Leadership & Karriere Nico Rosberg über seine zweite Karriere als Investor für Zukunftstechnologien

Nico Rosberg über seine zweite Karriere als Investor für Zukunftstechnologien

Auf Youtube kann man sich den jungen Nico Rosberg mit He-Man-Frisur und Surfer-Halskettchen anschauen, wie er für Viva allerlei Unsinn über sich ergehen lässt: Wie er leicht irritiert zur Musikmesse Popkomm fährt, wie er aufgeregt von seiner erfolgreichen Motorsportsaison erzählt und schließlich in einem reichlich bescheuerten Bobbycar-Rennen geschlagen wird. Dennoch: Man wird Rosberg nicht begreifen, wenn man sein Talent und seinen Willen zur Öffentlichkeit nicht versteht.

Und da ist vor allem das Jahr 2005, in dem sich Rosberg, der zu diesem Zeitpunkt einer der erfolgreichsten Piloten der Formel 3 war, am renommierten Imperial College in London bewirbt, um zu studieren – und zwar das Fach Luftfahrttechnik. Rosberg wird tatsächlich genommen und steht vor einer der schwersten Entscheidungen seines Lebens: „All meine Freunde sind nach der Schule auf die Universität gegangen“, erzählt Rosberg Jahre später in einem Interview. „Mein nächster Schritt war jedoch ganz ein anderer, ich bin in eine andere Richtung gegangen. Ich habe mich seltsam gefühlt und dachte, dass es auf der Universität cool sein würde. Ich wollte dorthin.“

Im gleichen Jahr gewinnt Rosberg bei seinem ersten Antritt dann die GP-2-Serie, die zweithöchste Rennsportklasse nach der Formel 1, mit satten 15 Punkten Vorsprung. Rosberg wird daraufhin direkt in die Formel 1 befördert – und blickt offenbar dennoch mit einer gewissen Wehmut auf diese Weggabelung in seinem Leben: In seiner Heimatstadt Monaco, wo er lebt, seit er vier ist, studiert der Rennfahrer neben seiner Formel-1-Karriere Psychologie und Philosophie, erzählt er. Um sich mental zu stärken. Und um den Horizont nicht zu klein werden zu lassen. Als Rosberg zu Williams kam und dort den obligatorischen ingenieurswissenschaftlichen Eignungstest ablegen muss, erzielte er die besten Noten in der Geschichte des Teams. Zum Spaß, notierte die britische Tageszeitung „Guardian“ vor Jahren einmal in einem amüsierten Nebensatz, lese Rosberg den Wirtschaftsteil der Zeitung. Man wird Rosberg also auch nicht nachvollziehen können, wenn man nicht versteht, dass er sich immer für mehr als den Rennsport und die dort zu holenden Siege interessierte. Und dass das Ende seiner Karriere eben alles andere als ein Niedergang war. Sondern auch eine Befreiung.

Foto: Marcel Wogram

Rosberg hat das Auto längst aus dem Hafen gesteuert, vorbei an der Statue des Rennfahrers Juan Manuel Fangio, der als größter Fahrer in der Geschichte der Formel 1 gilt, und rein in den Tunnel Rocher Nogues. „Ich habe deutlich gespürt, dass ich etwas machen will, was von Bedeutung ist“, sagt Rosberg. „Etwas, wo ich einen Beitrag leisten kann. Etwas mit Sinnstiftung.“ Aber was?

