Leadership & Karriere Der neue Mittelstand: Wie deutsche Startups Produktionen aufbauen

Der neue Mittelstand: Wie deutsche Startups Produktionen aufbauen

Ein Digital-Startup zu gründen, ist schon Herausforderung genug. Wenn du aber greifbare Produkte herstellen willst, für die du Maschinen, Material und Menschen brauchst, dann wird es extra-spannend – wie die Geschichten dieser drei Startups beweisen, die als „Kultur-und Kreativpiloten Deutschland“ ausgezeichnet wurden.

„Here is to the misfits (…) The round pegs in the square holes“: Apples Werbespot-Ode an alle, die nicht ins Schema passen, ist vielleicht ein bisschen überzitiert, aber hier passt sie. Sie passt auf Meriem Lebdiri, die als Kind algerischer Einwanderer mit westlicher Jugendmode ebenso wenig anfangen konnte wie mit der Import-Mode türkischer und arabischer Boutiquen. Sie passt auf Jonas Mumm und Christoph Mandl, die nicht ihr ganzes Leben vor dem Computer verbringen wollten. Und sie passt auf Fabian Winopal und Tim Fleischer, die einfach mal eine Werkstatt haben wollten, die groß genug war für die Ideen, mit denen sie jeden Tag schwanger gingen. Sie alle haben ihre Unzufriedenheit in Gründungsideen umgesetzt – weswegen sie von der Bundesregierung mit dem Titel „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“ ausgezeichnet wurden.

Ihre Startups Mizaan, Thann Bioleder und Tatcraft entwickeln keine Apps, sondern handfeste Produkte. Maschinen, Materialeinkauf, Logistik, Absatzprognosen – wenn Kultur- und Kreativwirtschaft auf klassisches Handwerk trifft, kommen ganz besondere Herausforderungen auf der Gründer*innen zu.

Nicht makellos für Massenproduktion

Die Produktionslinie von Thann Bioleder beginnt auf einer Weide mit einem Rind, das ein gutes Leben unter freiem Himmel hatte und genau dort geschlachtet wird – was zwar ethischer ist, in Deutschland aber nur unter erschwerten Bedingungen erlaubt wird. „Unser Lieferant ist ein alter Biolandwirt und Revoluzzer, der hat 13 Jahre lang gegen die Behörden prozessiert, weil er nicht einsehen wollte, dass seine Tiere ihr schönes Leben mit Viehtransport und Schlachtstress beenden sollen“, sagt Christoph. Nicht einsehen wollte er auch, dass die Industrie mit den Häuten seiner Tiere nichts anfangen konnte – das natürlich gewachsene Leder ist nicht makellos genug für die Massenproduktion.

In ihrer Regensburger Werkstatt fertigen Jonas und Christoph daraus in Handarbeit Accessoires, die ihre Käufer ein Leben lang begleiten sollen: Gürtel, Brieftaschen, Schlüsselanhänger, Kameragurte. Derzeit noch vor allem in dem Lederwarengeschäft, das Jonas 2017 übernahm, als er keine Lust mehr darauf hatte, als angestellter Architekt die immer gleichen Entwürfe am Computer zu bearbeiten – und das  Lederhandwerk war schon lange seine Leidenschaft. Jetzt wollen Jonas und Christoph auch das Online-Geschäft ausbauen, mehr Werbung machen, neue Produkte entwickeln – und dann sind da noch all die anderen Werkstätten, die auf einmal Interesse haben an dem Material, das Thann sich mit viel Mühe erschlossen hat.

