Leadership & Karriere Er ist  tot, aber wir hatten Spaß – Über Humor in Reden

Er ist tot, aber wir hatten Spaß – Über Humor in Reden

Wer bei mehr oder weniger offiziellen Anlässen reden muss, scheut oft vor Humor zurück. Aber ist Lachen auf ernsten Redeanlässen tatsächlich Tabu?

Als Bill Clinton ans Rednerpult des Europa-Parlaments in Straßburg tritt, ist der 42. Ex-Präsident der Vereinigten Staaten gefühlt auch der 42. Redner des Tages. Tatsächlich ist er erst der fünfte. Der Anlass: Der offizielle Trauerakt für den zwei Wochen zuvor verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl am 1. Juli 2017.
Bis zu seinem Auftritt ist die Veranstaltung von langen, getragenen, schwierigen Sätzen wie diesem geprägt: „Er konnte dies erfolgreich tun, weil seine über Jahre gewachsene Reputation es ihm erlaubte, glaubwürdig zu versichern, dass er ein europäisches Deutschland anstrebe, und nicht ein deutsches Europa.“

Bis Bill Clinton vor die Zuhörer tritt. „Ich habe diesen Kerl geliebt. Hillary sagte immer, das liege daran, dass er noch lieber aß als ich.“ Schelmisch lächelt er in die bis dahin ehrfurchtsvoll stille Runde. Es ist das erste Mal an diesem Vormittag, dass das Publikum spürbar in Bewegung gerät. Nicolas Sarkozy wackelt vor Lachen in seinem Sitz. Angela Merkel und Emmanuel Macron blinzeln sich vergnügt zu und nicken anerkennend. Selbst Theresa May muss schmunzeln. Andere, Deutsche vor allem, starren gebannt auf den Redner: Was ist das denn? Darf er das? Was kommt als nächstes – Saumagen?

Humor im Dienst der Sache

Clinton hat den Scherz gezielt gemacht. Er hat jetzt die Aufmerksamkeit. Und er lässt emotionale, bewegende Aussagen folgen, die am nächsten Tag überall auf der Welt zitiert werden. Dass das 21. Jahrhundert in Europa mit Helmut Kohl begonnen habe, zum Beispiel. Dass diese prominente Zusammenkunft in diesem Saal in Europa ohne Helmut Kohl nicht möglich gewesen wäre. Man kann an dieser Stelle nicht anders als bewegt sein.

Bill Clinton ist es so einprägsam wie keinem seiner Vorredner gelungen, den Verstorbenen zu würdigen und ihm zum Abschied seinen Respekt zu erweisen. Und darum geht es bei einer Trauerrede.

Clinton hat das Instrument Humor genutzt, um sein Redeziel zu erreichen. Bei einer Trauerfeier – einem Anlass, wo die meisten Redner in unseren Breitengraden von Humor die Finger lassen würden. Es ist eine brillante Rede, und sie bricht ganz nebenbei eine Lanze für den Humor. Ausgerechnet bei einem offiziellen Staatsakt.

Es gibt kein Gesetz in der Rhetorik oder irgendeinem anderen ernstzunehmenden Protokoll, das Humor verbietet. Allerdings gibt es eine Regel, die auf den Humor genauso zutrifft wie auf jedes andere Element in einer Rede: Er muss auf die Botschaft der Rede einzahlen. Wenn er das nicht tut, ist er überflüssig und kann auch dem Redner schaden. Humor, der nur dazu dient, den Sprechenden als unterhaltsamen Zeitgenossen zu inszenieren, wirkt nicht nur aufgesetzt – er ist meist auch nicht witzig.

Dass Humor als schwierig betrachtet wird, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Publikumsanalyse oftmals über die Redneranalyse gestellt wird. Doch es ist ein echtes Qualitätsmerkmal, wenn die Stilmittel zur Rednerpersönlichkeit passen. Das gilt auch für den Humor. Viele Redner verbiegen sich aus vorauseilendem Gehorsam vor dem Publikum oder dem Anlass – und lassen Wirkpotenzial liegen.

Humor wahrt den Respekt

Ja, eine gute Rede soll auch unterhalten. Nein, Humor ist nicht der einzige Weg, das zu erreichen. Humorvolle Menschen dürfen und sollen humorvoll reden. Wer dagegen einfach kein lustiger Mensch ist, wird und muss es auch auf der Bühne nicht werden. Nichts ist für das Publikum schlimmer als gequälte Pointen.

Doch, es gibt etwas, das schlimmer ist. Es gibt Formen von Humor, die den Namen eigentlich nicht verdienen: Schadenfreude und Zynismus. Das gilt nicht nur für bestimmte Redeanlässe aus Pietätsgründen, sondern immer. Wenn die Witze des Redners darauf beruhen, Menschen abzuwerten oder für eine Pointe zu opfern, nimmt das Publikum den Redner als respektlos wahr. Die Zuhörer werden beginnen, an seinen Motiven zu zweifeln. Dann laufen auch die besten Argumente ins Leere, denn die Augenhöhe ist weg.

Bill Clinton, ein erklärter Freund Kohls, hat seine Scherze über das Essen nicht auf dem Rücken des Verstorbenen gemacht, sondern sich explizit auf eine Gemeinsamkeit bezogen. Er hat das Essen zu einer Metapher gemacht, die Nähe herstellte – zwischen ihnen, und zwischen dem Redner und seinem Publikum.

Humor verbindet

Und ja, auch den Saumagen hat Clinton erwähnt – indirekt. „Er hat mich Dinge essen lassen, die ich nicht essen wollte“, sagt er in einem Moment, als die Rührung im Saal ihren Höhepunkt erreicht hat. Unweigerlich fragt man sich: Spricht er noch von Essen, oder spricht er von Politik? Es ist eine brillante, eine würdige Trauerrede.

Es gibt eine Art von Humor, die in keiner Rede geht. Aber es gibt keine Art von Rede, bei der Humor nicht geht. Reden und Humor passen wunderbar zusammen – solange der Humor auch wunderbar zum Redner passt. Humor ist ein Türöffner. Humor hebt Gegensätze auf. Humor entzerrt und Humor entspannt. Humor stellt Nähe her. Das ist nicht unpassend; das ist der Ur-Zweck von Rhetorik.

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