Leadership & Karriere Der Hotspot der Gen Z ist eine Dachgeschosswohung in Berlin

Der Hotspot der Gen Z ist eine Dachgeschosswohung in Berlin

Spätsommer in Berlin-Mitte. Zwischen Galerien, kleinen Cafés und Bars geht es in der Linienstraße in den Hinterhof eines charmanten Altbaus. Hoch in den fünften Stock. Unterm Dach eine alte Besenkammer, die höchstens vier Quadratmeter groß ist.

Hier versteckt sich das Tonstudio eines jungen Musikers, den es erst vor Kurzem in die Hauptstadt verschlagen hat. Rechts von der umgebauten Besenkammer eine unscheinbare Tür, hinter der sich 180 Qua­dratmeter Neubauwohnung verbergen. Darin: große Sofas, viele Tische, Minikühlschränke. Getränkedosen und Patronen aus Spielzeugpistolen auf dem Boden.

Im Mittelpunkt des Geschehens: junge Menschen der Generation Z. Sie sitzen am Küchentisch vor einer Palette Energydrinks und vor Proteinriegeln, liegen auf Sitzsäcken an ihren Smartphones und spielen Golf auf dem kahlen Parkettboden. Oder auf dem Dach.

Nichts Ungewöhnliches für einen Donnerstagabend in der Linienstraße. Nur ist diese Wohngemeinschaft aus vier motivierten Menschen binnen wenigen Monaten zum Hotspot für Gründer*innen und Influencer*innen aus ganz Deutschland geworden.

Foto: NIKITA TERYOSHIN
Foto: NIKITA TERYOSHIN

Angefangen hat alles im Februar 2020. Fabian Tausch wohnte bei Freund*innen in Berlin, immer wieder on und off. Tausch hat einen Podcast für Jungunternehmer*innen und ist Mitgründer des Young Entrepreneurs’ Program.

Für sein Alter hat er ein ungewöhnlich weitläufiges Netzwerk in der Gründerszene. Eine feste Wohnung in der Hauptstadt hatte er jedoch nicht.

Nach längerem WG-Hopping wagte er sich im Frühjahr an den Berliner Wohnungsmarkt. Drei, vier Buden sprachen ihn an, bei einer meldete er sich spontan an einem Donnerstagmorgen. Ein Hamburger Professor für Gebärdensprache vermietete eine Wohnung mit 180 Quadratmetern in der Linienstraße.

Kurz nach dem Telefonat fuhr Tausch zur Besichtigung. Mit seinen zu der Zeit 22 Jahren war er sich nicht sicher, wie er sich am geeignetsten als seriösen Mieter einer renovierten 180-Quadratmeter-Wohnung mit zwei Dachterrassen in Berlin-Mitte verkaufen sollte.

Aber irgendwie gelang es ihm, den Professor zu überzeugen.

In einer nachträglichen offiziellen Bewerbung stellte er seinen Plan so vor: viele Leute aus der Gründerszene reinholen, um einen „Ort der Inspiration und des Austausches“ zu schaffen. Schon am Freitagmorgen bekam Tausch die Zusage und den Mietvertrag. Zwei Stunden später die Schlüssel. Was fehlte, waren Mitmieter*innen, die sich mit ihm die Kosten teilten.

Tausch hatte damals vor allem zwei Leute im Kopf, denen er unbedingt Bescheid geben musste. Eine von ihnen war Mona Feder. Die zwei kannten sich aus der Heimat. Für Tausch war klar, dass sie einziehen muss.

Feder studiert Interaction Design an der Code University Berlin und ist Mitgründerin von Tokenstreet – einem jungen Startup, das einen Marktplatz für tokenisierte Immobilieninvestitionen schaffen will.

Mit der Junggründerin als Mitbewohnerin stand die Wohnung als Hotspot für Junggründer*innen und Unternehmer*innen in den Startlöchern. Zumindest fast. Denn ein Zimmer war noch frei. Der Auserwählte: Daniel Michailidis – ein App-Gründer mit riesigem Influencer-Netzwerk.

