Innovation & Future Vorbild Israel: Wie Ostwestfalen-Lippe zum Gründer:innen-Hotspot wurde

Vorbild Israel: Wie Ostwestfalen-Lippe zum Gründer:innen-Hotspot wurde

Wie kann man den Erfolg messen?

Auch wenn Kuljurgis nicht nur Lob findet, unterstützt er die Arbeit des Gründer:innen-Netzwerks. Vielleicht geht es ja auch um etwas ganz anderes. „Die Themen sind halt jetzt präsenter“, sagt er. Damit macht er die Diskussion um die Messbarkeit auf und landet gleich bei einer Metrik, die am Ende nur schwer quantifizierbar sein wird. Gegründete Unternehmen zu zählen ist easy, Arbeitsplätze auch. Auch Kapital kann man relativ leicht zusammenrechnen.

Aber wie misst man Veränderungen im Mindset einer Region? Wenn jemand in OWL gründet, kann man dann fragen, ob er wegen der vielen Initiativen die Region nicht verlassen hat. Oder kommt man dann schnell an den Rand des kontrafaktischen Argumentierens?

Torsten Bendlin ist Co-Founder von Valuedesk. Foto: Valuedesk

OWL ist sicher nicht die einzige Region in Deutschland, die aktuell versucht, Gründer:innen anzulocken. Auch Regionen wie Heilbronn haben Initiativen gestartet. OWL aber unterscheidet die Art, wie hier Business gemacht wird. Viele der Mittelständler sind eigentümer:innen-geführt, einige sind seit Generationen in Familienbesitz. Da geht es weniger um Quartalszahlen als um das große Ganze.

Viele Unternehmen arbeiten so, dass sie ihr Werk an die kommende Generation weitergeben können. Wenn man bedenkt, dass viele der Gründer:innen in der Region diese Vorbilder seit jeher vor sich haben, ist anzunehmen, dass das auch einen Einfluss auf das Gründungsgeschehen der Region hat.

Um das zu beschreiben, lohnt noch einmal ein Blick auf das Hermannsdenkmal bei Detmold. Hermann hat irgendwo im Teutoburger Wald im Jahr neun den Römern gewaltig eins auf die Mütze gegeben. Sein lateinischer Name, Arminius, hat es mit Arminia Bielefeld auch in den Namen eines Fußballbundesligisten geschafft. Der Slogan des Vereins, „stur, hartnäckig, kämpferisch“, eignet sich recht gut, um die Unternehmer:innen der Region zu beschreiben, finden hier viele. Denn nicht nur den Unternehmern, die in der Region seit Generationen arbeiten, geht es um langfristigen, gerne langsamen, wenn’s nicht anders geht, auch langweiligen Erfolg.

Der Ostwestfale an sich gilt als eher bodenständig. Viele hier meinen, dass nicht die Frage entscheidend ist, wie viel Funding eine Gründung etwa eingesammelt hat, sondern ob sie Gewinn macht. Nachhaltiges Wirtschaften, Ideen entwickeln, Jobs schaffen. Dann kann man sich auch irgendwann mal auf die Schulter klopfen. Vielleicht.

Stefanie Pannier will das Gründungsgeschehen an der FH Bielefeld fördern. Foro: Stefanie Pannier

70 Prozent Überlebensrate

Dieses Denken macht die Frage, wie man den Erfolg einer so diffusen Gründungsinitiative messen kann, noch wichtiger. „Wir haben natürlich klare KPIs aufgestellt“, sagt Sebastian Borek, der Chef der Founders Foundation. Eine Metrik ist natürlich die Anzahl der gegründeten Unternehmen. Nach eigenen Angaben seien aus der Founders Foundation 20 Unternehmen hervorgegangen. Bei einer Überlebensrate von 70 Prozent kein schlechter Schnitt. „Dann ist eine wichtige Erfolgsmetrik: Wie viel Venture-Capital kommt in die Region?“, sagt Borek. Und: Wird in die Startups investiert? Gibt es Fol­ge­inves­tments? Und dann müsse man auch noch die anderen Stakeholder:innen im Blick haben.

