Life & Style „Ich war zuerst gar nicht sicher, ob ich Christian Drosten frage“ – Der Erfinder des „Coronavirus-Updates“ im Interview

„Ich war zuerst gar nicht sicher, ob ich Christian Drosten frage“ – Der Erfinder des „Coronavirus-Updates“ im Interview

Der Journalist Norbert Grundei hatte einen guten Riecher. Als sich das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) immer stärker in Deutschland verbreitete, erkannte er das Potential von Podcasts als aufklärendes Medium.

Zur gleichen Zeit wurde Grundei auf den Berliner Virologen Christian Drosten aufmerksam, der sich wie kein Zweiter in Deutschland mit dem speziellen Virustyp auskennt. Eine E-Mail und ein Telefonat später war das “Coronavirus-Update” geboren, einer der inzwischen erfolgreichsten Podcasts in Deutschland.

Drosten informierte darin in der Anfangsphase der Pandemie täglich (inzwischen wöchentlich) über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen zum Coronavirus. Über 70 Millionen Mal wurde der Podcast bis heute mit seinen aktuell 64 Folgen gestreamt.

Im Gespräch erzählt der Erfinder des erfolgreichen Wissenschaftspodcasts von seinen Lieblingspodcasts, den wichtigsten Learnings in Bezug auf die Produktion und Distribution sowie die Zukunft von Podcasting.

Herr Grundei, was ist derzeit ihr Lieblingspodcast? Und warum?

Ich habe bestimmt 20 Lieblingspodcasts. Freitags höre ich gerne „Pivot“ mit Kara Swisher und Scott Galloway, eine brillante Mischung aus Information und Entertainment. Aber unser „Coronavirus-Update“ – eine der wichtigsten Informationsquellen während der Pandemie – höre ich natürlich ebenfalls weiterhin gerne. 

Sie leiten beim NDR das NDR-Audio Lab (“THINK AUDIO”). Was tun sie dort genau?

Ich baue gerade den neuen Programmbereich Audio Strategie auf, zu dem das Audio-Lab, die junge Marke N-JOY und weitere Audio-Bereiche gehören.

Unser Ziel ist es, die Produktentwicklung von non-linearen Audio-Formaten wie Podcasts voranzutreiben und zu steuern. Dazu bringen wir cross-funktionale Teams aus verschiedenen Programmen zusammen, die gemeinsam Formate entwickeln und dabei viel lernen.

Im Rahmen des NDR-Audio Labs haben Sie im Februar das Podcast-Format „Coronavirus- Update“ mit dem Virologen Christian Drosten an den Start gebracht. Heute gehört das Format in Deutschland zu den reichweitenstärksten Podcasts. Welche wichtigen Learnings haben Sie bis heute bei dem Podcast gemacht? Was können Sie anderen Podcast-Produzent*innen als entscheidende Erfolgskriterien mitgeben?

1. Die Idee von den User*innen her denken. Die Idee war in unserem Fall: Uns steht möglicherweise eine größere Pandemie bevor. Wie wäre es, wenn die User*innen jeden Tag ein Update von dem Wissenschaftler erhalten würden, der sich mit dem Virustyp in Deutschland am besten auskennt? Die Hörer*innen sollten exakt die Informationen haben, die auch die politischen Entscheidungsträger*innen haben.

2. Mutig sein und machen. Ich war zuerst gar nicht sicher, ob ich Christian Drosten überhaupt frage. Ich war mir sogar sicher, dass er keine Zeit für den Podcast hat. Aber er hat ja gesagt. Und dann haben wir im NDR sehr schnell mit unserem Audio-Lab und den Kolleg*innen von NDR Info Entscheidungen getroffen. Nach einem Telefonat mit  dem Chefredakteur Adrian Feuerbacher war klar: Wir legen jetzt schnell los.

3. Auf vorhandene Kompetenzen aufbauen: Mit Korinna Hennig und Katharina Mahrenholtz haben wir zwei Kolleginnen, die Podcast und Wissenschaft können. Es war genau richtig, das Projekt mit ihnen zu machen – und etwas später auch mit Anja Martini.

4. Konsequent bleiben: Es gab in der Entwicklung viele Punkte, an denen die unterschiedlichsten Leute rieten, im Podcast mal dieses und jenes zu tun. Wir haben die Entscheidungen im Audio-Lab und der Chefredaktion getroffen, sind unserem Konzept sehr treu geblieben und damit gut gefahren.