„Allein eine Gerberei zu finden, die unsere Biohäute pflanzlich gerbt, war ein Abenteuer“, sagt Christoph. Und im ersten Anlauf eine Katastrophe: „Wir hatten alles monatelang vorbereitet, die Werkstatt, die Website, die Produkte, alles fertig und all unser Geld investiert. Und dann kommt die erste Charge und das Leder ist komplett unbrauchbar.“ Warum? „Keine Ahnung, die Gerberei war sehr unkommunikativ und uns war klar: Wir können keinen zweiten Anlauf riskieren.“

„Du musst leiden, um erfolgreich zu sein“

Im Nachhinein habe sich das Desaster als Glück erwiesen, sagt Christoph: „Unsere neue Gerberei hat sehr viel mehr Bock auf das, was wir machen, der Juniorchef kommt direkt von der Gerbereischule aus England und will was Neues ausprobieren.“ Aber die Zeit vor diesem Lichtblick war ein Tiefpunkt: „Ich habe mehrere Tage gebraucht, bis ich aus dem Loch wieder herausgekommen bin.“

„Du musst leiden, um erfolgreich zu sein“, sagt Tim Fleischer. Er spricht aus mehrfacher Erfahrung: In ihrem Makerspace Tatcraft haben er und sein Mitgründer Fabian Winopal schon eine ganze Reihe von Startups von der ersten Idee bis zum produktionsreifen Prototyp begleitet. „Man merkt bei den Gründern schnell: Ist das jemand, der eine Idee hat und jemand sucht, der das für ihn ausbaldowert, oder ist das jemand, der sich selber reinhängt?“ Ebenso gefährlich ist aber das andere Extrem, sagt Fabian: „Die größte Hürde ist oft: Die Gründer können nicht abgeben und wollen alles selber machen. Aber es bringt nichts, wenn jeder das Rad neu erfindet. Arbeitet zusammen, sucht euch die Leute, die das können. Execution is king!“

Die Lücke muss man schließen

Gerade im Hardware-Bereich. „Ich habe das in meiner Zeit im Investmentbanking so oft erlebt: Da sind kreative Gründer, die aber nicht über das Ideenstadium hinauskommen, weil sie nicht die Skills und die Möglichkeiten haben, schnell in die Produktentwicklung zu gehen. Es kann eben nicht jeder mal schnell seinen Wohnsitz für drei Monate nach China verlagern.“ Diese Lücke wollen Tim und Fabian schließen – und erfüllen sich damit gleichzeitig einen Jugendtraum: „Fabians Vater hatte im Keller eine Werkstatt in der wir uns immer ausgetobt haben – nur war die so klein, dass wir jeden Tisch, den wir da gebaut haben, auseinandersägen mussten, um ihn rauszukriegen. Wir wollten immer eine große Werkstatt – und ein Schweißgerät.“

Inzwischen haben sie sehr viel mehr als ein Schweißgerät: „Insgesamt haben wir hier Maschinen für mehr als eine Million Euro stehen“, sagt Fabian. „So etwas kannst du nicht vollständig selber finanzieren, das geht nur mit Partnern und Kooperationen.“ Ein halbes Jahr lang sind die beiden auf Partnersuche durch Deutschland getourt, haben auf 10 Quadratmetern gearbeitet und auf Sofas geschlafen, bis sie Tatcraft eröffnen konnten.

Gründer*innen und Maker*innen können sich mit ihren Projekten bei Tatcraft einmieten; eine offene Anlaufstelle für Kreative zu sein ist eine Säule des Konzepts. „Aber man muss ganz klar sagen, dass wir mit der offenen Werkstatt draufzahlen“, sagt Fabian. „Geld verdienen wir mit Projekten.“ Neben eigenen Startup-Ideen setzt Tatcraft Co-Creation-Projekte mit Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Künstler*innen um. „Wenn die große Installationen planen, sind da oft eine ganze Reihe von Gewerken nötig – wir sorgen dann dafür, dass die Idee auch umsetzbar ist, stellen die Teams zusammen, und koordinieren die Arbeiten.“ Riskanter ist das Geschäft mir Startups, die ohne eigene Finanzierung eine Hardware-Idee umsetzen wollen – sie zahlen mit Firmenanteilen für die Expertise und den Maschinenpark von Tatcraft – aber bis daraus Cashflow entsteht, kann sehr viel Zeit vergehen. „Wir sind die einzigen, die im Raum Frankfurt Hardware-basierte Wirtschaftsförderung betreiben“, sagt Fabian.

