Productivity & New Work Germann: “In politischen Zeiten können sich Behörden nicht aus der Diskussion heraushalten“

Germann: “In politischen Zeiten können sich Behörden nicht aus der Diskussion heraushalten“

Anfang 2018 gründete Christiane Germann mit Linda Dietze die Amt 2.0-Akademie. Das Ziel: Behörden fit machen für den Umgang mit sozialen Medien. Mit Christiane Germann haben wir darüber gesprochen, wieso sie ihren Beamtenstatus für die Selbstständigkeit aufgegeben hat, was Behörden noch lernen müssen und warum Kommunikation von Behörden anders sein muss als die von Unternehmen.

Von einer Beamtin zu Gründerin – das gibt es nicht so häufig. Wie kam es dazu?

Das ist eine lange Geschichte. Ich bin mehr oder weniger zufällig durch mein Studium in den Beamtenjob reingerutscht. Da dachte ich: Das mache ich jetzt ein paar Jahre, kann mir meine eigene Wohnung leisten und das Kreative, was ich so gerne mache, kommt dann später. Am Ende bin ich doch 19 Jahre geblieben. Die Zeit habe ich mir möglichst spannend gestaltet – unter anderem mit einem berufbegleitendem Studium der Medienwirtschaft. 2012 wurde Social Media dann wichtiger, mein damaliger Chef in der Pressestelle des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat gesagt: „Wir brauchen jetzt eine Facebook-Seite, kümmere du dich mal da drum.“ Und damit hatte ich mein Thema gefunden.

Wie ging es dann weiter?

Andere Behörden kamen auf uns zu und haben gefragt, wie wir das machen. Da habe ich begonnen, meinen Blog „Amt 2.0“ zu schreiben. Darüber habe ich dann auch erste Anfragen für Schulungen und Workshops bekommen und das immer mehr als Nebentätigkeit gemacht. Auf einer Veranstaltung habe ich dann meine Mitgründerin kennengelernt und wir haben beschlossen, das zusammen zu starten. Erst wollten wir es nebenher machen, ich habe aber dann gemerkt, dass der Behördenjob nicht mehr das richtige für mich ist. Mir waren sie Strukturen zu starr. Also habe ich Anfang des Jahres beschlossen, den öffentlichen Dienst zu verlassen und in Vollzeit die Amt 2.0-Akademie aufzubauen.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit heute von der im öffentlichen Dienst?

Das ist ein fundamentaler Unterschied. Für mich ist es ein großer Segen, meine eigenen Entscheidungen treffen und meine Ideen umsetzen zu können. Das geht in Behörden selten. Ich habe das Gefühl, jetzt viel mehr bewirken zu können. Wenn man von außen kommt, ist es viel einfacher, dass Entscheidungsträger einem zuhören. Das ist oftmals ein Grund, warum uns engagierte Mitarbeiter dazuholen. Der Prophet im eigenen Haus wird nicht gehört. Ich kann meinem Arbeitsrhythmus folgen, im Café arbeiten und morgens Sport machen. ich habe das Gefühl, jetzt genau das gefunden zu haben, was ich machen will. Diese Sicherheit, die dadurch verloren gegangen ist, die vermisse ich gar nicht.

2012 ging es eher darum, bei Social Media zu starten. Jetzt geht es um die Professionalisierung?

Teils, teils. Es gibt Behörden, die jetzt starten wollen, was natürlich sehr spät ist. Die haben aber den Vorteil, dass sie es direkt sehr professionell angehen können. Für die anderen geht es tatsächlich um was anderes: Da haben immer noch viele eine falsche Vorstellung von Social Media. Die betrachten das als zweite Homepage, aber es ist eben vor allem Dialog und Community und das haben viele Behörden noch nicht gelernt. Sie sind nicht gewohnt, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Der Kaiser spricht, wann er möchte, und die Bürger haben das hinzunehmen. So funktionieren soziale Netzwerke nicht. Man muss aber auch sagen: Es gibt auch viele Behörden, die schon jetzt sehr professionell kommunizieren. Viele Polizeien schaffen das sehr erfolgreich. Die Pioniere sind da, in der breiten Masse muss sich noch etwas ändern.