Einer davon ist der Mittelstand, für den es wichtig sei, ebenfalls von der Entwicklung zu profitieren. Ein Vorbild sei dabei das Startup-Ökosystem in Israel gewesen. „Das ist nicht nur ein Inkubator oder eine Uni, die irgendwas macht. Und wir wollten auch etwas entwickeln, bei dem verschiedene Räder ineinandergreifen“, erklärt Borek.

Um langfristig erfolgreich zu sein, müsse man dafür sorgen, dass die Expertise nicht abwandert. „Ich glaube nicht, dass wir das in Deutschland schon richtig verstanden haben“, sagt Boreks Co-Chef Dominik Gross. Wie schafft man es also, dass die Startups, die es bereits gibt, auch wachsen können? „Das ist der nächste Schritt“, sagt Gross. „Dafür muss man auf die nächsten zehn Jahre gucken.“ Und natürlich auf die anderen Player, die ebenfalls daran arbeiten, dass ein Masterstudiengang in Paderborn langfristig mindestens genauso sexy ist wie einer in London.

Tim Kampe will das Gründungsgeschehen an der FH Bielefeld fördern. Foto: Tim Kampe

Ein weiter Weg, ahnen Stefanie Pannier und Tim Kampe. Aber sie arbeiten daran. Pannier und Kampe sind Gründungscoaches des Center for Entrepreneurship (CfE) an der Fachhochschule Bielefeld. Unter ihnen gab es zwei Umfragen unter den Studierenden. Die erste habe ergeben, dass 67 Prozent der Leute an der FH gerne mehr Veranstaltungen zum Thema Gründen hätten.

Die zweite Umfrage aber zeigte, dass sich 95 Prozent der Absolvent:innen nach ihrem Studium doch fest anstellen ließen. „Aus irgendeinem Grund gründen die Leute weniger“, sagt Pannier. „Wir wollen zeigen, dass das eine wichtige Karriereoption ist“, so Kampe.

Ideen, Ideen, Ideen

Der Ansatz der FH, das sagen Pannier und Kampe selbst, unterscheide sich sehr von dem der Founders Foundation. Ihnen geht es weniger um die schnell skalierbaren Ideen. „Bei uns ist es egal, ob du mit einer Idee für eine Handtasche zu uns kommst oder an einer neuen Plattformlösung arbeiten willst“, sagt Pannier. Im Gegensatz zu den Founders, die als Accelerator dienen wollen, will das CfE den Rahmen bieten, dass sich Leute um ihre Ideen kümmern können. „Viele Gründer:innen sind noch im Studium“, sagt Kampe.

Und: Studieren, eine Idee verfolgen und an den Abenden kellnern, das ginge eben nicht. Trotz des unterschiedlichen Ansatzes sehen sich Pannier und Kampe nicht als Konkurrenten der Founders. Im Gegenteil. Sie sehen sich als einen weiteren Farbtupfer im Gemälde, als Teil der Gemeinschaft. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Playern zeigt sich für die beiden auch darin, dass eine Teilnahme bei den Founders Hilfe bei Pannier und Kampe nicht ausschließt.

Stolze 23 Teams haben Pannier und Kampe seit 2017 bereits begleitet, aus einem Drittel ungefähr habe sich eine Gründung ergeben. Gerade arbeiten die beiden daran, dass noch mehr Studierende ihr Angebot wahrnehmen, denn bisher wüssten nur 15 Prozent überhaupt, dass es sie gibt. Und auch wenn die Erfolge noch überschaubar sind: Sie sind bereits wahrnehmbar.

Ein starkes Symbol

Mit Blick auf die vergangenen Jahre sagt Anne Dreier, die Rektorin der FH des Mittelstands: „Ich glaube, es ist attraktiver geworden, in der Region zu bleiben.“ Es habe sich ein B2B-geprägtes Ökosystem entwickelt. Darin findet man neben Gründer:innen und Unternehmen die Hochschulen, Player:innen aus der Zivilgesellschaft, aus der Sozialwirtschaft und dem Gesundheitswesen.

