Life & Style Diese Künstlerin verbindet Malerei mit AR: Sieht so die Zukunft der Kunst aus?

Diese Künstlerin verbindet Malerei mit AR: Sieht so die Zukunft der Kunst aus?

Ideen von der KI

Außer in der Ecke des Raumes, in der Jäger dann malt. Dort sind die Wände weiß, strahlen Ruhe aus. Auch Jäger selbst trägt keine ausgefallenen bunten Klamotten. Die blonden Haare hat sie zum Dutt hochgesteckt, dazu ein schwarz-weiß gestreiftes Shirt mit einer schwarzen Stofflatzhose und eine Brille mit durchsichtigem Gestell. Diesen Kontrast braucht die Österreicherin, um an ihren bunten Ölgemälden malen zu können, sagt sie. Auch wenn das für sie der meditative Teil ist.

An die Leinwand geht Jäger nämlich erst zum Schluss des künstlerischen Prozesses. Ihre Ideen und Entwürfe entwickelt sie am Laptop. Sie denkt Kunst zuerst digital. „Ich dachte mir, es wäre cool, das Wissen aus dem Studium, sprich die Programme und Technologien mit traditioneller Kunst zu verknüpfen“, sagt Jäger. Also arbeitet sie mit 3D-Programmen, experimentiert mit Formen und Animationen, lässt sich von den technischen Möglichkeiten leiten.

„Manchmal nutze ich auch Artificial Intelligence. Da passieren Bewegungen, die ich gar nie so voraus hätte planen können“, sagt Jäger. Im digitalen Raum kann sie die Formen in Szene setzen, beleuchten und mit sogenannten Physics versehen, sodass sie also auf Schwerkraft reagieren. Dann kann Jäger die Formen digital wieder fallen und hüpfen und fliegen lassen. Wie bei einer Powerpoint-Präsentation, wenn einzelne Punkte mit verschiedenen Animationen auf der Folie auftauchen und wieder verschwinden. Ist die Österreicherin mit dem digitalen Part ihres Projekts zufrieden, sucht sie sich ihren Lieblingsmoment aus, der auf die Leinwand kommen soll.

„Ju schafft was Neues in die Kunstwelt“

Tim Bengel

Jägers Werke sind oft nach Yoga-Asanas benannt, da sie körperliche Bewegungen nachahmen – und weil Jäger eine Yoga-Ausbildung hat. Gleiches gilt für die Farbwahl, die sie jedes Mal intuitiv trifft: „Ich bin eher extrovertiert und laut, und das spiegelt meine Kunst in den Farben wider“, sagt sie.

Schüchtern ist Jäger wirklich nicht. Sie wirkt selbstbewusst und experimentierfreudig, versucht, mit den Trends zu gehen. Das sagt auch der Künstler Tim Bengel, der ihre erste Skulptur kaufte: einen grünen Kringel. Bengel, Jahrgang 1991, kommt aus dem schwäbischen Esslingen, gestaltet mit Sand großformatige Bilder, arbeitet mit einer reduzierten Farbpalette aus Schwarz, Weiß und Gold und gilt mit seinen über 300 000 Follower:innen auf Instagram als einer der bekanntesten deutschen Künstler seiner Generation. „Ich suche immer Kunst, die aus der Masse aussticht, die einen Wiedererkennungswert hat“, sagt er. „Den hat Ju auf jeden Fall. Sie schafft was Neues in die Kunstwelt.“

Das Geschäft mit NFT

Das gilt auch, wenn es um den Verkauf der Werke geht. Als im Frühjahr der NFT-Hype losging, probierte Jäger die digitalen Originale sofort aus. Für sie die perfekte Gelegenheit, ihre digitalen Werke in einem digitalen Rahmen zu verkaufen. Sie lud alte Bilder auf diverse NFT-Plattformen hoch – innerhalb von 24 Stunden waren sie ausverkauft. Jetzt hat Jäger jedoch das Gefühl, dieser Hype sei wieder vorbei. Sie bietet noch weitere Bilder auf NFT-Plattformen zum Verkauf an. Die Preise liegen zwischen 0,5 Ethereum und 5 Ethereum.

Das sind je nach Kurs zwischen 1 000 und 10 000 Dollar. Dass ihre Kunstwerke an kryptische Nummern gehen und sie die Käufer:innen nicht kennt, ist für sie okay. NFT sieht Jäger als ein nettes Taschengeld. Ihr Herz hängt ohnehin an den analogen Gemälden – und die sind endgültig weg, wenn sie eine:n Käufer:in finden. „Momentan mache ich meine Kunst für mich. Ich packe in sie Emotionen, Geschichten und Gedanken. Aber natürlich sehen auch andere etwas in meinen Bildern, das freut mich total.“ Das Verkaufen, das Loslassen? „Das muss ich noch lernen“, sagt Jäger.

„Instagram ist für mich nichts anderes als eine von mir kuratierte digitale Galerie“

Ju Schnee

Im Idealfall versucht Jäger, ihre Werke als Ganzes zu verkaufen: Leinwand plus digitales Werk als NFT. Manche Interessent:innen kaufen nur die Leinwand, andere nur das digitale Objekt. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die nur die Leinwand kaufen, mit dem digitalen Thema noch nicht viel anfangen können“, sagt die Österreicherin. Die Malereien kosten derzeit zwischen 2 000 und 6 000 Euro.

