tauschbörsen Hochkonjunktur hatten. Napster gab es seit einigen Jahren – in seiner ersten, illegalen Inkarnation.

Foto: Franz Grünewald FÜR BUSINESS PUNK

Sie sollten etwas Vergleichbares für die Deutsche Telekom umsetzen, aber legal.

2002 stellte mich T-Online ein, mein damaliger Chef wollte eine spezielle Mischung: Kontakte zu Künstler:innen, Managements, aber jemanden, der sich auch digital auskennt. Auch für mich war es damals eine Premiere, mit Jurist:innen zu tun zu haben, wenn wir die Verträge ausgehandelt haben. Mit den Techteams, mit Agenturen, die ein Logo entwickelt haben.

Das Portal hieß Musicload – an das Logo können sich viele vermutlich noch dunkel erinnern. Orange!

Das ehrt mich. Dann wissen Sie auch noch, dass es die Zeit von „Robert T-Online“ war – alles war magentafarben, noch mehr als heute. Ich wollte das aber nicht. Musicload sollte auch optisch allein stehen. Ich war damals 28. Den Begriff Vertical kannte ich gar nicht.

Sony Music ist eines der drei führenden Musiklabels der Welt. Früher bestand das Geschäftsmodell im Vertrieb von Vinyl oder CDs. Physische Medien sind bekanntlich seit Langem auf dem Rückzug. Wieso hat Sie das trotzdem gereizt?

Diese Analyse kann ich nur unterschreiben. Halte ich gar nicht für kontrovers. Aber gute Frage: Wieso bin ich vom reichsten Unternehmen der Welt, Umsatzverantwortung von über 300 Mio. Euro, auf die Label-Seite gewechselt? Ich war ja zunächst bei der Konkurrenz, bei Universal.

Besseres Gehalt?

Wenn es eine finanzielle Frage gewesen wäre, hätte ich Apple niemals verlassen dürfen. Aber ich interessierte mich für die andere Seite des Zauns. Auch wenn sie statisch und innovationsfeindlich erschien. Das disruptive Element kommt immer von außen, und diese Branche machte gerade eine Disruption durch. Das sehe ich als Glückssträhne, als Krise, die Chancen eröffnet. Denken Sie an die CD: Wie die Schallplatte, aber Sie können die ohne Qualitätsverlust immer wieder hören. Und dann kamen Downloads und Streaming. Ich wollte den Umbruch nutzen. In meiner Vorstellung war das klassische Modell des Labels vom Aussterben bedroht: Rechte kaufen, verwalten und rechts und links davon kaum etwas zu machen. Etwas musste sich ändern. Daran wollte ich mitarbeiten.

Die Vorstellung hat sich bestätigt.

Ja, aber lange gab es noch viele Menschen in der Musikbranche, die gesagt haben: Wir sind nicht sicher, ob das so weitergehen wird. Wir haben doch hier den physischen Tonträgermarkt, der ist noch so groß. Ich saß in internationalen Meetings, und du konntest die Uhr danach stellen, dass der deutsche Mensch gesagt hat, bei uns laufen die Sachen anders. Es gab große Künstler:innen, die waren gar nicht im Streaming- oder im Downloadsegment vertreten. Aber man konnte damals schon beobachten, wie der Anteil der CDs Jahr für Jahr schrumpfte. Ich kann mich auch an einen Kollegen erinnern, der sagte, dass er diese neuen Podcasts einfach hasst.

Heute gibt es auch kommerziell sehr erfolgreiche Künstler:innen, die sagen, dass sie gar kein Label brauchen, wo es doch Soundcloud und Youtube gibt. Worin besteht Ihr Ansatz für das Musiklabel der Zukunft?

Den kann man mit einem Trampolin vergleichen. Oder zwei, drei Trampolinen, mit denen wir den Künstler:innen helfen, abzuspringen. Das heißt, ihre Musik nach draußen in die Welt zu tragen. Und dafür brauchen wir auch Menschen, die diese Trampoline verstehen. Dabei müssen wir auch neu zusammenarbeiten lernen. Früher waren die Abläufe in einer Firma wie dieser alle sehr hierarchisch. Auf der höchsten Stufe befanden sich diejenigen, die direkt mit den Kreativen im Austausch stehen. Diese Ungleichheit bricht jetzt auf, weil sich auch die Wertschöpfungskette eines Labels verändert. Wir müssen ganz unterschiedliche Fähigkeiten zusammenbringen. Im Kern geht es darum, sich anzuschauen, was die Künstler:innen machen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. Aber es muss individuell zugeschnitten sein. Auf einen Apache 207 genauso wie auf einen Roland Kaiser.

Interessantes Verhältnis: Der eine kommt auf 1,4 Millionen Follower bei Instagram, der andere immerhin auf knapp 80.000.

Ja. Aber Roland Kaiser ist sowieso der King – und auf Youtube extrem erfolgreich.

Dies ist ein Text aus unserer Ausgabe 1/2022: In unserem Dossier beschäftigen wir uns mit dem Comeback des luxuriösen Lifestyles: reisen, speisen, residieren. Wir haben außerdem die Königsklasse der Fin-Meme-Bubble Papas Kreditkarte und Hedgefonds Henning zum Doppelinterview getroffen. Und uns die Mission der Satellitenfirma Planet Labs genauer angesehen. Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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