Life & Style The Ambition: „Hip-Hop ist eine dankbare Kultur, um Marken zu verwurzeln“

The Ambition: „Hip-Hop ist eine dankbare Kultur, um Marken zu verwurzeln“

Was können Unternehmen von Hip-Hop lernen? Jede Menge, wenn es nach Phillip Böndel und Tobias Kargoll geht. Die Düsseldorfer haben im Januar The Ambition gegründet. Die Unternehmensberatung möchte den Spirit der Hip-Hop-Kultur vermitteln. Klingt tight. Wir hatten dazu ein paar Fragen.

Wenn man Hip-Hop und Marketing zusammendenkt, fallen einem die Werbevideos deutscher Discounter ein. Ob mit richtigen Rappern oder den eigenen Mitarbeitern am Mic – in Deutschland gibt es wohl keinen Lebensmittelhändler mehr, der sich nicht bereits an Hip-Hop bedient hat, um die eigene Marke zu verjüngen. Ist das Genre nicht langsam ausgereizt?

Phillip Böndel: In Deutschland ist mehrmals mit Rap gearbeitet worden, aber wenig mit Hip-Hop. Es ist super, dass so viele das Potential sehen. Leider ist das Verständnis dafür, wie man authentisch mit einer Kultur interagiert, gering. Einen Rapper in einen Werbeclip zu stellen, ist eine von 1.000 Optionen. Streetart, Streetwear und Tanz können Anknüpfungspunkte bieten. Doch auch eine Modekollektion kann nach hinten losgehen, wenn man nicht die Sprache der Kultur spricht. Wir beraten und begleiten Unternehmen vor allem dabei, die Kompetenzen der Hip-Hop-Kultur für sich zu nutzen.

Das heißt?

PB: Wir überlegen, wie wir Unternehmen authentisch und nachhaltig in der Hip-Hop-Kultur verwurzeln können. Das funktioniert nicht in einer Woche oder in einem Monat. Und der beste Weg ist es, die Kultur als Talentpool zu sehen. Nicht nur etwas nachzuahmen, sondern die Talente ihrer Akteure zu erkennen und ihnen das Steuer zu überlassen.

Was macht denn die Hip-Hop-Kultur für Unternehmen so attraktiv?

PB: Drei Aspekte. Erstens, die schiere Größe dieser Kultur und ihre Kaufkraft. Zweitens, dass Marken seit jeher Bestandteil dieser Kultur sind. Es gibt keine kulturelle Strömung, in der Marken so intensiv stattfinden, wie in Hip-Hop. Das Narrativ der Kultur ist der soziale Aufstieg. Man nutzt Marken, um zu zeigen, wo auf der Leiter nach oben man sich gerade befindet. Hip-Hop ist eine wahnsinnig dankbare Kultur, um Marken zu verwurzeln.


Seit Januar 2021 ist Böndel, 34 Jahre, Mitgründer und CEO von The Ambition. Nebenher ist er Geschäftsführer der Düsseldorfer Kreativagentur Butter. ©Patrick Styrnol

Und Drittens?

Tobias Kargoll: Populäre Kultur setzt die Trends für die Gesellschaft und definiert, was cool ist – und populäre Kultur wird aktuell bestimmt von Hip-Hop. Schön für uns, denn wir sind damit aufgewachsen.

Abgesehen von der Musik: Welche Elemente der Hip-Hop-Kultur eignen sich ebenfalls für Marken und Marketing?

TK: Hip-Hop bedeutet, durch Kreativität etwas aus dem Nichts zu erschaffen. Am spannendsten ist es wenn dieser Mindset zu dem der Marke passt. Tanz ist außerdem sehr anschlussfähig, weil es ästhetisch und spektakulär ist. Oder nehmen wir Streetart: Nichts prägt in der westlichen Welt den urbanen Raum so stark. Die Designsprache und die Guerillamarketing-Strategien lassen sich oft übertragen. Streetwear und Sneaker Culture sind in den letzten zehn Jahren ebenfalls extrem groß geworden und es gibt viele Markenkollaborationen.


Tobias Kargoll, 37, Co-Founder und CCO bei The Ambition, ist unter anderem Herausgeber von Hiphop.de. ©Patrick Styrnol

Was nicht immer ein voller Erfolg war.

TK: Es gibt sehr gute und sehr schlechte. Weil es immer darauf ankommt, wie man etwas macht. Gut wird es, wenn man merkt, dass die Marke, die jetzt auch in der Kultur mitmischen möchte, es ernst meint und nicht nur den Hype ausnutzen will.

In einer Episode eures Podcasts habt Ihr euch mit dem Thema Guerilla Marketing beschäftigt. Inwiefern waren hier Streetart und Graffiti prägend?

TK: Streetart-Künstler haben Techniken entwickelt, um mit geringen Mitteln möglichst viel Sichtbarkeit zu erreichen. Die Gesellschaft schließt dich aus, weil du die Mittel nicht hast, keine Galerie will dich ausstellen – also machst du die ganze Stadt zu deiner Galerie. Das ist doch geil. Das ist Guerillamarketing. Die Kreativität, die Hacker-Mentalität in allen Elementen der Hip-Hop-Kultur, ist das Spannende.  