Die Feedback- und Interaktionsmöglichkeiten von Podcasts sind begrenzt. Als User*in kann man auf den Plattformen (außer bei Soundcloud) kaum kommentieren. Wie habt ihr das bei „Deutschland3000“ gemacht? Wie sieht euer Rückkanal hier aus?

Sehr breit: Bei älteren Zielgruppen spielt sogar E-Mail noch eine Rolle, im jüngeren Segment begleitende Social-Kanäle. Aber ich bin überzeugt, dass die großen Plattformen entweder selbst aufrüsten oder bessere Social-Media-Integrationen schaffen werden – zum Beispiel eigene Story-Formate und Social Feeds entwickeln.

Bisher sind solche Versuche aber selten richtig erfolgreich gewesen. Ich halte es daher auch nicht für ausgeschlossen, dass die Anbieter*innen sich stärker mit bestehenden Social Networks wie Instagram oder TikTok vernetzen.

Welche Fragen sollte man sich bei der Konzeption eines neuen Podcast-Formats stellen? 

Bei der Konzeption und Produktion von Interview-Podcasts sollte man sich drei Fragen stellen.

Erstens: Ist der oder die Host wirklich neugierig? Ich finde: Nur interessierten Hosts hört man auch interessiert zu.

Zweitens: Haben wir genug Kapazitäten und die richtigen Leute an Bord, um es wirklich gut zu machen? Wenn es gut sein soll, wird es auch aufwändig sein.

Drittens: Haben wir einen Ansatz, der den Hörer*innen etwas gibt, das sie woanders nicht bekommen? Es gibt inzwischen so viele Interview-Podcasts, die teilweise immer die gleichen Gäste einladen. Es braucht jetzt Differenzierung.

Und wie lange sollte der Podcast sein und was ist bei der Distribution zu beachten? 

Die ideale Podcast-Länge: Ich glaube, es gibt keine. Ich finde, es muss eine Länge sein, die ausreicht, um das Hören zu einer Gewohnheit werden zu lassen.

Für die Distribution gilt: Es gibt fast nichts besseres, als in einem Podcast auf einen anderen Podcast hinzuweisen. Die Conversion kann unglaublich sein. Aber weil Podcast für viele Menschen noch neu ist, funktioniert auch die Promotion über lineare Programme sehr gut. 

Wie wichtig sind die großen Plattformen für die NDR-Podcastformate? Welchen Anteil hat Spotify an dem Erfolg des Coronavirus-Update Podcasts?

Uns ist wichtig, dass wir möglichst viele Menschen direkt erreichen – ohne Aggregator zwischen uns und unseren Hörer*innen. Daher legen wir einen besonderen Fokus auf die ARD Audiothek, unsere Apps und Portale.

Aber natürlich haben auch die Plattformen Apple und Spotify einen Anteil an unserem Distributionsmix, künftig werden sicher Audio Now, FYEO, Google Podcast und Amazon noch an Bedeutung gewinnen.

Ich gebe jetzt keinen konkreten Wert an, aber beim „Coronavirus-Update“ kann man grundsätzlich sagen, dass wir einen sehr breiten Distributionsmix hinbekommen haben, der uns nicht von einer einzigen Plattform abhängig macht.

Bemerkenswert war, dass der Podcast besonders in der Anfangsphase bei Youtube sehr erfolgreich gelaufen ist – als Audio mit Standbild.

Sie dürfen frei wählen im deutschen Markt. Wer hätte das Zeug zu einem „deutschen Joe Rogan“?  

Jan Böhmermann und Olli Schulz sind sogar besser als Joe Rogan. Auch wenn die Podcast-Verbreitung in den USA generell schon weiterentwickelt ist als in Deutschland, wir haben hier bereits sehr starke Produkte: „Fest und Flauschig“, „Gemischtes Hack“ und glücklicherweise auch das „Coronavirus-Update“ spielen in der ersten Liga, das heißt: Sie sind – auch im internationalen Vergleich – sehr reichweitenstarke Podcasts.

Im Moment sehen wir viel Bewegung im deutschen Markt: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme arbeiten an vielen neuen Podcast-Formaten und ich hoffe sehr auf viele erfolgreiche Staffel-Starts in 2021.

Welche neuen Features und Funktionen würden Sie sich für ihre eigenen Angebote oder bei den großen Podcast-Plattformen von Apple, Spotify, Deezer oder Amazon für den Podcast-Konsum noch wünschen?

Wir brauchen eine bessere Personalisierung, redaktionelle Kuratierung und eine richtig gute Audiosuche. 

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