Female Entrepreneurship Patty McCord über ihre radikale Führungsfibel

Patty McCord über ihre radikale Führungsfibel

Kam es zu vielen Entlassungen, als Netflix 2007 sein Geschäftsmodell von DVD-Versand auf Streaming umstellte?

Im DVD-Team waren talentierte Menschen – die aber rein gar nichts über Streaming wussten. Da stellte sich die Frage: Sollen wir das Team behalten? Wozu? Dann verlaufen ihre Karrieren im Sande. Sie könnten sich weder weiterentwickeln noch ihr Wissen bei einem anderen Unternehmen einbringen, das genau deren Kompetenzen gebrauchen könnte.

Sie sagen, Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter wie Erwachsene behandeln. Tun sie das denn nicht?

Was die meisten Mitarbeiter von großen Unternehmen frustriert, hat fast nie etwas mit ihrer Arbeit an sich zu tun, sondern mit dem Um-Erlaubnis-Bitten. Das führt dazu, dass man sich dumm vorkommt. Wenn man stattdessen den Mitarbeitern sagt, dass man ihnen vertraut, das Geld der Firma verantwortungsvoll und im besten Interesse des Unternehmens auszugeben, werden sie das höchstwahrscheinlich auch tun.

Im Grunde ist das doch eine Stärkung der Mitarbeiter. Trotzdem hassen Sie das Wort „Empowerment“.

Es macht mich wütend, dass alle denken, wir müssten unsere Mitarbeiter empowern. Wir denken das aufgrund der ganzen Regularien, denn die entziehen den Mitarbeitern ihre „Power“. Wenn wir den Leuten gleich zu Beginn ihrer Karriere vermitteln, dass sie Power darüber haben, wo sie arbeiten und für wen sie arbeiten, dann sind sie auch mündig. Dann wird man nicht das Bedürfnis haben, all diese Richtlinien in Kraft zu setzen und die Leute wie Kinder zu behandeln. Was ich sagen will, ist: Sei dir deiner Macht bewusst. Sei dir bewusst, wer du bist und was du wert bist, und mach dir das zunutze. Du entscheidest über deine Karriere, nicht die Unternehmen. Mir ist es auch wichtig, diese Message genau jetzt, zum Revival der Frauenbewegung, zu vermitteln.

Stichwort Frauenbewegung: Sie haben fast ausschließlich in der Techbranche gearbeitet. Wie war das als Frau, gerade in den 80er- und 90er-Jahren?

Teilweise die Hölle auf Erden. Bis ich zu Netflix kam, war ich immer die einzige Frau in der Führungsebene. Ich glaube, ich habe öfter Mansplaining erlebt als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Gerade Ingenieure lieben es, dir zu erklären, warum etwas wie funktioniert.

Seit Ihrem Ausscheiden bei Netflix 2012 arbeiten Sie als Unternehmensberaterin. Wer sind Ihre Kunden?

Einerseits große Konzerne, die meist festgestellt haben, dass ihnen kleine, schnelle, agile Unternehmen auf den Fersen sind. Weil die Großen selbst so komplexe Strukturen haben, sind sie einfach zu träge. Wenn sich jemand sieben Genehmigungen holen muss, bevor er etwas umsetzen darf, ist die Firma schlicht zu langsam. Die anderen Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, sind junge Startups, die auf dem besten Weg sind, erfolgreich zu werden, Funding zu bekommen, vielleicht in ein paar Jahren an die Börse zu gehen. Denen wird gesagt, dass es an der Zeit ist, erwachsen zu werden. Allerdings wollen sie den wertvollen Entrepreneur-Spirit einer Early-Stage-Company nicht verlieren.

Was raten Sie denen?

Ich sage: Überlegt euch sehr, sehr genau, welche Richtlinien ihr einführt. Was sollen sie bezwecken? Jedes Mal, wenn mir ein CEO das „Culture Deck“ auf den Tisch wirft und sagt: „Ich will genau das“, sage ich nur: „Na, dann krempelt mal die Ärmel hoch. Wir haben dafür gebraucht.“

 

BP_CoverDer Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 01/2018. Titelgeschichte: MCFit-Gründer Rainer Schaller folgt nur einem Prinzip: seinem Instinkt. Mehr Infos gibt es hier.

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