Tausch und er kannten sich von einer Veranstaltung aus der Gründerszene. Bevor er mit in die Linienstraße eingezogen ist, haben Tausch und er sich nur zweimal gesehen. War scheinbar Liebe auf den zweiten Blick. Michailidis zog direkt ein.

Er übernahm das dritte Zimmer und den offenen Gemeinschaftsbereich. Das kleinere Zimmer hat er vor Kurzem dem Münchener Musiker Alex Oberschelp vermacht, der auch das Ministudio am Eingang nutzt. Mit ihm ist die Wohnung heute voll besetzt. Zumindest offiziell.

Denn eigentlich schlafen und arbeiten hier jeden Tag noch viel mehr Menschen: erfahrene Gründer*innen, Junggründer*innen, Künstler*innen und Influencer*innen. „Dass es am Ende so weitläufig wird, hätte ich anfangs nicht gedacht“, sagt Tausch.

Aber wer sind die vier im Einzelnen, die aus dieser Wohnung einen der vielversprechendsten Orte Berlins machen?

Der Podcaster

Zwei Jahre lang hat Tausch sich in Berlin nicht wohlgefühlt, weil er von WG zu WG gezogen ist. Das ist jetzt anders: „Ich will nicht aus Berlin weg und erst recht nicht aus der Wohnung“, sagt Tausch.

Für den 23-Jährigen ist die WG in der Linienstraße nicht nur sein Ort zum Leben, sondern auch zum Arbeiten. Sein Venture: ein eigener Podcast. Seit 2016 trifft er regelmäßig erfolgreiche Unternehmer*innen aus aller Welt und aus unterschiedlichen Branchen zum Interview.

Profi-Podcaster: Mittlerweile lädt Fabian Tausch seine Interviewgäste zu sich in die WG ein | Foto: NIKITA TERYOSHIN

Mit seinem Podcast will er jungen Menschen den Start ins Unternehmertum erleichtern, indem er seiner Generation das Wissen der Profis verfügbar macht. Und das mit Erfolg: Bis heute zählt der Podcast mehr als zwei Millionen Downloads.

Seit letztem Jahr verfolgt er diese Mission darüber hinaus über das Young Entrepreneurs’ Program, kurz Yep, das er gemeinsam mit Thomas Bachem und der Code University ins Leben gerufen hat.

Was Yep ist: eine Community, die junge, motivierte Menschen mit erfolgreichen Gründer*innen als Mentor*innen zusammenbringen will. „Ich finde es schade, dass jeder immer nach Berlin kommen muss, um Teil des Gründer-Ökosystems zu werden. Wir arbeiten daran, jedem von überall Zugang zu verschaffen“, erklärt Tausch.

Sein Podcast ist mittlerweile zu einer ganzheitlichen Marke herangewachsen. Bei seinen Aufnahmen laufen nun auch Kameras mit. Lange Zeit ist er zu seinen Interviewpartner*innen geflogen oder hat die Gespräche remote geführt.

Jetzt ist seine Wohnung die physische Location seines Formats geworden. Der Raum, in dem er schläft, wird tagsüber zum Studio. Ein großes Sofa, ein Sessel, ein Schreibtisch und viel Equipment stehen hier.

„Ich finde es sehr cool, meinen Podcast auf ein nächstes Level zu heben“, sagt Tausch. In Zukunft will er nicht mehr der Einzige sein, der alles alleine macht. Denn: Momentan gibt es nur so viele Interviews, wie er persönlich führt. „In dem Moment, in dem ich meinen Podcast standardisiere, wird er viel spannender“, so Tausch.

Ob sein WG-Zimmer langfristig die Location für sein Format bleibt, ist nicht sicher. Aber klar ist: Durch die Besuche seiner in der Medien- und Gründerszene etablierten Interviewpartner*innen entstehen in der WG neue Verbindungen.

Das Charmante an dem Konzept ist, dass es eben keinem richtigen Konzept folgt. Tausch und seine Mitbewohner*innen setzen lediglich um, was professionelle Coliving-Anbieter*innen seit Jahren zu verkaufen versuchen.