Die Verknüpfung von digitaler und analoger Welt setzt Jäger in ihrer Selbstvermarktungsstrategie fort: Neben NFTs führt sie einen Onlineshop, arbeitet mit der digitalen Galerie MeetFrida zusammen, die Jägers Kunst in Zukunft auch verkaufen will. Besonders wichtig aber ist ihr die Plattform Instagram. Dort zeigt sie ihre Werke, gibt Einblicke in ihre Arbeitsprozesse, macht Werbung für sich. „Ich weiß, dass ganz viele Stimmen da etwas anderes sagen, aber: Instagram ist für mich nichts anderes als eine von mir kuratierte digitale Galerie“, sagt Jäger.

Trotz all der digitalen Technologien und Onlinevermarktungen ist eine rein digitale Sichtbarkeit nicht ausreichend für junge Künstler:innen. Ausstellungen in Museen haben nach wie vor einen hohen Stellenwert – auch für Jäger. Nach nur einem Jahr, nachdem sie den Schritt zum eigenen Atelier wagte, konnte sie einen Sparringspartner für sich gewinnen, der Potenzial in ihrer Kunst sieht: den Galeristen Christian Rother. Neben der Volta in Basel und dem Gallery Weekend in Berlin im September plant sie im Oktober ihre eigene Soloausstellung in Wiesbaden in Rothers Galerie.

Der ikonische Kringel als das Atom, aus dem Jägers Kunst besteht. ©Ju Schnee

Bengel sagt: „Ju bringt nicht nur das Handwerk mit, sondern auch den Charakter, um im Kunstmarkt erfolgreich zu sein. Sie könnte ihre Kunst irgendwann skalieren und ein Team einstellen.“ Bengel sagt, dass auf diese Weise auch große Künstler arbeiten und nur noch die Konzepte vorgeben. Eine Praktikantin hat Jäger jedenfalls schon.

Bengel und Rother sind wichtige Anknüpfungspunkte für Jäger in der Kunstwelt. Mit Rother telefoniert sie einmal die Woche, tauscht sich aus. „Mir tut es gut, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der mich unterstützt und mir Fragen beantwortet“, sagt sie. So ist es auch mit Lob. „Zu wissen, dass Personen, die in dem Bereich schon erfolgreich sind, meine Kunst gut finden, gibt mir einen Push. Andere zu loben ist auch etwas, das ich versuche zu machen. Support ist so wichtig und kommt in der Kunstwelt leider nicht oft vor. Da gibt es viel Neid, und man wird nicht immer ernst genommen“, sagt Jäger.

Durch ihre Herkunft, ihren Weg und ihre ungewöhnliche Positionierung sei Kunst für Jäger nichts Elitäres, sagt sie. Ihrer Beobachtung nach gibt es auch immer mehr junge Leute, die Kunst sammeln. Mit dem Keramiklabel Motel a Miio macht Jäger eine limitierte Kollektion. Ihre Skulpturen werden zu Vasen und Kerzenständern im Miniformat. „Man sollte Kunst nicht einsperren, sondern für viele Menschen zugänglich machen, um mehrere Gesellschaftsschichten zu erreichen.“

Schöner Nebeneffekt: Kooperationen mit Unternehmen bringen natürlich auch Geld. Jäger arbeitete bereits mit einigen großen Kund:innen zusammen. Sie entwarf etwa eine Kellogg’s-Packung und Shooting-Requisiten für Bumble. Für Bombay Sapphire und Adidas kreierte sie digitale Illustrationen, für Samsung eine 3D-Animation – und für Viva con Agua schaffte sie auf der Basis von Gedichten von Max Richard Leßmann Augmented-Reality-Prints.

Noch kann Jäger von ihrer Kunst allein nicht leben und ist auf Customizing angewiesen. Für sie völlig legitim: „Ich habe lange überlegt, ob ich das offen kommunizieren soll oder lieber die Coole gebe, die sich nur auf ihre Kunst konzentriert. Ich kann mir die Kunst aber nur leisten, wenn ich die Jobs mache“, sagt Jäger. „Viele denken: Entweder du bist kommerziell unterwegs, oder du bist Künstler. So schwarz und weiß ist es nicht mehr. Es gibt mittlerweile so viele Schnittstellen. Wenn ich mich als Künstlerin einbringen kann und nicht nur Vorlagen von Kunden erfüllen muss, dann werde ich Customizing auch in Zukunft weitermachen.“

Ihr Traum sieht jedoch etwas anders aus. Jäger hofft, dass sie irgendwann mal ihre Kringel in überdimensionaler Größe im öffentlichen Raum ausstellen kann. „Irgendwann wird es so weit sein. Da bin ich mir sicher“, sagt Jäger, ganz rundheraus und schnörkellos. „Ich mach einfach weiter mein Ding.“


Im Dossier der vierten Ausgabe beschäftigen wir uns mit dem Thema Sales & Retail. Mit Blick auf unsere Titelgeschichte sei gesagt: Wir brauchen eine OnlyFans-Strategie! Außerdem ist es eine sehr musik- und kunstlastige Ausgabe geworden: Drangsal, Kool Savas, Ju Schnee, Simon Lohmeyer, Rapperin Little Simz – alle dabei. Dies und noch viel, viel mehr gibt es am Kiosk eures Vertrauens – oder wie immer hier im Aboshop.

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