Wer investiert schon in Mode?

Dass Investor*innen nicht gerade Schlange stehen, um eine neue Generation mittelständischer Betriebe zu finanzieren, weiß auch Meriem Lebdiri. „Wer investiert schon in Mode? Das ist ein schwieriges Geschäft, du musst ja nur mit einer Kollektion daneben liegen und das ganze Geld ist weg.“ Meriems Label Mizaan macht Kleidung für Frauen, die gerne mehr Stoff am Körper haben, die auch im Sommer einen langen Rock oder Blazer kaufen wollen – egal ob das ein Ausdruck ihrer Religion ist oder nicht. „Ich kenne Frauen, die sich freizügig kleiden und viel konservativer sind als andere, die den Hijab tragen“, sagt Meriem. “Mizaan” könne man mit ”Balance” oder “Gleichgewicht” übersetzen – „und so sieht das Publikum bei meinen Modenschauen auch aus, da siehst du in der ersten Reihe blond, brünett, Hijab, rothaarig, Hijab, Hijab, schwarz. Da kommen alle zusammen, das findest du kaum noch auf der Berlin Fashion Week.

Ihr Weg in das Segment „Modest Fashion“ begann für sie als 12-Jährige, die nicht glücklich wurde mit der Bauchfrei-Jugendmode der späten 1990er-Jahre. „Aber was es in den türkischen und arabischen Läden gab, hat mir auch nicht gefallen“. Also fing an, ihre eigenen Entwürfe zeichnen – bis ihre Mutter sich mit ihr an die Maschine setzte und aus den Skizzen umsetzbare Modelle machte.

Dass Mode ein Beruf sein kann, war für Meriem eine Offenbarung. Dass dieser Beruf auch in die Selbstständigkeit führen könnte, diese Erkenntnis lag nicht auf der Hand. „Das wird im deutschen Schulsystem ja nicht vermittelt“, sagt Meriem, „und auch in der Berufsausbildung wurden wir nur auf Angestellten-Jobs in der Industrie getrimmt.“

Der harte Weg

Als junge Mutter war für sie ein klassischer Industriejob keine Option – und in welchem Betrieb hätte sie ihre Ideen auch umsetzen können? Also ging Meriem den harten Weg. Jobbte, um Stoffe für ihre ersten Kollektionen zu kaufen, um Models, Make-up-Artists und Fotografen zu bezahlen – die nicht gerade Schlange standen, um für ein Label zu arbeiten, das für das Recht der Frau auf freie Entscheidung für oder gegen das Kopftuch steht. Warum sie all das auf sich genommen hat? „Ich bin halt bekloppt“, sagt Meriem und lacht. Wobei es genau diese Besessenheit war, die schließlich ihre ersten Investoren überzeugte –  und die Ausdauer, mit der Meriem über selbst bezahlte Modenschauen und Social Media ihre Fanbasis aufgebaut hatte.

Tatsächlich ist der Ruf von Mizaan jetzt schon internationaler als der Vertrieb. „Wir sind noch sehr auf Deutschland ausgerichtet“, sagt Meriem, „aber wir wollen internationaler werden“. Zwar gibt es Modest Fashion-Labels in mehrheitlich muslimischen Ländern wie Kuwait und Indonesien, aber keine Marken mit internationaler Strahlkraft. Warum? „Gute Frage“, sagt Meriem. „Wahrscheinlich muss man immer auch die Kultur des Landes kennen, wie die Menschen hier ticken. Wir verkaufen ja nicht nur Mode, sondern einen Lifestyle“. Stil und Qualität gehören ebenso dazu wie Toleranz: „Meine Eltern haben mir beigebracht, dass ich anderen meine Meinung nicht aufdränge; und du wirst auf unseren Seiten immer Models mit und ohne Hijab finden“, sagt Meriem. „Wir brauchen keine Trennung.“

Auch das hätte sich gut in einem Apple-Spot gemacht.

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