Leadership & Karriere Grau ist die Zukunft: Tokios Gründer entdecken Rentner als Zielgruppe

Grau ist die Zukunft: Tokios Gründer entdecken Rentner als Zielgruppe

Noch populärer bei den Alten aber ist Cyta, die zweite Plattform von Crowdworks. Über Cyta kann man zum Beispiel Workshops im Jonglieren, Fotografieren oder Redenhalten buchen. „Die Idee ist, eine Freizeitcommunity aufzubauen, basierend auf dem Prinzip des Talentcrowdsourcings“, sagt Ueno. In anderen Worten: Jeder kann irgendwas, das irgendjemand lernen will. Häufig seien die Anbieter Senioren, die Kunden aber jüngere Leute.

Angst vorm Scheitern

Dank Cyta entdecken also immer mehr Rentner, wie sich aus ihren Talenten und Kompetenzen ein kleines Business machen lässt. Doch das ändert wenig an einem anderen Problem: Japan gilt nicht gerade als Epizentrum des Unternehmertums. Die Angst zu scheitern ist dem Global Entrepreneurship Monitor zufolge hier stärker ausgeprägt als im globalen Durchschnitt, das Selbstvertrauen und die gebotenen Möglichkeiten dagegen sind der Erhebung zufolge geringer. Außerdem, das hört man in Japan immer wieder, mangele es an Kapital. Viele Geldinstitute führen gute Beziehungen zu wenigen Konzernen, Gründer haben es dafür umso schwerer.

Viele japanische Innovationen haben darum auch nicht in Garagen ihren Ursprung, sondern in den üppig ausgestatteten Entwicklungsabteilungen der Großkonzerne. Etwa die Methode, Gemüse ohne Pestizide im Labor zu züchten, die Toshiba in einer ehemaligen Diskettenfabrik entwickelt hat. Ein eher abseitiges Thema für den Multikonzern, der ansonsten Mikrowellen, Klimaanlagen und Atomkraftwerke im Angebot hat. Auch hinter der vor ein paar Jahren im Süden Tokios eröffneten Smart City steckt ein Konzern: Panasonic, das an derselben Stelle zuvor Fernseher hergestellt hatte, baute hier eine Reißbrettsiedlung mit intelligenten Häusern, Stromtankstellen für Autos und Wärme absorbierenden Gehwegen.

Tomoko Ueno hofft, mit der Jobvermittlungsplattform Crowdworks die Japaner zu mehr Unternehmertum zu animieren. Foto: Deby Sucha

Japan ist innovativ, aber risikoscheu. Das liegt auch daran, dass Unternehmer ohne nachgewiesene Erfolge bislang mit ihren Konzepten kaum Gehör fanden. Der Markt für Risikokapital ist vergleichsweise klein – und damit entsprechend gering die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gründer ohne ein gutes Netzwerk es von der tollen Idee bis zum eigenen Start­up schafft. Auch hinter Seqsense und Crowdworks stehen jeweils Forscher oder Gründer, die sich bereits vorher etabliert hatten.

Für Goya Kobayashi ist das jedoch alles keine Entschuldigung. „Wer nach Möglichkeiten sucht, der findet sie auch“, sagt er, während er mit zügigem Schritt durch einen Hintertrakt des japanischen Finanzministeriums marschiert. Kobayashi, ein gut gebauter Herr in locker sitzendem Anzug, ist stellvertretender Leiter des Ministersekretariats. Er engagiert sich im Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreis, einem Zusammenschluss von Ökonomen, Politikern und Unternehmern beider Länder. Die Klagen über die schwierigen Gründungsbedingungen kennt Kobayashi gut, er könne sie auch nachvollziehen, „aber was bringt das Jammern?“, fragt er rhetorisch. „Hier in Japan gibt es doch reichlich Geld und auch genügend Herausforderungen, für die wir Lösungen brauchen.“

An die Alten denken

2017 hat Kobayashi, der früher für die japanische Botschaft in Berlin arbeitete, die Germany-Japan Startups Plattform ins Leben gerufen. Die Initiative soll dabei helfen, dass sich Unternehmen aus beiden Ländern vernetzen. Gründe dafür gebe es genug: „Zum Beispiel wegen der alternden Gesellschaft sollten wir uns dringend austauschen und zusammenarbeiten“, sagt Kobayashi in schnellen Sätzen. „Wir haben doch die gleichen Herausforderungen und können auch ähnliche Lösungen anbieten. Von künstlicher Intelligenz über Robotik bis zur Vernetzung von Menschen und Fabriken.“

Doch so richtig ist die Botschaft noch nicht angekommen. Aus Kobayashis Netzwerk sind zwar mehrere Kooperationen wie etwa der Export von Sake in kleinen Portionen nach Deutschland hervorgegangen, aber den chancenreichen Markt, mit innovativen Ansätzen dem demografischen Wandel zu begegnen, geht bislang niemand an.

Franz Waldenberger, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, hat eine mögliche Erklärung: „Vielleicht ist die alternde Gesellschaft für viele Unternehmer als Thema nicht sexy genug.“ Kobayashi teilt die Einschätzung, und beide finden es erstaunlich, dass die Mehrzahl der Startups sich noch immer mit anderen Fragen beschäftigt. „Es müssten dringend noch mehr werden, die auf die alternde Bevölkerung schauen“, sagt Kobayashi.

Dabei gibt es bereits erfolgreiche Silver-Tech-Gründer, die zu Role-Models taugen würden. Zwei davon sitzen im Tokioter Viertel Ikebukuro bei Z-Works in einem Großraumbüro mit schmutzigweißen Plastikmöbeln. Auf den ersten Blick sieht es hier eher nach altmodischem japanischem Konzern aus als nach Innovation und Startup-Dynamik. Aber Tatsuya Takahashi und Makoto Ogawa, die vor dreieinhalb Jahren Z-Works gegründet haben, investierten lieber in ihr Produkt. Das wollen sie nun möglichst schnell auf den Markt bringen. „Das Problem, das wir hier angehen, ist kein japanisches“, sagt Takahashi. „Wenn wir schnell genug sind, können wir damit den Weltmarkt bedienen.“

Z-Works sucht nach Lösungen, um mit Big Data und KI Unfälle zu vermeiden. Foto: Deby Sucha

Z-Works bietet eine Art Tracking-App für Pflegeheime und Privatnutzer, die über den Gesundheitszustand eines Menschen informiert sein wollen. Durch feine Sensoren, die an Betten angebracht sind, lässt sich der Puls überprüfen, mittels Sensoren an der Tür erkennen, ob die Person überraschend den Raum verlassen hat. „So lösen wir den enormen Pflegekräftemangel“, sagt Takahashi und hält einen dieser kleinen, weißen Sensoren in der Hand. „Täglich sterben Tausende alte Menschen, weil sie stürzen. Dieses Teil kann ihr Leben retten.“

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