Rosberg tut, was er immer getan hat: „Ich habe mit ganz vielen, sehr unterschiedlichen Menschen gesprochen, überall.“ Über seine alten Kontakte bei Mercedes lernt er schnell, wie sich Mobilität durch Elektrizität und autonomes Fahren in den kommenden Jahren rasant verändern wird. Er reist ins Silicon Valley, zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, zur Konferenz Bits & Pretzels nach München und trifft und spricht, wen er auch immer zu fassen kriegt. Vom Ingenieur zum Investor und Verkehrsminister. Der Formel-1-Titel, der Name, die Bekanntheit sind dabei oft erst eine große Hilfe – und später eine Hürde. „Der Erfolg im Sport ist auch ein großer Türöffner, aber es gibt Vorurteile, das ist schon richtig.“ Rosberg erzählt, dass er manchmal nachfragen und beweisen muss, dass er mehr kann und will als nur das PR-Programm absolvieren. Dass er wirklich verstehen will, wie sich die Technik und die Wirtschaft verändern. Und nicht bloß ein paar Hände schütteln.
Dann überlegt er, wie und wo er sich einbringen will. An Angeboten mangelt es nicht: Noch am Tag seines Rücktritts fragt der Geschäftsführer der Formel E bei Rosberg an, ob er nicht auf Strom umsatteln wolle. Rosberg hat kein Interesse am Cockpit, wohl aber an der Formel E – und steigt erst still und heimlich, dann ab 2018 auch offiziell in die neue Rennserie ein.

Grüne Investments

Für den Chassis-Spezialisten TRE, ein von Rosberg senior gegründetes Ingenieurbüro, agiert der Junior als Aushängeschild und Kommunikator – als TRE vor Kurzem ein urbanes Fahrzeugkonzept namens Schaeffler Mover vorstellte, kümmerte sich Rosberg persönlich darum, dass die ambitionierte Idee des selbstfahrenden Fahrzeugunterbaus, der als Plattform für Busse, Transportmodule oder Müllwagen fungieren könnte, möglichst viel Aufmerksamkeit erfuhr. Er stellt das Konzept in der Boulevardpresse ebenso vor wie bei auf der Elektronik- und Unterhaltungsmesse CES Anfang 2019 in Las Vegas.

Und Rosberg lässt auch Gelder fließen und investiert: In Elon Musks Raumfahrtprogramm SpaceX, in den bayrischen Flugtaxi-Entwickler Lilium, in den Uber-Konkurrenten Lyft, in das mehrheitlich von Daimler finanzierte Adressierungsstartup What3words, in den amerikanischen E-Auto-Ladestationen-Entwickler Chargepoint. Aber auch in das Adtech-Startup Stoyo. Als er im Mai 2018 in Berlin bei den von Marco Voigt und Sven Krüger organisierten Greentec Awards einen der weltweit größten Umweltpreise erhält, ist Rosberg begeistert: Die Kombination aus Technologie und Lifestyle, aus Networking und von Ingenieuren erdachten Projekten entspricht exakt seiner Vorstellung von Ökologie – und Ökonomie. Rosberg steigt beim Greentec Award ein, gemeinsam entwickeln Voigt, Krüger und er den Award zu einem Festival weiter.
„Die Formel 1 war nie das Finale für mich. Der Motorsport war immer ein Schritt. Und jetzt kommt der nächste“, sagt Rosberg, als er wieder aus dem Auto aussteigt. 15 Minuten vom Hafen entfernt liegt sein Büro etwas versteckt im Erdgeschoss eines unscheinbaren Wohnblocks unweit der Avenue des Papalins. Zwei Büroräume im Stadtteil Fontvieille, einer künstlich ­aufgeschütteten Halbinsel, auf der – so sagt man – neben Rosberg auch die Rennfahrer David Coulthard und Max Verstappen und die schwedische Tennislegende Björn Borg leben.

Foto: Marcel Wogram

Rosbergs Büro ist vermutlich das, was man für eine monegassische Version eines Startup-Offices halten muss: zwei relativ schmucklose Räume mit Besprechungstischen aus Glas, dunkelgoldene Wände, dazu ein goldenes Regal, in dem eine Miniatur seines Formel-1-Wagens von 2016 steht, eine Flasche Bollinger-Champagner und eine verkleinerte Version des Kunstwerks „BILD-Bild“ des Malers Jens Lorenzen.
Vor einem guten Jahr, erzählt Rosberg, saß er hier noch mit drei Mitarbeitern. Mittlerweile hat er die Leute, die zuvor für ihn in Deutschland gearbeitet haben, hergeholt und seine Mannschaft aufgestockt: Gerade die Arbeit als Influencer in Sachen E-Mobility hat Rosberg in den vergangenen Monaten professionalisiert, sein internationaler Kanal hat fast 450 000, der deutschsprachige immerhin 66 000 Abonnenten.

