Leadership & Karriere Warum Unternehmer:innen im digitalen Wandel paranoid sein müssen

Warum Unternehmer:innen im digitalen Wandel paranoid sein müssen

Gastbeitrag von Fabian J. Fischer

Unternehmer:innen leben am Limit. Die absolute Passion für das eigene Tun, der maximale Glaube an den Erfolg und die eigene Relevanz machen uns zu einem besonderen Schlag Mensch. Wir bringen viel Zeit auf für unsere Arbeit, schlagen uns mit Leidenschaft die Nächte und Wochenenden um die Ohren. Denn wir sind völlig überzeugt von unserem Business (und letztlich auch von uns). Wir sind uns sicher, dass die Welt eigentlich nur auf uns gewartet hat. Doch bei all der Überzeugung, die wir für uns und unser Produkt haben, dürfen wir eines nicht vergessen: den rasanten Wandel. 

Deshalb bin ich überzeugt: Wer als Unternehmer:in heute erfolgreich sein will, muss immer im besten Sinne paranoid sein. *

Unternehmen sterben heute früher. Hoffentlich nicht deins.

Die Business-Welt dreht sich gerade unfassbar schnell. Ein Yale-Professor hat das in Zahlen so ermittelt: Hatten die Unternehmen im Aktienindex S&P 500 in den 1920er Jahren noch eine durchschnittliche Lebensdauer von 67 Jahren, waren es zu Beginn dieses Jahrhunderts nur noch 15 Jahre.

Und wir sehen es jeden Tag selbst. Wer aktuell durch Großstädte läuft, dem rasen auf ihren Rädern die Auslieferer von Gorillas oder Flink entgegen. Werbetafeln und -säulen sind voll von Anzeigen für die Quick-Commerce-Dienste. Investor:innen jagen die Startups auf Unicorn-Status hoch und hoffen, in diesem Winner-Takes-It-All-Markt auf den richtigen Dienst gesetzt zu haben. Das derzeit günstige Geld sitzt nach den Shutdowns locker, sowohl bei Investor:innen wie auch Kund:innen, und es muss schließlich irgendwo hin. 

Dabei galt ein ganz anderes Unternehmen schon fast als sicherer Gewinner auf dem Feld der Essenslieferung: Amazon. Lange – zumindest in Internetjahren lange, wir reden von 2017 – vor den Radkurieren hatte Amazon Fresh Lebensmittellieferungen in Deutschland gestartet. Und jetzt? Spricht keiner mehr über sie. Die Vorreiterrolle, die Amazon eingenommen hatte, ist vollkommen verpufft. Andere Anbieter dominieren jetzt den Diskurs und potenziell auch den Markt. Das heißt natürlich nicht, dass Amazon weg vom Fenster ist und die Gorillas mit Flink und Rewe Lieferservice den deutschen Markt unter sich verteilen werden. Aber der Goliath aus den USA hat den Treffern dieser deutschen Davids bisher nichts entgegensetzen können.

Unterschätze die Influencer:innen nicht. Die können Business.

Längst sind es aber nicht mehr nur klassische Startups, die etablierten Unternehmen gefährlich werden. Auch Influencer:innen mischen nun im Markt mit. Anstatt Shampoos, Müsli und Co. in die Smartphone-Kamera zu halten und ihren Instagram-Feed als Werbefläche für fremde Produkte zu verkaufen, werden sie selbst zu Unternehmer:innen. Und als solche bringen sie selbst Produkte auf den Markt und nutzen ihre Reichweite, um diese zu verkaufen. Beispiele gefällig? Sally – aktuell 1,94 Mio. Abonnent:innen bei YouTube und rund 874.000 bei Instagram – hat einen umfangreichen Online-Shop mit eigenen Produkten wie Backtrennspray oder Spritzbeutel. Auch die ursprünglich mit ihrem Blog bekannt gewordene Madeleine Darya Alizadeh, aktuell rund 329.000 Instagram-Follower:innen, hat mit „dariadéh“ ein Fair-Fashion-Label gegründet. Der Instagram-Seite des Labels folgen wiederum über 99.000 Abonnent:innen.

Diese Reichweite ist nicht nur eine abstrakte Zahl. Das ist Kund:innenzugang. Bestehende Brands können oft nur davon träumen, dass ihnen als Marke so viele Menschen folgen wie diesen Influencer:innen. Diese Creator Economy hat das Potenzial, die Märkte völlig durcheinander zu wirbeln und einige etablierte Unternehmen obsolet zu machen. Schlicht, weil eine riesige Zielgruppe die Brands und Produkte der Influencer:innen kennt – und nicht mehr jene, die mit TV-Kampagnen beworben werden. 

Sei paranoid, sonst gewinnen andere.

Etablierte Unternehmen müssen darauf nun Antworten finden. Etwa mit dem Aufbau von Online-Reichweite und der Zusammenarbeit mit neuen Multiplikator:innen. Mit Corporate Incubation, also einem firmeninternen Inkubator als Ideenschmiede, lassen sich neue Geschäftsmodelle und Produkte schneller entwickeln und testen, schlussendlich dann verkaufen. Aber all das wird noch lange nicht reichen. Zumindest solange nicht, bis es ein unternehmensweites Verständnis für die Herausforderungen der Gegenwart und ein offenerer Blick für neue potenzielle Konkurrent:innen im Markt gibt.

Kein:e Unternehmer:in, kein Team, kein:e Mitarbeiter:in darf sich derzeit ihrer:seiner Sache zu sicher sein – egal wie digital, nachhaltig oder krypto-basiert das Produkt ist. Wir sind jetzt am Beginn einer neuen Phase des Unternehmertums und der Digitalisierung, in der so viele Player:innen den Markt disruptieren können, dass nur eines gewiss ist: die Unsicherheit. Mit seinem Business erfolgreich durch diese Zeit zu kommen, wird ohne Paranoia unmöglich sein.

* Psychische Gesundheit ist für mich und meine Kolleg:innen bei Etribes ein wichtiges Anliegen. Das Bild der Paranoia dient als Metapher für eine notwendige und geradezu wahnhafte Wachsamkeit vor neuen Entwicklungen, die Unternehmer:innen in meinen Augen im Zuge der Digitalisierung brauchen. Solltest du ein besseres sprachliches Bild haben, schreib mir gerne bei LinkedIn, ich freue mich auf den Austausch!

Fabian J. Fischer ist ein Hamburger Unternehmer, digitaler Vordenker und Investor. Als CEO von Etribes verantwortet er die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens, das mittelständische Unternehmen und Dax-Konzerne bei den Herausforderungen der Digitalisierung berät. Fischer ist ebenso Co-Founder von Picea Capital, einem Evergreen Venture Capital Fund mit Fokus auf Early-Stage-Technologieunternehmen.

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