„Es hat sich eine Kultur entwickelt, die auf Kooperation basiert“, sagt Dreier. Wenn viele Leute aktiv werden, treffen auch viele aufeinander, die „sonst nie zusammengefunden hätten“. Selbst wenn die Leute nicht alle zu Gründer:innen werden, bringe die Initiative die Region weiter.

„Wir haben einen hohen Bedarf an Unternehmensnachfolger:innen“, sagt Dreier. „Auch da brauchen wir unternehmerisch denkende Menschen.“ Die Entwicklungsdynamik, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat, passe daher hervorragend in die natürliche Entwicklung der Region.
Einen besonderen PR-Boost haben die Gründer:innen in Ostwestfalen Ende des vergangenen Jahres abbekommen.

Das Startup, das es ins Zentrum der Aufmerksamkeit geschafft hat, kam zwar nicht direkt aus der Region, sondern aus Münster. Doch dass der Getränkelieferant Flaschenpost von Dr. Oetker für 1 Milliarde Euro gekauft worden ist, ist trotzdem ein bisher einmaliger Vorgang im deutschen Hinterland. Und für viele auch einer mit Vorbildcharakter, zeigt er doch, dass die etablierten Unternehmen die heimatliche Szene genau im Blick haben.

Stephen Weich ist Gründer von Falschenpost. Sein Unternehmen hat er an Dr. Oetker verkauft. Foto: Flaschenpost

Stephen Weich, der CEO von Flaschenpost, erkennt in der Region OWL und Münster gleich mehrere Standortvorteile: „Es gibt hier viele Talente, und man kann sich auf das Business konzentrieren, das man hochziehen möchte“, sagt er. Außerdem gäbe es da noch große Player:innen in der „Older Economy“. Ein starkes Netzwerk, von dem Flaschenpost am Ende eben auch profitieren konnte.

Das Besondere an dem Deal sei ja, dass beide Unternehmen aus einer Region stammen. „Das ist eher selten“, sagt Weich. Ein Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten für größere Startups mache irgendwann die Frage wichtig, was ein guter Exit-Kanal sein könnte. Was also, wenn das Flaschenpost-Dr. Oetker-Schema Schule macht und mehr Mittelständler:innen sich die Ideen der Neugründungen einkaufen? Dann könnte das vielleicht ein neuer Treiber für die Gründerszene der Region sein.

Ein Marathon, kein Sprint

OWL hat, so viel lässt sich sagen, vermutlich bereits die erste, wichtige Hürde genommen. Aber ein Startup-Ökosystem aufzubauen ist ein Marathon und kein Sprint. Und dass man den schafft, wird OWL noch beweisen müssen. Torsten Bendlin drückt das so aus: „Es gibt wohl kein Unternehmen hier, das in den letzten Jahren nicht mit einem Startup zusammengearbeitet hat“, inklusive der obligatorischen Failures.

„Wir müssen jetzt beweisen, dass unsere Ideen auch Geld bringen“, sagt Bendlin. Sonst war alles nur eine Idee. Denn mit jeder gescheiterten Zusammenarbeit steige bei den Menschen hier in der Region natürlich auch die Skepsis. Jetzt heißt es also: stur, hartnäckig und kämpferisch bleiben – gut, dass sie damit in der Region schon in der Vergangenheit Erfolg hatten.

Dieser Text stammt aus unserer aktuellen Ausgabe 1/21. 132 druckfrische Seiten mit acht Storys über die Zukunft der weltweiten Gesundheitsindustrie. Außerdem: Start unserer neuen Serie Personal Finance, ein Besuch im ehrgeizigen Gründer-Hotspot Ostwestfalen-Lippe und die Geschichte von zwei Gründerinnen in Kolumbien, die ein weltweit agierendes Fashionlabel aufbauen. Also ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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