Seit September gibt es einen Podcast namens „Beyond Victory with Nico Rosberg“, in dem er mit prominenten Formel-1-Persönlichkeiten über Motorsport, aber auch über mentale Fitness spricht. Die Strategie ist klar: Rosberg fängt immer da an, wo man ihn allgemein verortet, also beim Motorsport, bei Autos und Erfolg – und arbeitet sich von dort aus thematisch voran: Richtung E-Mobility, Richtung Technik, Richtung Zukunft.

Ziel E-Fürstentum

Rosberg weiß, dass er wieder ganz von vorne beginnt. Erst einmal will Rosberg das Greentech Festival pushen. Der indische Mahindra-Konzern wird dort am letzten Maiwochenende ein Luxuselektroauto vorstellen, das einem Lamborghini oder Ferrari ähnlich sieht. Das Karosseriedesign stammt aus dem Studio, das die berühmten Rennwagen entworfen hat und außerdem noch nach dessen Gründer Battista „Pinin“ Farina benannt ist. Das Bruchsaler Startup Volocopter wird ein Flugtaxi vorstellen, das in Zusammenarbeit mit Daimler entstanden ist und von Spreadshirt-Gründer Lukasz Gadowski finanzierte wurde. Alejandro Agag, der Geschäftsführer der Formel E, wird sprechen. Vor Kurzem hat Rosberg, erzählt er, Fürst Albert II. von Monaco geraten, die Busse im Fürstentum zu elektrifizieren. Was danach kommt? Vielleicht Mode, vielleicht Kosmetik, sagt Rosberg. Aber auf alle Fälle nachhaltig.

Rosberg ahnt auch, dass es noch eine Weile dauern wird, ehe er nicht mehr als der frühere Formel-1-Gewinner vorgestellt wird. Sondern als Unternehmer in Sachen Fortschritt und Umweltschutz. Aber solange der alte Erfolg ihm noch Türen öffnet, nimmt Rosberg gerne in Kauf, unterschätzt zu werden. Irgendwann, das weiß er von seinem Vater, wird er nur noch in den Köpfen der Formel-1-Nerds, in den Listen und Geschichtsbüchern auftauchen. Und darum geht es: dann ein Konzept zu haben. Eine Funktion. Ziel und Zweck für seinen Ehrgeiz, seine Disziplin und seine Fokussierung.
Vorhin im Auto hatte Rosberg den Satz gesagt, der die Sache vielleicht am besten auf den Punkt bringt: „Früher war ich immer der Sohn der Formel-1-Legende Keke Rosberg. Dann habe ich die ersten Rennen gewonnen, und die Fragen wurden weniger. Seit meinem Weltmeistertitel hat nie wieder jemand nach meinem Vater gefragt.“ Rosberg hat das alles schon einmal gemacht: die Arbeit gegen die Skepsis, gegen die dominante Vergangenheit, gegen das oberflächliche Image. Er lächelt.

Noch ist er nicht angekommen, das weiß Rosberg selbst. Das macht ein Erlebnis aus dem vergangenen Herbst deutlich. Nachdem er da bei Bits & Pretzels in München aufgetreten war und eine gute halbe Stunde lang über E-Mobility, über seine Ziele und Routinen, seine Investments und seine Eindrücke aus China und dem Silicon Valley erzählt hatte, durfte das Publikum eine Frage stellen. Die lautete dann: Was ist am Ende wirklich wichtiger – das Formel-1-Auto oder das individuelle Können des Fahrers?

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Der Artikel stammt aus unserer aktuellen Ausgabe. Titelstory: Wieso Nico Rosberg sich nach seinem radikalen Karriere-Schlussstrich 2016 gerade als Investor in Zukunftstechnologien neu erfindet. Außerdem haben wir ein Dossier zum Thema Travel Biz für euch. Darin berichten wir unter anderem über Away, das New Yorker Koffer-Startup, das mit clever konzipiertem Gepäck gerade zur Love-Brand der Millennials wird. Mehr Infos gibt es hier.

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