Was muss sich denn konkret ändern?

Zwei Sachen: In der Kommunikation müssen Behörden mutiger werden. Das knüpft an die Kommunikation auf Augenhöhe an. Aber es ist auch wichtig, dass sie sich kompetente Mitarbeiter ins Boot holen. Für Social Media ist es gut und wichtig, Menschen zu haben, die journalistisch schreiben können.

Linda Dietze und Christiane Germann © Henning Schacht

Warum müssen Behörden denn überhaupt in sozialen Netzwerken aktiv sein?

Aus dem simplen Grund, dass ein Drittel der Bevölkerung soziale Medien nutzt und sich auch sehr stark darüber informiert. Und Behörden die Pflicht haben, alle über ihr Handeln zu informieren. Daraus ergibt sich, dass man präsent sein muss. Gerade in politisch bewegten Zeiten können sich Behörden nicht aus der Diskussion im Netz heraushalten. Soziale Netzwerke können dazu dienen, die Kluft zwischen Bürger und Staat wieder zu verringern.

Ein viel diskutiertes Thema ist, ob und wie Behörden, vor allem Ministerien, Werbung auf Social Media schalten dürfen. Wie sehen Sie das?

Erstmal muss man festhalten, dass die meisten Ministerien sehr wenig Geld für Werbung ausgeben. Der Account der Bundesregierung hat noch nie Werbung geschaltet. Eine Ausnahme ist die Bundeswehr, die hat sehr viel in Social Media Werbung investiert. Ich bin der Meinung, dass das in der Tat eine zu diskutierende Frage ist. Ich finde Werbung darf geschaltet werden, vor allem, weil Social Media im Vergleich zu herkömmlicher Öffentlichkeitsarbeit wahnsinnig günstig ist. Aber man muss sehr genau darauf achten, welche Posts man bewirbt.

Zum Beispiel?

Das sollte kein Selbstbeweihräucherungspost des Ministers sein, sondern zum Beispiel ein Livechat, bei dem man in den Dialog treten kann. Es sollte darum gehen, dem Bürger Nutzen zu bringen. Es gibt auch ein offizielles Zurückhaltungsverbot, an das sich die Ministerien in der Regel sehr gewissenhaft halten. Das bedeutet, dass die Öffentlichkeitsarbeit ein Jahr vor der Bundestagswahl zurückhaltend ist. Trotzdem muss man natürlich informieren. Das ist aber ein Spannungsfeld, was die Behörden sehr auf dem Schirm haben.

Eine andere schwierige Frage ist, wie förmlich die Kommunikation von Behörden sein muss, ob auch mal Cat Content erlaubt ist.

Wenn man über soziale Netzwerke kommuniziert, muss man sich auch auf die Art der Kommunikation einlassen. Es bringt einfach nichts, wenn man auf Facebook langweilige Pressemitteilungen postet. Inhalte müssen emotional aufbereitet werden. Das bedeutet nicht, dass immer Katzen und Herzchensmileys gepostet werden, aber die Inhalte, die man hat, müssen so aufbereitet sein, dass sie von den Leuten in den sozialen Netzwerken auch verstanden werden. Wenn die Polizei, Leute durch ihre Posts über Tierrettungsaktionen als Follower gewonnen hat und dann im Falle eine Anschlags, schnell mit ihnen kommunizieren kann, war das erfolgreiche Kommunikation.

Wie sieht die Zukunft von Amt 2.0 aus?

Schnelles Wachstum ist nicht unser primäres Ziel. Im Moment setzen wir Ideen um, für die wir nie wirklich Zeit hatten, als ich das noch als Nebenjob gemacht habe. Es kommen auch jeden Tag neue Ideen. Wo es mal hingeht, lässt sich noch nicht sagen, und das ist auch gut so. Der Bedarf ist aber groß und wird nach meiner Prognose weiter wachsen.

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