Während Tausch also mal wieder eine*n etablierte*n Gründer*in im Podcast zu Gast hat, schraubt seine Mitbewohnerin Mona Feder mit ihren Kommiliton*innen nebenan an ihrem Startup. Und noch ein Zimmer weiter drehen Influencer*innen mit Millionenreichweite Videos für ihre Channels.

So begegnen sich Menschen mit gleichem Spirit, wenn auch aus unterschiedlichen Branchen, die sich vielleicht woanders nie getroffen hätten.

Die Gründerin

Ein Blick in den nächsten Raum gegenüber der Küche. Durch die Dachfenster und die weiße Möblierung ist Mona Feders Zimmer sehr hell. Auf ihrem Sofa liegt ein Notizbuch mit vollgeschriebenen Seiten. Hier sitzt Feder am liebsten, um an ihren Projekten zu arbeiten.

Die 22-Jährige ist für ihr Studium an der Code University nach Berlin gezogen. Als sie von Tauschs Wohnung hörte, griff sie direkt zu. „Ich weiß, dass Fabian ein sehr gutes Netzwerk hat. Wenn er die Nachricht über seine neue Wohnung erst mal gestreut hat, ist die Bude schnell voll“, sagt Feder.

Foto: NIKITA TERYOSHIN
Mona Feder in ihrem Teil der Wohnung | Foto: NIKITA TERYOSHIN

Sie hatte zuvor in vier WGs gelebt, von ihrer fünften Wohnung in Berlin hat sie Anfang des Jahres eine konkrete Vorstellung: „Mir war klar, dass ich entweder alleine wohnen möchte oder mit Menschen zusammenwohnen muss, mit denen ich gemeinsam arbeiten kann.“

Mit der aktuellen Wohnsituation ist für Feder die zweite Wunschvorstellung in Erfüllung gegangen. „Wir haben alle unsere eigenen Ziele, aber unterstützen uns gegenseitig und bauen uns ein Arbeitsumfeld bestmöglich auf“, sagt sie.

Wenn Feder nicht in der Uni ist, steckt sie jede freie Minute in ihr Startup. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen hat sie im Januar Tokenstreet gegründet – Feder ist dabei Head of Design.

Tokenstreet ist der erste deutsche Marktplatz für digitale Immobilieninvestments. Es soll vor allem nichtprofessionellen Anleger*innn ermöglichen, in Immobilien zu investieren. Der Grund: Momentan gibt es für Kleinanleger*innen sehr hohe Einstiegsbarrieren. Gerade junge Menschen bringen oft nicht genug Eigenkapital mit.

Feder und ihre Co-Gründer wollen diese Hürde aus dem Weg räumen: „Unsere Vision ist es, Immobilieninvestments zu demokratisieren, damit jeder die Möglichkeit hat, auf einfache und transparente Weise in die beliebteste Anlageklasse zu investieren.“

Aber wie funktioniert Tokenstreet genau? Die Website verschafft einen Überblick über die am Markt vorhandenen tokenisierten Immobilienanlagen. Tokenisiert heißt: Die Anleger*innen investieren in eine Anleihe, die auf der Blockchain in den Verkehr gebracht wird. Die Anleihe wird wiederum gebraucht, um die Finanzierung einer Immobilie sicherzustellen.

Wenn man investiert, profitiert man sowohl von den Mieteinnahmen als auch vom Verkauf der Immobilie. Wer sich sein Kapital auszahlen lassen möchte, kann seine Anteile auf dem Sekundärmarkt verkaufen.

Die Vorteile: Es gibt eine feste Verzinsung auf das eingesetzte Kapital, die aus den jeweiligen Mieteinnahmen gezahlt wird. Weil Feder und ihre Kollegen die Barrieren möglichst niedrig halten wollen, liegt das Mindestinvest bei einem Euro.

Feder: „So wird das Immobilieninvestment deutlich effizienter und für eine breitere Masse geöffnet.“ Im April nächsten Jahres wollen sie auf dem Markt sein. Sie formuliert ihre Mission so: „Wir wollen jungen Leuten helfen, sich eine finanziell starke Zukunft aufzubauen, und sie stärker aufklären“.

Die WG ist dafür ihr Arbeitsplatz, aber gleichzeitig auch ihr Zuhause.

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