Im Wesentlichen geht es also um Sichtbarkeit – in der Hip-Hop-Kultur wie auch im Marketing?

PB: Auch Marken möchten sichtbar werden. Das ist die Parallele. Wenn man noch tiefer geht: Wir haben uns „The Ambition“ genannt, weil wir glauben, dass Ambition die Essenz der Hip-Hop-Kultur ist.

TK: Man hat die Ambition, etwas aus seinem Leben zu machen, sich selbst zu verwirklichen, sichtbar zu sein. Wenn man wenige Mittel zur Verfügung hat, kann man dennoch auf Kreativität zurückgreifen und an den eigenen Skills feilen. Kreativität als Problemlöser.

Ihr betont, dass Hip-Hop ein starker Innovationstreiber ist. Könnt Ihr das mit Beispielen genauer erklären?

TK: Im Hip-Hop warst du schon immer gezwungen, innovativ zu sein. In der Bronx hat man selbstgebaute Boxen aufgestellt, weil man nicht das Geld hatte, um in die coolen Clubs Manhattans zu kommen. Man hat seine eigene Party geschmissen und dabei Rap und Breakdance erfunden.

PB: Heute sieht man Innovation, wenn Lil Nas X oder Loredana Wege finden, auf TikTok groß zu werden oder Travis Scott in Fortnite auftaucht. Lil Nas X hat verstanden, wie man Songs schreibt, aus denen Memes werden. Deshalb wurde „Old Town Road“ so ein Hit. Auch hier wieder: Wie kann ich mit geringen Mitteln maximalen Erfolg erzielen? Das digitale Zeitalter ist wie gemacht für diese Mentalität, deshalb ist Rap so erfolgreich.

Und diese DNA möchtet Ihr bei The Ambition Unternehmen vermitteln?

PB: Genau. Wenn du diese Mentalität für dich nutzt, dann hast du als Unternehmen einen unglaublichen Wettbewerbsvorteil. Nicht nur in der Zielgruppe der Hip-Hop-Fans, sondern generell am Markt. Wir bringen diesen Spirit in die Unternehmen. Und ja, wir haben auch die Telefonnummer der großen Rapper. Aber wir rufen erst an, wenn wir mit dir eine sinnvolle Idee entwickelt haben.

Unter anderem bietet Ihr Workshops für Unternehmen an, die sich an der Hip-Hop-Kultur orientieren möchten. Wie kann man sich das vorstellen: Ihr erklärt Boomer Hans-Peter, Marketing-Chef eines Mittelständlers aus Castrop-Rauxel, wie Hip-Hop funktioniert?

TK: Natürlich kann Hans-Peter auch inspiriert werden. Es geht um Denkweisen. Wenn sich Unternehmen darüber hinaus nachhaltig in der Hip-Hop-Kultur verankern möchten, dann geht es darum, ein Verständnis zu vermitteln. Konkret: Welche kulturellen Codes gibt es, wie wird dort geredet, wie verhält man sich? Du gehst auch nicht mit Lackschuhen und Frack ins Stadion des FC Castrop Rauxel.

Im Hip-Hop wird sehr stark auf Kredibilität und Authentizität geachtet. Wie gewährleistet Ihr, dass diese Kriterien bei eurer Transferleistung nicht verloren gehen?

PB: Wir arbeiten ausschließlich mit Menschen aus der Hip-Hop-Kultur zusammen. Wenn einer ein Video dreht, dann ist das der Typ, der für Shindy die Musikvideos macht.

Welche Zusammenarbeit zwischen Hip-Hop und Marken hat euch besonders gut gefallen – und warum?

PB: Rimowa ist ein sensationelles Beispiel. Du nimmst diese alte, etablierte Premium-Koffer-Marke, die wir alle von unseren Vätern kennen. Jetzt hast du zwei Möglichkeiten: Entweder du machst es scheiße und drehst einen Werbeclip, in dem einer mit dem Koffer rappt – oder aber du lässt Virgil Abloh, ein Kind unserer Hip-Hop-Kultur, diesen Koffer designen. Letzteres haben sie gemacht. Damit hat sich Rimowa für die nächsten 30 Jahre den Arsch gerettet. Plötzlich ist dieser Koffer auch für unsere Generation wieder geil.

TK: In der Hip-Hop-Kultur können Marken symbolisieren, wo man herkommt oder wo man hin will. Es hat Gründe, warum Pashanim seinen Hit „Airwaves“ nennt und der Bonner Sugar MMFK vom „Trikot von Paris“ rappt. Im Gegenteil zur Fußballkultur, hat Paris Saint-Germain in der Hip-Hop-Kultur durch clevere Maßnahmen Cultural Credibility aufgebaut. Phillip und ich hätten es beide besser gefunden, wenn er ein Trikot vom 1. FC Köln oder Borussia Dortmund getragen hätte. Hat er aber nicht und das hat Gründe.

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